Herne. . Die alte Mitte lag nicht besonders besucherfreundlich. Eine andere Messmethode machte nun eine Verlegung möglich. Die ersten Touristen wurden schon gesichtet am neuen Mittelpunkt des Reviers. Er liegt in Herne-Röhlinghausen.
Wie sehr sich das Leben von Marian Krumpietz jetzt gleich ändern würde, das konnte er natürlich nicht ahnen, als er am Nachmittag des 19. April arglos seine Wohnung verließ. Da standen Leute vor dem Haus und bestaunten irgendwas am Boden; Krumpietz, voller Neugier, trat hinzu und wurde von einem Mann in die Gruppe hineingezogen, von Hernes Oberbürgermeister Horst Schiereck. Er machte Krumpietz ein Angebot, das der nicht ablehnen konnte: ernannte ihn spontan zum „Steinpaten“, zum Hüter dieses grad enthüllten Steines, an dieser Stelle, die die Mitte des Ruhrgebiets ist.
Mittesuchverkehr im Schritttempo
Gefunden in Herne-Röhlinghausen, in der übertrieben schmucklosen Rolandstraße, auf dem Bürgersteig schräg vor der Hausnummer 49, einfach so. Die Neue Mitte eigentlich, doch davon später mehr. „Ich hab gesagt, ich will mich kümmern um das“, sagt der Berufskraftfahrer Krumpietz heute: „Komm’ ich von der Arbeit, guck’ ich, ist mein Stein noch da.“
Seit jenem Akt rollen auffällig viele Autos im Schritttempo durch diese Straße, im Mittesuchverkehr schauen ihre Fahrer nach dem Stein mitsamt der alles erklärenden Edelstahlplakette; leider ist der Stein ganz unscheinbar, und wenn ein Mofa davor parkt, ist er mühelos verdeckt.
Und ebenso regelmäßig beugen sich dann Menschen mit Fotoapparaten über die Mitte, aus Essen kommen sie geradelt, aus dem nahen Gelsenkirchen oder Herne selbst gelaufen und sagen Sätze wie „Das gehört jetzt zu den Herne-Wanner Besonderheiten“ oder „Das macht auch stolz“.
Und Schiereck, der OB, formuliert: Herne sei die ideale Hauptstadt des Ruhrgebiets, „so mittendrin, wie wir sind“. Da kommt es nicht ganz unerwartet, dass hinter der Neuen Mitte „Herne Marketing“ steckt.
Ein typischer Zufall
Und der aus Polen stammende Doktor der Geografie Wojciech Smolarek (33), der einige Jahre in Herne-Röhlinghausen gelebt hat und beim professionellen Blick auf die Ruhrgebiets-Karte in den Grenzen des Regionalverbandes (RVR) ahnte, dass Herne die Mitte sein könnte. Smolarek beschaffte sich die Koordinaten des südlichsten und des nördlichsten Punktes des Ruhrgebiets sowie des östlichsten und des westlichsten, bildete jeweils die Mittelwerte und kam so auf die Rolandstraße 49: „Der Zufall wollte es, dass ich unweit von diesem Mittelpunkt gewohnt habe, in gerader Linie ungefähr 150 Meter.“
So ganz schlecht ist der Punkt auch nicht gewählt, obwohl, es war ja keine Wahl: Straßen wie die Rolandstraße sind ausgesprochen typisch, Siedlungen wie diese gibt es in jeder Ruhrgebietsstadt; die Bahn rauscht keine 100 Meter entfernt durch, und auch ein altes Zechengelände ist verlässlich in der Nähe, Pluto 1/4. Weitergehende Erwartungen an das touristische Potenzial der Mitte („Busparkplatz“, „Explosion der Immobilienpreise“) gelten aber als übertrieben.
Doch jetzt zur Neuen Mitte: Denn es gibt schon seit vielen Jahren einen Mittelpunkt des Ruhrgebiets, gut einen Kilometer nördlich von hier liegt er an der Wanner Wilhelmstraße. Mitarbeiter des RVR ermittelten ihn dermaleinst, indem sie die Extrempunkte des Ruhrgebiets mit Strichen verbanden. Heraus kam das alte Zechengelände Pluto 2/3/7, das der Bergbau bis heute nutzt.
Nichts gewusst von der anderen Mitte?
Kein normaler Besucher kommt auf das Gelände, keiner, der nur die Mitte sehen will; aus der Perspektive des Marketings betrachtet, geht das gar nicht, eine Mitte, die man nicht besuchen kann. „Von der anderen Mitte haben wir nichts gewusst“, versichert der Geschäftsführer von „Herne Marketing“, Holger Wennrich. Sei dem so; wie günstig ist es jetzt jedoch mit der Rolandstraße, wo ein milder Besucherstrom eingesetzt hat! Und so besteht auch der RVR nicht auf der alten Mitte: „Wir zweifeln nicht an, dass in der Rolandstraße der Mittelpunkt ist“, sagt Sprecher Jens Hapke.
Und Marian Krumpietz, der Steinpate? Der wurde bereits im nahen Edeka als „Der Steinpate“ erkannt. „Werd ich noch berühmt“, sagt Krumpietz.