Hagen/Schwerte. Gemeinsam mit der Frau eines Wachkoma-Patienten soll die Betreiberin eines längst insolventen Pflegedienstes die Versicherungen des Mannes betrogen haben. Die Ehefrau will von keinen Unregelmäßigkeiten gewusst haben. Am Donnerstag begann der Prozess in Hagen.

Es war ein Märztag vor sechs Jahren, als die Arzthelferin aus Schwerte ihren eigenen Mann wiederbeleben musste. Seit seinem Herz- und Kreislaufzusammenbruch liegt der Vater ihrer Kinder im Wachkoma, wird künstlich ernährt und beatmet, rund um die Uhr betreut. Die 45-Jährige pflegt ihn zu Hause, zieht den zwölfjährigen Sohn und die zehnjährige Tochter groß, geht arbeiten für den Lebensunterhalt der Familie. Und hat dabei wohl Fehler gemacht: Wegen „gewerbsmäßigen Betrugs“ sitzt sie als Angeklagte vor dem Hagener Landgericht.

Sie soll ihrem Mann unqualifizierte Kräfte ans Bett geschickt, sich Teile des ihm zugedachten Geldes von Kranken- und Pflegekasse in die eigene Tasche gesteckt haben. Gemeinsame Sache mit der zum wiederholten Male angeklagten Leiterin eines Pflegedienstes, so liest sich das aus der Anklage: „Die abgerechneten Leistungen wurden zu keinem Zeitpunkt erbracht“, sagt der Staatsanwalt. „Besser kann mein Mann nicht gepflegt werden“, entgegnet die Ehefrau, sie sagt immer „mein Mann“. „Ich bin da sehr hinterher.“

„Wir haben alle sehr gelitten“

Was also ist wahr an dieser so unbarmherzig klingenden Geschichte? Da sitzt die Betreiberin des Hagener Pflegedienstes, einschlägig vorbestraft, die mit ihrem Unternehmen „Sonnenschein“ wie ein solcher in das so brutal veränderte Leben der Familie gekommen sein muss. Die Erfahrungen für Intensivpflege vorgab, die sie gar nicht gehabt haben soll.

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Die, als sich der Zustand des Patienten verschlechterte und die Ehefrau die Betreuung allein nicht mehr schaffte, alles regelte, auch die Verträge mit den Versicherungen. Die, vor Gericht mit elegantem Kostüm und schwarzer Haarmähne, auf ihre Kundin einen so kompetenten Eindruck machte. Und nun strikt schweigt. Nur schaut.

Und neben ihr eben diese Kundin, die jeden Blickkontakt meidet: Sie wirkt nicht aus wie eine berechnende Frau, die Profit schlägt aus der Krankheit des Gatten, eher wie der selbstverständlich zupackende Typ. Der daheim angestrengt zusammenhält, was 2007 mit einem Mal aus den Fugen geraten ist. Sie klagt nicht, nur zwei-, dreimal an diesem ersten Prozesstag legen sich Tränen auf ihre Stimme, einmal entfährt ihr der Satz: „Wir haben alle sehr gelitten.“

Die Anklage sagt nichts darüber, wie viel Geld sie abgezweigt haben soll. Wohl aber, was Jadwiga G. einnahm: Zwölf Belege über insgesamt 51.025 Euro rechnete sie hier ab, 54 über 115.826 Euro da, und alle 128 eingereichten Rechungen hat die Kasse nach Aktenlage bezahlt. Monatliche Abrechnungen gibt es über 1470 Euro, unterm Strich sollen 277.696,51 Euro geflossen sein. Laut Vertrag hätte bis zu 14 Stunden am Tag gepflegt werden sollen, meist sollen es nur vier gewesen sein. Und auch der „Sonnenschein“ war irgendwann weg: Es tauchten neue Namen auf, von Insolvenz ist die Rede, von Strohleuten, die neue Pflegedienste mit den alten Angestellten führten.

Ehefrau verlor offenbar den Überblick, wer wann wie pflegte

Die 45-jährige Mitangeklagte aber sagt: „Ich dachte, dass alles seine Richtigkeit hat.“ Sie wisse nicht, „was abgerechnet wurde“, nicht einmal, wann wer wie gepflegt hat: „Ich musste doch arbeiten.“ Ob ihr nichts komisch vorgekommen sei?, fragt die Vorsitzende Richterin der 6. Großen Strafkammer, Elke Fiebig-Bauer, mehrfach ungläubig. Nein, „ich hatte so viele andere Dinge im Kopf“.

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Geld hat die zweifache Mutter dabei offenbar in der Tat bekommen, 3300 Euro seien es gewesen: nachdem ihr die Idee gekommen sei, als 400-Euro-Kraft für den Pflegedienst zu arbeiten, als Pflegerin des eigenen Mannes. „Ich war doch sowieso immer da.“ Kochte ihm Suppe, wusch, lagerte, rasierte ihn, wechselte Kanülen. Dass eine Anstellung von Angehörigen ungesetzlich ist, will sie erst später erfahren haben.

Und dass Jadwiga G. sie nie anmeldete, ihr nie einen Vertrag vorlegte, einen solchen auch nie erfüllte, nur hin und wieder gestückelte Zahlungen übergab, selbst das machte sie nicht stutzig: „Frau G. war Nebensache“, sagt die 45-Jährige. „Einen Gewinnverteilschlüssel hat es nie gegeben.“

Inzwischen bekommt sie tatsächlich wieder Pflegegeld. Ganz offiziell von der Krankenkasse. Dafür hat diese die Pflegestunden des neu angestellten Dienstes deutlich reduziert.