Essen. Die letzten Kriegsgefangenen kehren nach Hause zurück, der Wiederaufbau läuft, die Jugend rebelliert: Die 50er-Jahre waren eine spannende Zeit. Wir hatten unsere Leser aufgerufen, aus ihren Erinnerungen zu berichten – und es kamen viele, viele Beiträge per Post oder E-Mail in die Redaktion: Allesamt interessante, amüsante, anrührende Geschichten.
Ja, so waren sie, die „50er“! Wir hatten unsere Leser aufgerufen, aus ihren 50er-Jahren zu berichten – und es kamen viele, viele Beiträge per Post oder E-Mail in die Redaktion: Allesamt interessante, amüsante, anrührende Geschichten. Alle Episoden sind – und genau darum geht es – typisch für jene Zeit.
Hier finden Sie erste Beträge. Zum Teil stark gekürzt – leider, doch es sollen ja möglichst viele Leser zu Wort kommen. Aber wir werden noch mehr Geschichten bringen. Und in dem geplanten Buch werden die Beiträge dann weitestgehend ungekürzt erscheinen.
Wie die Helden ihrer Zeit ins Ruhrgebiet zurückkehrten
Mein Vater Erich Gust ist als Spätheimkehrer am 30. Dezember 1953 aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Neun lange Jahre lagen hinter ihm, er war in Stalingrad und im Ural im Arbeitslager. Jahre der Entbehrungen, der harten Arbeit, des Hungers, des Schmerzes. Dazu der Verlust der Heimat, von Hab und Gut und die Qualen der Seele.
Das Ruhrgebiet, Mülheim, sollte seine neue Heimat sein. Obwohl seine Geschwister hier lebten, war er hier fremd. Eben ein Flüchtling.
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Vater und auch Mutter sprachen nicht viel über diese schwere Zeit, beklagten sich nicht, hegten keinen Groll oder Hass, nahmen ihr Schicksal an und versuchten das Beste daraus zu machen. Sie versuchten sich einzuleben, Arbeit zu finden, Bekanntschaften zu knüpfen, eben neu anzufangen. Die Geschwister halfen dabei, ein Zusammenhalt, der einmalig war.
Eine kleine Wohnung, das Klo auf halber Treppe
Die ersten Jahre waren schwer, sehr schwer, aber aufgeben gab es nicht. Vater fand Arbeit als Bohrer, Mutter als Hausmädchen. Vater und Mutter arbeiteten viel, sehr viel, und sie waren sparsam, immer!
1955 wurde geheiratet und eine kleine Wohnung mit Klo auf halber Treppe im Treppenhaus bezogen. Ein Badezimmer gab es nicht, man hat sich in der Küche gewaschen. Kernseife wurde dazu benutzt, Stampfkartoffeln gab es mit Buttermilch, man genoss Muckefuck, und Strümpfe wurden gestopft.
Nicht nur meine Eltern hatten es schwer, es ging vielen Menschen so, sie sind für mich die Helden ihrer Zeit! Gisela Weining, Mülheim
Im Petticoat zum Cha-Cha-Cha ‘58
Beim Tanzkränzchen: War man ein junges Mädchen, dann trug man Pferdeschwanz, einen seitlichen Zopf oder Löckchen auf dem Kopf und dazu natürlich das ärmellose, taillenenge Sommerkleid mit Petticoat. Die jungen Männer trugen dunkle Anzüge und Krawatte, die Haare waren kurz und manchmal ganz gewagt mit „Elvis-Locke“.
An der Tanzfläche saß man sich in westfälischer Manier in Stuhlreihen gegenüber. Wie man zum Tanzen auffordert, lernte man als Junge – und stürzte auch manchmal der Länge nach aufs Parkett, wenn man die Beine um die Stuhlbeine gewunden und dieses vergessen hatte, weil man so unbedingt eine bestimmte Weiblichkeit auffordern wollte.
