Haltern am See. In einem Waldstück in Haltern-Holtwick wurde ein Flugzeugwrack aus dem 2. Weltkrieg gefunden. In rund sechs Meter Tiefe liegen die Reste einer Focke Wulf 190, die kurz vor Ende des 2. Weltkriegs abgestürzt ist. Historiker sind immer noch auf der Suche nach den Leichen von Vermissten.

Es riecht beißend nach Benzol in diesem Waldstück der Hohen Mark bei Haltern am See. Eigentlich eine grüne Idylle, die Vögel zwitschern fröhlich. Kaum etwas hat 70 Jahre lang darauf hingedeutet, dass hier einmal das Kapitel eines ganz großen Dramas aufgeschlagen wurde, das letzte Kapitel.

Dass hier, wo die Bagger ein riesiges Loch in den Waldboden wühlen, ein junger Mensch seinen Tod fand, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein Pilot der Deutschen Luftwaffe, wahrscheinlich um die 20 Jahre alt in einem wahnwitzigem Kampf, im letzten Aufgebot gegen die übermächtigen Alliierten. Abgeschossen über Haltern raste er mit Höchstgeschwindigkeit auf dieses Waldstückchen zu. Seine Maschine bohrte sich metertief in den Boden, ist zusammengedrückt wie eine Konservendose.

Wer war dieser Pilot? Bekommen seine Angehörigen jetzt endlich Gewissheit? Sitzt er vielleicht sogar noch – halb verwest – hinter dem Steuerknüppel seiner Focke Wulf 190? Ein Kampfmittelräumdienst im Auftrag der Bezirksregierung Arnsberg und der Hobby-Historiker Adolf Hagedorn (68) versuchen, das Rätsel zu lösen. Und plötzlich wird aus Geschichte Gegenwart.

Kampfmittelräumer bergen Motor und Kurbelwelle

Abgestürzter Weltkriegsflieger geborgen

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    Das Loch misst Ende vergangener Woche schätzungsweise 15 mal 15 Meter, ist sechs Meter tief ausgebaggert und die Männer im Wald kommen der Lösung der zweitwichtigsten Frage Schaufel für Schaufel näher: der Werksnummer des Jagdfliegers, mit der sie in den Archiven ermitteln können, wen es in jenen Märztagen 1945 erwischt hat. Schon haben die Kampfmittelräumer den Motor und das Gehäuse der Kurbelwelle geborgen, die Bordkanonen und Munition, vor allem aber den Kopfpanzer des Flugzeuges.

    „Das deutet darauf hin, dass der Pilot es nicht mehr geschafft hat, rechtzeitig auszusteigen, mit dem Fallschirm abzuspringen“, erklärt Hagedorn. Man habe schon Piloten in ihren luftdicht abgeschlossenen Gräbern gefunden, deren Körper noch erstaunlich gut erhalten gewesen seien. „Das ist kaum zu glauben, die fallen achttausend Meter vom Himmel und Jahrzehnte später findet man bei ihnen eine vollständig erhaltene Brieftasche.“

    Oder eine Navigationskarte, wie sie der Bagger aus dem Loch bei Haltern gerade zutage fördert. Eingeschweißt in eine Plastikhülle wirkt sie wie neu. So wie die Kipphebel, die aus der Erde gezogen werden, oder die Ventile des 14-Zylinder-Sternmotors: „Die könnte man sofort wieder irgendwo einbauen.“ Hoffentlich nicht.

    Hagedorn ist sich sicher, dass die Mission Erfolg haben wird. Vor 25 Jahren wurden die Flugzeugtrümmer zwar schon lokalisiert, aber erst jetzt wird nachgeforscht, weil man nach einem ganz bestimmten Jagdflieger sucht: Feldwebel Otto Friedrich. Seit der Bergung des Motors aber steht fest: Friedrich war es nicht, der die Maschine geflogen hat. Er steuerte eine Focke Wulf mit Reihenmotor, nicht mit Sternmotor, darin sind sich die Forscher einig. Die Suche hat also wieder ein völlig offenes Ende, aber immer mehr Details können Aufschluss über die Identität des Toten geben, den man unter Umständen in diesen Tagen im Loch in der Hohen Mark finden wird.

    Grausigstes Kapitel deutscher Geschichte

    36 Absturzorte gibt es allein rund um Haltern. Längst sind nicht alle Trümmer geborgen. Noch lange nicht ist damit hierzulande das grausigste Kapitel der deutschen Geschichte abgeschlossen, wenn man derartiges überhaupt abschließen kann. Hagedorn und eine Gruppe niederländischer Forscher suchen immer noch nach Vermissten, nach ganz konkreten Namen: Leutnant Walter Siebenmark beispielsweise oder den Kanadier Dick Audet: 40 deutsche Jagdflieger lieferten sich am 1. März 1945 ein Luftgefecht mit Kanadiern, hoffnungslos unterlegen.

    Ein aussichtsloses Unternehmen völlig verzweifelter, blutjunger Soldaten, deren Leben schon mit ihrem ersten Einsatz besiegelt war: „Statistisch gesehen, hatten die deutschen Jagdflieger zehn Tag zu leben“, weiß Hagedorn. „Die hatten keine Chance zu überleben, allein schon wegen der technischen Mängel, mit denen deutsche Flugzeuge am Ende des Krieges produziert wurden. Manche waren so krumm, die konnten nicht einmal geradeaus fliegen.“

    Weil sie ihr Ende erahnten, hielten es die Jagdflieger nur berauscht aus, wenn sie in ihre Todes-Einsätze geschickt wurden: „Ohne eine halbe Flasche Cognac ging gar nichts“, macht Hagedorn deutlich. 17 Jahre alt sei der Jüngste unter ihnen gewesen, keine 30 Flüge Erfahrung, „die sind einfach nur verheizt worden“.

    Die Suche geht weiter

    Die Bagger graben das Loch in der Hohen Mark immer tiefer, bergen Einzelteil für Einzelteil, sogar ein Stück Panzerglas aus der Pilotenkanzel. Aber am Montagnachmittag kommt nichts mehr zutage, und es steht fest: Es sitzt kein Leichnam an Bord, vielleicht liegen seine Überreste an anderer Stelle, irgendwo hier im Wald.

    Hagedorns Suche geht also weiter, er will Teile der vielen anderen Flugzeugwracks rund um Haltern aufspüren. Und dann will er den möglicherweise geborgenen Toten eine würdige Ruhestätte geben. Einen Ort, wo seine Angehörigen an ihn denken können. Einen Ort, wie Hagedorn ihn auch für seinen eigenen Vater gerne hätte. Er wird seit dem 28. April 1944 vermisst. „Man hat ihn bis heute nicht gefunden“, sagt er.