Dortmund/Essen. . In Dortmund gibt es Baugebiete satt und die Wissenschaft wirkt als Magnet. Uni-Städte verlieren deutlich weniger Einwohner als ihre Nachbarn. Hinzu kommt ein selbstbewusster Auftritt und ein Umland, das an Attraktivität verliert. Die Kinder der Stadtflüchtlinge kehren zurück ins Revier.

Universitäten und Technologiezentren sind offenbar eine Lebensversicherung für die großen Revierstädte. Ein Indiz dafür: Die Uni-Standorte Dortmund und Essen verlieren deutlich weniger Einwohner als zum Beispiel die Nachbarn in Gelsenkirchen oder Hagen.

Vor allem in Dortmund ist die Bevölkerungsentwicklung überraschend gut. Im Jahresvergleich konnte Dortmund sogar 1500 Einwohner zulegen – gegen den allgemeinen Trend im Ruhrgebiet. Zwar wird auch die Westfalenmetropole Experten zufolge in den nächsten Jahren weiter schrumpfen, aber bei Weitem nicht so schnell und so dramatisch wie andere Städte in der Region.

Universitäten locken Menschen an

Experten der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Duisburg-Essen und des Regionalverbands Ruhr (RVR) führen dies nicht zuletzt auf die Rolle Dortmunds als Universitäts- und Wissenschaftsstadt zurück. „Jede Hochschule zieht Menschen an. Soziale Netzwerke entstehen, viele Menschen bleiben auch nach ihrer Ausbildung hier“, sagt Alexander Schmidt, Professor für Stadtplanung in Essen. Gerade auf junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren wirkten die Uni-Standorte wie Magneten. In Essen sind 2011 über 1200 Bürger mehr zu- als weggezogen, zahlreiche Neubürger sind junge Erwachsene. Das bleibt auch so: Der Wegfall der Wehrpflicht, die wachsende Nachfrage nach guter Bildung und der doppelte Abitur-Jahrgang werden den Bevölkerungsschwund in den Ruhrgebietsmetropolen weiter bremsen.

Noch etwas kommt Dortmund nun zugute: Die Stadt hat in den letzten 20 Jahren viele neue Baugebiete für junge Familien erschlossen. Auch das beschert den Westfalen ei­ne bessere Entwicklung bei den Einwohnerzahlen als zum Beispiel Essen.

Dortmund wächst: Schon Ende September gab es 1500 Dortmunder mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Eine Sensation! Essen und das kleinere Gelsenkirchen haben in dieser Zeit rund 1000 Einwohner verloren. Dazu kommt: Nirgendwo sonst verläuft der Schrumpfungsprozess der Ruhr-Region so langsam wie in ihrer größten Stadt. Aber warum ist das so? Hat Dortmund etwas besser gemacht? Oder ist da Zufall im Spiel? Hier einige Antworten:

Dortmund hat mehr Platz als Essen oder Duisburg

Als Wohnort ist Dortmund attraktiv. Mehr Menschen ziehen in die Stadt, als aus ihr fort. Der Sterbeüberschuss wird durch dieses Zuwanderungsplus kompensiert. In Dortmund zu wohnen, ist zudem relativ unproblematisch. Zugute kommt der Stadt dabei ihre schlichte Größe. Mit 280 Quadratkilometern gehört sie flächenmäßig zu den Giganten, hat nicht sehr viel weniger Platz als München mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern, die sich 310 Quadratkilometer teilen müssen. Enger geht es in Essen (210 qkm) und Duisburg (232 qkm) zu. Dortmund kann mit Neubaugebieten punkten: Allein auf den Top-Wohnflächen am Phoenix-See und auf dem Gelände der früheren Kaserne in Hohenbuschei entstehen 1900 Eigenheime und Wohnungen.

