Bochum/Recklinghausen. . Vier Jahre liegt der Tod des auf einer Klassenfahrt in Spanien erstochenen 18-Jährigen aus Recklinghausen zurück, der Täter ist längst verurteilt. Doch im Schmerzensgeldprozess stellt er sich wieder als Opfer dar. Der Richter mahnt mehr Sensibilität auf Seiten des Täters an.

Ihren Sohn hat er getötet. Auf einer Klassenfahrt in Spanien stach der heute 22-jährige Recklinghäuser 2009 seinem Mitschüler Luca Barbarotto (18) ein Messer in den Hals. Dafür wurde er wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe verurteilt. Doch im Schmerzensgeldprozess vor dem Landgericht Bochum sieht er sich als Opfer, fügt den Eltern des Toten neues Leid zu.

Aus nichtigem Anlass war der Streit entstanden, den er mit einem Stich in den Hals tödlich beendete. Im Strafprozess hatte er anfangs geleugnet. Die meisten Zeugen hatten aber ihn als Täter gesehen, keinen Unglücksfall. Vier Jahre und drei Monate Jugendstrafe bekam er, war nach zwei Jahren im offenen Vollzug wieder frei. Als die Angehörigen des Toten insgesamt 80.000 Euro Schmerzensgeld forderten, bestritt er seine Schuld wieder. Richter Andreas Laube, Vorsitzender der 2. Zivilkammer, warnte ihn in einem ersten Termin am 23. Mai 2013: Wenn er alle Zeugen höre, könnte der Betrag viel höher ausfallen.

Er muss sie am zweiten Verhandlungstag im November trotzdem vernehmen. Die Eltern des Toten hören wieder jedes Detail. Der 22-Jährige bittet dagegen erfolgreich darum, den Saal verlassen zu dürfen. Wenn er sich das alles wieder anhören müsse, könne er gleich in die Psychiatrie, erklärt sein Rechtsanwalt Friedrich Wolff. Ende Januar will der Richter eine Entscheidung verkünden.

Es sind nicht nur die Trauer und die Tränen von Beate und Calogero Barbarotto, den Eltern, die diesen Prozess prägen. Auch Zeugen stocken, wenn sie sich wieder daran erinnern müssen, wie der tödliche Stich den Hals von Luca am 6. Oktober 2009 traf und zwei Arterien durchtrennte. Nach kurzer Zeit fiel er ins Koma, starb nach vier Tagen in einem spanischen Krankenhaus.

Zeugen widersprachen dem Schüler

Wer den Stich geführt hatte, darüber gab es keine Zweifel. Doch der 17-jährige Mitschüler sprach anfangs von Notwehr, dass er aus Todesangst seine Arme mit dem Messer hochgerissen habe, weil Luca ihn angesprungen hätte. Eine Art Unglücksfall.

Erst im Strafprozess vor dem Landgericht Bochum räumte er schließlich ein, dass er gezielt zugestochen habe. Das war, nachdem viele Zeugen seiner Darstellung widersprochen hatten. Nur eine Zeugin hatte seine Aussage gestützt: Seine damalige Freundin, die später vom Amtsgericht Recklinghausen wegen Falschaussage zu 120 Stunden Sozialarbeit verurteilt wurde. Von Weinkrämpfen geschüttelt hatte die Schülerin gestanden, für den Freund gelogen zu haben.

Für Lucas Eltern tritt damit noch keine Ruhe ein. Als ihr Essener Rechtsanwalt Christian Schäfer für sie und die Schwester des Toten eine Schmerzensgeldklage über 80.000 Euro einreicht, bestreitet die Gegenseite fast jeden Anspruch. Das Geständnis im Strafprozess habe der Schüler lediglich auf Anraten seiner Anwälte abgelegt, um eine milde Strafe zu erhalten. Tatsächlich sei er attackiert worden, der Stich ein Unfall gewesen. Nie habe der Mandant töten wollen. Anwalt Wolff bestritt sogar, dass die Kosten für den Grabstein angemessen seien.

