Ruhrgebiet. . Viele Städte im Ruhrgebiet haben Flächen für Graffiti freigegeben. Sprayer dürfen dort ganz legal arbeiten. Das Bochumer Modellprojekt ist längst international bekannt, der Tunnel unter der Uni-Zufahrt gilt in der Szene als „Hall of Fame“. In Datteln versucht man sich gerade an einer ersten Aktion.

Sie hatte es sicher gut gemeint, die Stadt Datteln, als sie im Februar Graffiti-Künstler einlud, die Stadt zu verschönern – legal. Sieben Verteilerkästen wolle man ihnen „und allen, die gerne mit der Spraydose hantieren“ zur Verfügung stellen; nach Begutachtung des Entwurfs, Rücksprache mit der und Freigabe durch die Stadt könnten die Kästen besprüht werden, heißt es im Aktionsaufruf, der mit dem Satz endet: „Farbe und Ideen bringen die Sprayer mit.“

Gut gemeint, sicherlich. Aber vielleicht nicht das, was ein junger Wilder als kreative Herausforderung versteht? Die Resonanz, jedenfalls, war wohl verhalten. Dass sich nur ein einziger Interessent gemeldet habe, mochte man gestern bei der Stadt Datteln allerdings nicht bestätigen. Man wollte zum Thema gar nichts mehr sagen.

„Sie meinen diese 1,50 mal 1,50 Meter großen Verteilerkästen, echt?“, fragt Daniel Schreiber, auf Datteln angesprochen, ungläubig nach. „Zu klein, viel zu klein!“ Eine solche Mini-Fläche könne doch seine Tochter „mit ihrem Kindergarten bemalen“, erklärt der Hattinger Sprayer (36); für ein Graffiti brauche es viel mehr Platz. „Je mehr, desto besser.“

Graffiti macht Tunnel schön

Foto: Uwe Schaffmeister
Foto: Uwe Schaffmeister © Uwe Schaffmeister
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Schreiber, der als Jugendlicher selbst illegal arbeitete, später Kunst studierte und heute für Auftragsarbeiten, die er hobbymäßig übernimmt, gern auch mal 4000 Euro bekommt, nennt das Dattelner Projekt dennoch eines, „das in die richtige Richtung geht“. Man sehe das am Niveau der Graffiti. Seit man sich vielerorts legal austoben dürfe, sei die Qualität gestiegen.

Illegale Arbeiten gelten rechtlich als Sachbeschädigung

Tatsächlich geht es Städten, die Flächen für Graffiti freigeben, nicht um die Kunst an sich. Sondern auch um Kosten. Denn die Beseitigung ungewollter Kunstwerke, die dann auch niemand mehr so nennt, ist aufwändig und teuer. Die Deutsche Bahn etwa beziffert ihren „Graffiti-Schaden“ auf 50 Millionen Euro jährlich. Allein für die Sanierung verunstalteter Bahnhöfe in NRW habe man 2012, so Bahn-Sprecherin Andrea Brandt, 1,2 Millionen Euro ausgegeben. Der Haus- und Grundeigentümerverband schätzt den bundesweiten Aufwand auf 500 Millionen Euro, die Hälfte davon hätten private Eigentümer zu tragen. „Im Einzelfall können die Kosten für einen Hausbesitzer im fünfstelligen Bereich liegen“, sagt Werner Weskamp, Geschäftsführer von Haus & Grund Ruhr.

Rechtlich wird illegales Sprayen als Sachbeschädigung gewertet, dem Täter droht unter Umständen sogar eine Freiheitsstrafe. Für den entstandenen Schaden muss er aufkommen. „Manche zahlen daran jahrelang, die verbauen sich ihre ganze Zukunft“, weiß Weskamp. Jeder dritte illegale Sprayer wird erwischt; wenigstens in Essen, so Lars Lindemann, Sprecher der Polizei: „35 Prozent der 1800 Delikte, die 2012 in unserem Zuständigkeitsbereich gemeldet wurden, konnten aufgeklärt werden.“ Erst kurz vor Ostern habe man im Stadtteil Werden drei Sprayer festgenommen, denen 77 Straftaten nachgewiesen werden konnten.

Die Szene reguliert sich weitgehend selbst 

Nils Better war der Preis irgendwann zu hoch. Der heute 25 Jahre alte Sprayer aus dem Revier, der seinen richtigen Namen hier nicht lesen möchte, gibt zu, dass er früher nicht nur da seine Tags hinterließ, wo es erlaubt war. „Der Kick ist ein anderer.“ Doch als er erwischt wurde und die fälligen Sozialstunden abgeleistet hatte, sei ihm klar geworden: „So billig kommst du nie wieder davon. Und das war es mir nicht wert.“ Noch immer geht Better gern zur Wand. Doch heute beschränkt er sich auf legale Projekte, befürwortet sie auch grundsätzlich („lockert die Szene auf!“). Vor allem, wenn – anders als in Datteln – das Material gestellt und wenigstens die Anreise bezahlt werde.

Viele Sprayer sehen das inzwischen wie er. Und viele Städte ebenso. Überall im Revier schufen sie Freiraum für das, was einst als Schmiererei, als Vandalismus galt. Die erste Stadt, die sich traute, war Bochum. Hier wurde im Winter 1998/99 die Idee für ein Modellprojekt geboren, das heute Sprayer aus der ganzen Welt anlockt. Der lange Tunnel unter der zentralen Uni-Zufahrt gilt ihnen als „Hall of Fame“, als Ruhmeshalle. Erst am vergangenen Wochenende trafen sich hier Sprayer aus Brüssel, Köln, Luxemburg, Bochum und Dunkerque für ein Gemeinschaftswerk. Insgesamt 20 Flächen in der Stadt dürfen heute bemalt werden, die meisten davon: rund um die Uhr, ohne Anmeldung, ohne Kontrolle. „Es gibt Regeln, aber die Szene reguliert das weitgehend selbst“, sagt Jürgen Kotbusch, der Streetworker, der das anfangs heftig umstrittene Projekt betreut. Die Sachkosten belaufen sich auf jährlich rund 3000 Euro; die Zahl illegaler Graffiti ging dafür drastisch zurück.

„Benutzt bitte kein Bitumen“

Der Flyer, der in Bochum neuen Sprayern in die Hand gedrückt wird, endet übrigens mit folgendem Satz: „Benutzt bitte kein Bitumen zum Vorstreichen. Wenn Bitumen aushärtet, reißen die Bilder je nach Witterung früher oder später, und der Lack platzt ab.“