Essen . Übergewichtige fühlen sich im Alltag und im Job häufig schlecht behandelt. Man macht Witze auf ihre Kosten. Sie sind gefundenes Fressen für Lästermäuler. Und wer gehänselt wird, wird keine Führungskraft. Betroffene berichten über Hänseleien und Diskriminierung.
Früher wäre sie nicht so einfach mit einem Eis in der Hand die Fußgängerzone entlang spaziert. Da hätte sie sich ertappt gefühlt. Weil sie diese dummen Sprüche kennt. „Dicke müssen sich doch immer entschuldigen, wenn sie was essen“, sagt Darinka Skvorc. „Aber mit den Jahren wird man abgebrüht. Dann kriegen die, die einem dumm kommen, Zunder.“
Früher, als junge Frau, da haben ihr die Kinder Sprüche wie „fettes Schwein und sowas“ hinterher gerufen. „Man tut so, als hört man es nicht. “ Heute würde sie sich umdrehen und sagen: „Guckt euch mal Eure Mütter an. Ist doch wahr, die sind doch meistens auch dick und fett.“ Gemein, aber egal.
Darinka Skvorc aus Essen ist 51 Jahre alt. Was sie wiegt? Weiß sie selbst nicht so genau. Auf die Waage gehen am liebsten die Dünnen. Aber sie weiß, es ist noch gar nicht so lange her, dass sie über 135 Kilo wog. Einige Kilo hat sie verloren. Jetzt hat sie wieder was anzuziehen. Schicke karierte Bluse („ganz schön schwer zu kriegen“), eine Jeans, die in Größe 48 sogar ein bisschen schlackert. Sie kann sich darüber freuen. Aber ihr Arzt, von dem sie gerade kommt, setzt ihr zu. „Ich soll abnehmen. Ist ja nicht gesund, so dick.“ Das Herz, die Beine.
Schwere Worte
Sie hat noch nichts gehört davon, dass der „Verein Dicke e.V.“ in Berlin so schwere Worte wie „Diskriminierung“ in den Mund nimmt. Die organisierten Schwergewichtler machen der Bundesregierung Dampf. Schluss soll sein damit, dass Dicke keine Beamten werden dürfen. Dicke, so sagen die vereinigten Dicken, würden sogar von Amtsärzten angeleitet, per Crash-Kurs abzunehmen. Was ja viel ungesünder sei, als einfach nur dick zu sein.
„Ja, als Dicke wird man schief angeguckt“, sagt Darinka Skvorc. „Aber im Beruf hatte ich nie Nachteile. Ich war dreißig Jahre beim selben Arbeitgeber. Hab geputzt für ‘ne Reinigungsfirma.“ Und auch zur Zwangs-Diät hat sie noch keiner verdonnert. „Ich ess’ sowieso nicht viel. Ehrlich.“ Dass Sonntag Antidiät-Tag ist, lässt sie also kalt.
Ob dick oder dünn, im Job sei es egal, sagt Hans-Georg Grein von der Arbeitsagentur Duisburg. „Das ist ja im Antidiskriminierungs-Gesetz geregelt.“ Aber er sagt auch, dass manche Berufe einfach nicht passen. Die Schönheitsbranche etwa habe ihre eigenen Gesetze. „Mal so gesagt: Ich bin jetzt fast sechzig. Wenn ich mich für einen Job in einem Modehaus für Kiddis bewerben würde, wäre das ja auch fehlplatziert.“ Grein spricht von „bestimmten Voraussetzungen“, die man für einen Beruf mitbringen sollte. „Ja, aber Diskriminierung, nein, das habe ich noch nicht erlebt.“
Der böse JoJo-Effekt
Lisa Müller (61, 80 Kilo) muss schmunzeln. „Es stimmt doch. Dicke werden diskriminiert. Ich war Bankkauffrau. Und immer wenn ich was gegessen habe, spürte ich schon die Blicke der Kollegen im Rücken.“ Dabei hätte ihr Arzt geraten zu essen, damit der Körper sich nicht an zu wenig gewöhne. Der böse JoJo-Effekt. Die Essenerin sagt, Dicke würden oft nicht für voll genommen. Sind gefundenes Fressen für Lästermäuler. Wer gehänselt wird, wird keine Führungskraft.
Diskrimiert? Wilfried B. lacht ein trauriges Lachen. „Ich bin Modellschlosser. Krieg aber schon seit über zwei Jahren keinen Job.“ Er ist ein fülliger Mann, sicher weit über die Hundert-Kilo-Grenze. „Meine ganzen Verwandten sind ja auch dick“, sagt er ein bedröppelt. Richtig dick geworden sei er aber während der Arbeitslosigkeit. Ob er deshalb keinen Job kriegt? „Das würde einem ja so keiner sagen.“
Abnehmen würden sie schon alle ganz gerne. Doch wie? Die meisten behaupten von sich, sowieso so gut wie nichts zu essen. Christiane Liebknecht (21) und Freundin Linda Pütz (19) essen zwar nicht „nichts“ – aber sie achten auf Kalorien und sind ständig in Bewegung. „Wie oft gehe ich mit dem Hund raus! Nützt aber nix“, sagt Christiane Liebknecht. Sie lassen sich die Laune nicht verderben, werden sich was Leckeres gönnen, trotz Kleidergröße Richtung XXL. „Da, wo ich studiere, zählt das, was du kannst“, sagt Christiane. Sie studiert in Bochum Film. Und Linda ist Erzieherin: „Die Kinder hänseln einen zum Glück nicht.“