Gelsenkirchen.. Das „Suchprojekt Istanbul“ war erfolgreich. Sema Inanc fand nach drei Wochen Recherche den Neffen eines Soldaten aus dem 1. Weltkrieg. Der war in der Dardanellenschlacht in der Türkei gefallen. Rolf Bettaque brachte Feldpost mit ins Berger Feld.

Damit hatte an der Gesamtschule Berger Feld niemand so schnell gerechnet: Nur drei Wochen Recherche reichten der Schülerin Sema Inanc (17), um den Neffen eines im 1. Weltkrieg in der Türkei gefallenen Soldaten ausfindig zu machen – und in die Schule zu holen. Am Dienstag wurde Rolf Bettaque (89) mit großem Bahnhof an der Adenauerallee empfangen. Und der Senior avancierte mit seinem nordischen Humor und einer Stimme wie Käpt’n Blaubär ganz schnell zu aller Liebling.

Das Friedensprojekt, an dem Sema teilnimmt, gibt es schon länger an der Gesamtschule. Bereits seit 13 Jahren recherchieren Schüler in diesem Geschichtsworkshop jeden Dienstag in der sechsten Stunde Schicksale von im 1. Weltkrieg gefallenen Soldaten und versuchen, anhand von deren Namen Angehörige ausfindig zu machen. Nur: In 13 Jahren hat das lediglich vier Mal geklappt. Sema reichten drei Wochen für einen Treffer.

Mit ihren Recherchen rannte die Schülerin bei Rolf Bettaque offene Türen ein – obwohl er seinem Onkel Rudolf Lothar Bettaque niemals begegnet war. „Ich mache für die Familie die Ahnenforschung“, sagt der 89-Jährige. Fast ein Jahrhundert lang galt der Onkel als verschollen.

Feldpostkarte

Im Alter von 26 Jahren war der beim Torpedo-Sonderkommando stationierte Soldat während der Dardanellenschlacht auf der türkischen Halbinsel Gallipoli am 7. Mai 1916 ums Leben gekommen. Noch zwei Tage zuvor er eine Feldpostkarte nach Hause geschickt und sich für ein Weihnachtspaket bedankt. Und diese Karte brachte sein Neffe mit ins Berger Feld. „Aber es lässt sich noch ertragen“, schreibt Rudolf Lothar Bettaque. Als die Karte die Heimat erreichte, war er bereits tot.

„Es gab nur wenige Unterlagen“, sagt Rolf Bettaque. „Insofern wusste ich nur ungefähr über ihn Bescheid.“ Zwar habe er keinen emotionalen Kontakt zu seinem in Hamburg-Blankenese geborenen Onkel gehabt, aber Sema habe „eine große, wichtige Lücke geschlossen.“

Nachdem sie sich durch Gräberlisten und Archive des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge, Telefonbücher und Adresslisten gearbeitet hatte, hatte sie schließlich jemanden in der Leitung, der etwas mit dem Namen Rudolf Lothar Bettaque anfangen konnte: seinen Neffen, der heute in Reinbek in Schleswig-Holstein lebt.

Forschungsprojekt

Aber wie war Sema überhaupt an den Namen des Gefallenen gelangt? Veysel Hezer, seit anderthalb Jahren Lehrer für Geschichte und Philosophie im Berger Feld, leitet das Forschungsprojekt und hatte mit einer Delegation den Soldatenfriedhof in Büyükcekmece besucht: „Dort haben wir ein paar Gräber fotografiert. Zusätzlich haben die Workshop-Teilnehmer vom Volksbund eine Liste mit Namen von gefallenen Soldaten bekommen.“

Bislang wurden nur im belgischen Ypern bestattete Soldaten unter die Lupe genommen wurden – Nationalität egal. „Eine Freundin von mir macht seit einem Jahr bei dem Projekt mit und hat noch niemanden gefunden“, sagt Sema. Der 17-Jährigen ist es etwas unangenehm, dass sie im Mittelpunkt steht. Sie habe eben einfach nur mehr Glück gehabt, sagt sie.

15 Schüler der Jahrgangsstufe 11 beteiligen sich aktuell am „Suchprojekt Istanbul“. Das historische Forschungsprojekt, das sich bis vor einem Jahr auf Ypern beschränkt hatte, wurde nämlich auf die Türkei ausgedehnt. Schulleiter Georg Altenkamp: „Nicht zuletzt deshalb, weil die Schule einen 40-prozentigen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit türkischem Migrationshintergrund hat und über zwei Schulpartnerschaften mit der Türkei verfügt – eine davon in Istanbul Büyükcekmece, der Partnerstadt Gelsenkirchens.“ Bettaque: „Es ist toll, dass eine Schule sich mit Gefallenen befasst.“