Hagen. Es ist ein Generationenprojekt, die Flüsse in NRW wieder „lachsfähig“ zu machen. Sogar an der Ruhr arbeiten einige Unerschrockene an diesem Unterfangen. Doch dafür müssten alle 53 Stauanlagen Fischtreppen haben. Die gesamte Ruhr für den Lachs durchgängig zu machen, würde wohl 220 Millionen Euro kosten.
Den Lachs wieder in NRW heimisch zu machen, war lange Zeit so unwahrscheinlich wie eine Oper am Amazonas zu bauen. Die Ruhr – war ein Schwefelfluss. Die Wupper – mal grün, mal blau, mal rot von der Färberei. Und selbst die Sieg – abgeriegelt mit Kraftwerken und Wehren wie eine Festung.
Aber es gibt ja Menschen, die haben Visionen. Und ausreichend Leidenschaft, um die ganz dicken Bretter zu bohren. Martina Richter zum Beispiel kann man vier Tage die Woche im „Lachszentrum Hasper Talsperre“ antreffen, wo sie die Fische päppelt, die einmal zum Laichen und Sterben die Flüsse Europas hinaufziehen sollen.
Rund 400.000 grüne Eier haben sie auch diese Saison wieder aus heimischen Gewässern gefischt, die Ehrenamtliche des Vereins „Atlantischer Lachs“ mit Sitz in Essen. Ein Verein im industriellen Zentrum Deutschlands will den Lachs retten!? Die Ruhrfischereigenossenschaft sitzt hier, die Vertretung der Hobby-Angler in der Region. Die 46-jährige Martina Richter aus Solingen ist eine von ihnen. Sie kontrolliert die Brutschränke in der mächtigen Staumauer, durchströmt vom kalten Wasser. Und bevor die Larven schlüpfen, bringen Richter und ihre Kollegen die Eier hinunter in die mit Spendengeldern gezimmerte Halle, wo die Fische in Becken aufwachsen.
Sie mussten die Lachszucht noch einmal neu erfinden
„Der Lachs ist einfach ein toller Fisch, und wir finden das Projekt gut.“ So einfach klingt das – Anglerin aus Überzeugung. Aber selbstverständlich ist es natürlich nicht, dass sich hunderte Angler aus halb Europa jedes Jahr in Hagen treffen, um die Lachse mit einem Schnitt in die Fettflosse zu markieren, bevor sie ausgewildert werden. Und der Verein musste die Lachszucht quasi neu erfinden.
„Sie bekommen das Know-How nicht“, sagt Chefzüchter Dietmar Firzlaff. „Alles Betriebsgeheimnisse.“ Heute weiß er: In den runden Becken muss außen eine Strömung herrschen, in der Mitte simulieren Gummimatten das Kiesbett. Und dass die Lachse draußen überhaupt eine Chance haben, ist das größte Wunder.
Besonders in Sieg und Wupper werden jedes Jahr Dutzende Rückkehrer gesichtet (es sind natürlich deutlich mehr, als gezählt werden). Flüsse müssen dafür komplett umgemodelt werden. Zu kleine Kläranlagen laufen über bei Hochwasser. Gelangt zu viel Dünger ins Wasser, wachsen die Algen und verbrauchen zu viel Sauerstoff. Man muss also Streifen entlang der Flüsse freihalten von Landwirtschaft.
Talsperren leiten zu kaltes Wasser aus der Tiefe des Sees durch ihre Turbinen. Sie müssen nachgerüstet werden mit Wassernehmern, die sich aus verschiedenen Temperaturschichten bedienen.
Vor allem aber versperren Wasserkraftwerke und Wehre den Wanderfischen den Heimweg. Das ist auch das große Problem der Ruhr, erklärt Dr. Heiner Klinger vom Landesamt für Umwelt (Lanuv). Weil man mit den knappen Geldmitteln in anderen Flüssen schneller Ergebnisse erzielen kann „gehört die Ruhr nicht zu den Vorranggewässern für den Lachs“. 53 Stauanlagen gibt es in der Ruhr, etwa zwei Drittel sind mit Fischtreppen versehen, um Aal, Bachforelle, Barbe oder Äsche das Hin- und Herwandern zu ermöglichen.
Die Kosten für die Ruhr wären immens
Aber die gesamte Ruhr durchgängig zu machen, würde wohl 220 Millionen Euro kosten – all die Interessenkonflikte einmal ausgeblendet –, zumindest kommt eine Studie der Ruhrfischereigenossenschaft von 2004 auf diese Zahl. Realistischerweise bleibt sie also gesperrt für den Lachs. Aber liegt es nicht im Wesen der Vision, sich gegen den Zeitgeist zu stemmen?
„Wir wollen eine Durchgängigkeit von der Mündung bis zum Baldeneysee hinkriegen“, erklärt Stefan Jäger, Geschäftsführer der Ruhrfischereigenossenschaft und des Atlantischen Lachs e.V.. Schon 2002 hat der Verein am Essener Deilbach Lachse ausgesetzt. In den drei Jahren darauf haben die Ehrenamtlichen sogar die Lachse mit einem umgebauten Boot, in einer Art offenem Käfig bis zur Rheinmündung in Duisburg geschleust, um sie ans Wasser zu gewöhnen.
Bis Mülheim haben sich Jahre später einige Rückkehrer durchgeschleust; vielleicht waren es auch Streuner. 2008 und 2009 haben sie hier sogar gelaicht; aber damals war auch eine Schleuse in Duisburg kaputt, weswegen eine zweite mit dreifacher Frequenz arbeitete. Dadurch wurde es leichter für die Fische, ihren Weg zu finden.
Es wird wohl viele Jahre, Millionen, Anträge und Gespräche kosten, bis die Sperren in Kettwig, am Baldeneysee und in Duisburg passierbar werden, erklärt Stefan Jäger. „Aber was wir für den Lachs schaffen, erreichen wir für viele Arten. Auch für den Menschen.“