Dortmund. . Viele Jugendliche fliehen ohne Familie aus Kriegen und Krisengebieten. Über 80 sind sie im Moment bei der Auslandsgesellschaft NRW. Für die Christen unter ihnen werden die Weihnachtstage besonders schwer.

Auf der Weihnachtsfeier hat Daniel die Weihnachtsgeschichte auf Aramäisch vorgelesen; die Sprache Jesu ist die seiner Mutter, daheim im Irak. Dann hat der 17-Jährige auch ein Geschenk bekommen, er hatte nur einen kleinen Wunsch gewagt: „Ein Bild für Jesus oder Maria.“ Seinen großen, den wahren Wunsch kann ihm niemand erfüllen: Daniel möchte nach Hause, zu seiner Familie. Doch er kann nicht zurück in den Krieg, vor dem er im Sommer geflohen ist.

Über 80 sind sie im Moment bei der Auslandsgesellschaft Intercultural Academy in Dortmund, Jungen und Mädchen wie Daniel: Flüchtlinge, „minderjährig und unbegleitet“, wie das in der Amtssprache heißt – Jugendliche also, die sich allein aus Krisengebieten retteten. Sie wohnen in Übergangsheimen oder Wohngruppen und haben im Deutschunterricht Wunschzettel geschrieben, im November schon. Sie haben sie aufgehängt in einer mageren Fichte; so viele Nadeln der Wunschbaum seither gelassen hat, so viele neue Wörter haben sie gelernt.

Jones ist der Sohn eines muslimischen Vaters und einer christlichen Mutter

Einen „bunten, warmen Schal“ haben sie aufgeschrieben, es ist so kalt im deutschen Winter, Sporttaschen und deutsche Pässe – und „Gott hilft Kindern in der Welt“. Denn es sind ja Christen unter ihnen, die noch halbe Kinder sind und zu Weihnachten nun allein in der Fremde. Jones, zum Beispiel, hat früher in Mali in der Kirche getanzt, nun wird er in die Stadtkirche gehen am Heiligen Abend, und er ahnt, es wird anders. Ob er Heimweh hat? Jones, 17, kennt das Wort nicht, er kann ja auch nicht heim: „Jemand macht mich tot.“

Mit seinen Eltern haben sie das gemacht. „Es gibt Probleme in meinem Land“, Malis Islamisten greifen nach der Macht, und Jones ist der Sohn eines muslimischen Vaters und einer christlichen Mutter. Sie starben im Frühjahr in ihrem brennenden Haus, ihr einziges Kind floh nach Ghana, aber „was soll ich da“? Jones fühlt sich nicht sicher, nirgends in Afrika, ein Bekannter hat ihn schließlich zum Flughafen gebracht. Es war ein Mittwoch, 9 Uhr, als er in Deutschland landete. Zu Weihnachten hat sich Jones einen BVB-Schal gewünscht, wie die Leute „sich umziehen in Schwarz und Gelb, das gefällt mir sehr gut“, aber er denkt nicht gern an das Fest. „Ich erinnere mich, ich mache mir Sorgen.“

Steve hat nie zuvor Geschenke bekommen

Sein Freund Steve hat nie zuvor Geschenke bekommen, „wir waren arm“. Der 17-Jährige von der Elfenbeinküste hatte schon lange keine Eltern mehr, als der Bürgerkrieg begann. Am 2. Februar sind die Soldaten in sein Dorf gekommen, „ich habe viele Freunde verloren“, und Steve rannte, hinaus in den Wald, über die Grenze nach Ghana, „ich kann nicht in mein Land zurück“. Jeden Tag hat er gebetet, bis ihn unbekannte Helfer in ein Flugzeug steckten. Steve hatte Angst, er strandete in einem Land, das „Germany“ heißt und in dem es etwas gibt, das er nicht kannte: „Asyl“. „Was werde ich machen, ich kenne niemanden hier, ich nicht deutsch sprechen“, nicht einmal englisch – als Ivorer spricht man Französisch.

Steve hat noch einen Bruder in Afrika, „immer denke an Bruder“, es ist das erste Mal, dass sie zu Weihnachten nicht zusammen sind. „Freu dich, dass du in Deutschland bist“, hat die Frau zu ihm gesagt, die sich in Dortmund um ihn kümmert, und Steve freut sich ja. Aber er meint seinen Bruder, wenn er sagt: „Ich weiß, ich bin nicht allein.“ Der 17-Jährige hat sich einen Fußball gewünscht, aber noch etwas anderes, das man nicht kaufen kann: „Für die Kinder in der Welt Frieden und kein Krieg.“

Daniels Eltern hätten genau das gern all’ ihren Kindern geboten, in ihrem christlichen Dorf im irakischen Norden. Aber sie haben „nicht genug Geld für alle“, deshalb haben sie nur ihren Ältesten geschickt. Daniel kam über die Türkei und Griechenland nach Dortmund, Tage und Wochen dauerte das, mit nur ein paar Keksen, versteckt in einem Lkw. Er ist ein schüchterner, verängstigter Junge, der seinen wahren Namen nicht nennen will und auch kein Foto von sich in der Zeitung sehen. Er erzählt von Bomben in seinem Dorf, von toten Nonnen, von „viel Blut“, und er zittert dabei.

Trost, Hoffnung und Sehnsucht

Ob er froh ist, dass er weit weg ist von diesem Krieg? „Meine Familie ist nicht da“, sagt er. Und noch leiser: „Wir sind hier Ausländer, das ist nicht schön.“ Die Deutschen werden ihm sein Jesusbild schenken, aber warum, Daniel: weil du Trost brauchst? Daniel zieht den Kopf noch etwas tiefer zwischen die Schultern. Hilfesuchend schaut er zu seiner Deutschlehrerin. Trost?

„Das hatten wir doch schon“, sagt Steve, diese ganzen Wörter, Trost, Hoffnung, Sehnsucht. Und dann langt er hinüber und legt den Arm um Daniel. Einen kurzen Moment lang hält er ihn freundlich fest: der Junge von der Elfenbeinküste den kleinen, traurigen Iraker. „Das ist Trost.“