Es gab den Mittelball und den Schlussball unter den Argusaugen der Eltern und man zeigte in wippenden Kleidern mit viel Spitze und Tüll, dass man Cha-Cha-Cha tanzen konnte und sogar den Wiener Walzer. Weingläser standen auf den Tischen, alles war ein bisschen förmlich und steif, aber missen möchte das erste gesellschaftliche Ereignis niemand. Ingka Popis, E-Mail
Teenager-Rebellion mit "Außer Rand und Band"
1956: Ich war 19, da kam der Film „Außer Rand und Band“ (engl. Titel: „Rock Around The Clock“) mit Bill Haley in die Kinos, auch ins Industrie-Theater in Gelsenkirchen. Es war die Zeit der Teenager-Rebellion. Nach dem Kinobesuch ging die Post auf der Straße ab, das Singen und Tanzen wurde mit unterschiedlichem Talent nachgeahmt.
Bei den Erwachsenen kam das nicht so gut an, und die Polizei war jeden Abend präsent. Mein Pech war, dass ich an einem Abend auf dem Heimweg mit mehreren Jugendlichen festgenommen wurde und für ein paar Stunden in Untersuchungsarrest kam.
Klaus Gerhard, Herne
Im Tante-Emma-Laden ließ man notfalls anschreiben
Im Gegensatz zum heutigen Supermarkt waren wir Kunden im Tante-Emma-Laden persönlich bekannt. Viele unserer Nachbarinnen, so Frau Rusewitz mit sechs Kindern, ließen anschreiben, wenn das Haushaltsgeld kurzfristig nicht mehr reichte. Das war sozusagen ein zinsloser Kredit, der am Zahltag des Mannes zurückgezahlt wurde. Das alles nahm man nicht verschämt vor, sondern öffentlich.
Die Waren wurden in dem Laden in jeder gewünschten Menge abgewogen und in braune Papiertüten gefüllt. Bonbons kauften wir Kinder einzeln, wenn wir mal eine 5-Pfennig-Münze oder gar zehn Pfennige, einen Groschen, ergatterten.
Im Keller lagerte die Kohle für die Bolleröfen in den Wohnungen, in jedem Zimmer einer. Die meisten konnten sich allerdings nur einen einzigen beheizten Raum leisten. Das war üblicherweise die Wohnküche. An Einscheibenfenstern bildeten sich Eisblumen. Während der Heizperiode wurde ich morgens dadurch geweckt, dass im Haus ein Gerappel losging, wenn in den Kohleöfen die restliche Asche auf dem Rost in die Auffanglade der Öfen gerüttelt wurde. Wer mit dem Schneedienst dran war, streute die Asche gegen das Ausrutschen auf dem Gehweg aus. Inge Stempel, Witten
Chris Howland alias „Heinrich Pumpernickel“ im Radio
„Omma“ und „Oppa“ besaßen schon ein Loewe-Opta-Radio mit UKW. Meine Eltern quälten sich, oder besser, eher mich, noch mit einem Nachfolger des Volksempfängers. Da Oma und Opa aber nur hundert Meter entfernt wohnten, war’s klar, dass ich mir „Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv“ oder „Paul Temple und der Fall … soundso“ nicht entgehen ließ. Das Größte war, wenn „Melody Fair“ von Robert Farnon erklang, mit dem Chris Howland alias „Heinrich Pumpernickel“ seine „Spielereien mit Schallplatten“ einleitete.
Es war ein Glücksfall, dass in unserer Straße ein Elektroladen aufmachte, in dem auch Schallplatten verkauft wurden, was der jugendliche Sohn des Inhabers übernahm. Was lag da näher, als mich mit selbigem anzufreunden. An der Platten-Theke fühlte ich mich wie zu Hause. Wir spielten die aktuellen Scheiben rauf und runter, die dann noch als „neu“ verkauft wurden.
Gerd Maikämper, E-Mail