Richter regte Vergleich an

Im Mai hatte Richter Laube einen Vergleich über 100.000 Euro angeregt, den der Schüler ablehnte. Am 28. November versucht es der Richter erneut. Er versucht, bei Formalien nicht zu streng durchzugreifen. Denn warum sitzt bei dem volljährigen Schüler dessen Mutter, fragt Christian Schäfer, der Anwalt der Eltern Barbarotto. Er lasse das zu, sagt Laube. Dann listet er das Tatgeschehen auf, erinnert an die vielen Zeugenaussagen, die den Schüler belasten, einen gezielten Stich in Richtung Hals gesetzt zu haben. Laube richtet an den 22-Jährigen direkte Worte: „Sie müssen sich klar sein, dass Sie Schuld auf sich geladen haben. Im Unterbewusstsein wissen Sie, dass es kein Unfall war.“

Der Richter findet es auch nicht gut, dass der Anwalt des Schülers die Begräbniskosten angezweifelt hatte. Mehr Sensibilität fordert er: „Glauben Sie wirklich, die Barbarottos blähen das auf.“ Das Schmerzensgeld sei angesichts des Leids, das Luca selbst bis zu seinem Tode erlitten habe, sicherlich am unteren Rand anzusiedeln. Auch das Schmerzensgeld für die psychischen Folgen, mit denen Mutter, Vater und Schwester des Getöteten zu kämpfen hätten.

Schließlich willigt Anwalt Wolff ein, den ursprünglichen Vergleich über 100.000 Euro einzugehen. Doch jetzt wollen die Eltern Barbarotto nicht mehr. Mutter Beate: „Ich sehe nicht ein, dass er immer bestimmt, wie und wann es weitergeht.“ Sie erinnert daran, in welcher Sorge sie leben, seitdem der Schüler ihrem Sohn wieder die Täterrolle zugewiesen hatte. Der Richter fordert den Schüler zu einer Entschuldigung auf. Die kommt. Doch der 22-Jährige redet dabei meistens über sich, wie schlecht es ihm ergangen sei: „Das hat auch mein Leben zerstört.“ Mutter Beate Barbarotto will nichts mehr hören: „Echte Reue habe ich noch nie gesehen.“ Da schaltet sich die Mutter des Schülers ein. Von ihr will die Mutter des Getöteten nichts hören: „Sie haben uns genug Leid angetan.“ Die Andere erwidert: „Sie mir auch.“

Unbeteiligte Zeugen belasten den Schüler

Nein, es ist keine gute Prozessatmosphäre, auch wenn Richter Laube oft vermittelt, erläutert und Schärfe herausnimmt. Er zeigt Verständnis für Lucas Eltern: „Man muss respektieren, dass sich die Kläger mit ihrem Mandanten nicht gütlich einigen wollen.“ Es bleibt dabei. Der Schüler legt kein Geständnis ab. Mit Mutter und Bewährungshelferin, die ohne Ladung gekommen war, verlässt er den Saal, als die ersten Zeugen gehört werden. Unbeteiligt sind sie, weil sie von einer anderen Schule kommen. Sie alle belasten den Schüler. Anwalt Wolff, der vorher noch gesagt hatte, sein Mandant erinnere sich nicht an den Stich, streicht die Segel. Er brauche keine weiteren Zeugen, er glaube ihren Schilderungen, sagt er überraschend. Er habe die Pausen auch genutzt, um seinen Mandanten von einem Geständnis zu überzeugen. Aber das sei nach Rücksprache mit Mutter und Bewährungshelferin abgelehnt worden.

Jetzt wird es nur noch darum gehen, ob der Schüler anerkennt, dass Eltern und Schwester von Luca unter seinem Tod psychisch schwer leiden. Falls er die vorliegenden Bescheinigungen für Sozialgerichtsverfahren anzweifelt, müssen sie sich erneut begutachten lassen. Falls der 22-Jährige aber ihr Leid anerkennt, kann der Richter am 23. Januar bereits ein Urteil verkünden.

„Ums Geld geht es den Mandanten nicht“, betont Anwalt Christian Schäfer. Den Eltern sei bewusst, dass sie sich den juristischen „Titel an die Wand nageln können“, weil kaum etwas zu holen sei. Aber sie wollten ein Zeichen setzen, dass der 22-Jährige sich ein Leben lang daran erinnere, was er den Eltern genommen habe. „Wir haben lebenslänglich“, sagt Beate Barbarotto.