Die Statistik scheint zu belegen: Der Flächen-Riese Dortmund tut tatsächlich besonders viel für den Häuserbau. Indizien: Zwischen 2000 und 2005 wurden in Dortmund doppelt so viele (5078) Wohngebäude gebaut wie in Essen (2584) und erheblich mehr Wohnungen. Ähnliche Zahlen liegen aus 2007 und 2009 vor. (Daten-Quelle: Statistisches Landesamt, zusammengetragen von der Stadt Dortmund

Mittelschichten-Familien wandern ins Umland ab

Revierstädte mit großen Unis profitieren von jungen „Bildungs-Zuwanderern“. Essen führt die Tatsache, dass letztes Jahr über 1200 Menschen mehr zu- als weggezogen sind, auf „positive Effekte bei den 20- bis 24-Jährigen“ zurück. Ähnlich ist die Lage in Dortmund. Für Peter Strohmeier von der Ruhr-Uni Bochum gibt es zwei Faktoren, die sich sehr auf die Bevölkerungsentwicklung im Revier auswirken: „Erstens die Abwanderung von Mittelschicht-Familien ins Umland.

Darunter haben früher Dortmund, Essen und Gelsenkirchen sehr gelitten. Und zweitens die Bildungszuwanderung.“ Die kommt Essen, Dortmund, Bochum und Duisburg zugute. Gelsenkirchen hingegegen hat „nur“ eine kleine FH, Hagen, der zweite große Einwohner-Verlierer der Region, ist zwar Uni- und FH-Standort. Aber Fernuni-Studenten wohnen woanders. Wegen des Wegfalls des Zivildienstes, des doppelten Abi-Jahrgangs, aber auch wegen der größeren Nachfrage nach guter Bildung nimmt die Zuwanderung junger Erwachsener zu. Kleine Wermutstropfen: Das wird nicht ewig anhalten. Und viele, die im Revier studieren, gehen später wieder weg.

"Die erwachsenen Kinder der Stadtflüchtlinge ziehen zurück ins Revier"

Einst hieß es: „Raus aufs Land“. „Haltern am See wuchs, weil Familien aus dem Revier dorthin ziehen. Aber diese Entwicklung setzt sich nicht fort“, weiß Peter Strohmeier (Ruhr-Uni). Kreise wie Wesel profitierten früher ebenfalls. Damit ist Schluss. „Die erwachsenen Kinder der Stadtflüchtlinge ziehen zurück. Das ist der Echo-Effekt“, sagt Strohmeier. Dortmund zieht Jüngere aus dem Kreis Unna an, Essen hingegen hat kein ländliches Umfeld. Noch etwas lockt Flüchtlinge zurück: „Mobilität wird teurer. Die Leute wollen nicht pendeln“, so Alexander Schmidt (Uni Duisburg-Essen).

„Dortmund und Essen treten selbstbewusst auf. Viel mehr als etwa Bochum. Sie signalisieren: Wir sind große Nummern“, erzählt Julia Vollmer (Ruhr-Uni Bochum). Auch deshalb ziehen diese Metropolen Zuwanderer an. Belegen lässt sich das noch nicht. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die gestiegene Einwohnerzahl Dortmunds auch mit der EU-Osterweiterung, mit Zuzug aus Bulgarien oder aus Euro-Krisenländern zusammen hängt.1500 Einwohner mehr sind, statistisch gesehen, nicht viele. „Man darf nicht zu viel daraus ableiten“, warnt Julia Vollmer. Das sei keine Trendwende. Dortmund wird weiter Einwohner verlieren. Aber nicht so schnell wie die Nachbarn.

Einwohnerzahlen der NRW-Städte sinken rapide

Bochum hatte im Jahr 1990 396.486 Einwohner. 20 Jahre später...

... sind es nur noch 374.737 Menschen, die in Bochum leben. Das ist ein Rückgang von 5,49 Prozent. In Zukunft ...

... soll es in der Stadt der Ruhruni sogar noch weniger Menschen geben. Nur noch ...

... 337.620 Bochumer soll es laut der Bertelsmannstiftung 2030 geben. Das ist ein drastischer ...

... Rückgang von 10,2 Prozent.

Noch viel schlimmer sieht die Lage in Hagen aus. Momentan leben dort 188.529 Menschen, was im Vergleich zu ...

... 1990 (214.449 Einwohner) ein Rückgang von 12,09 Prozent ist. Auf für die nächsten Jahrzehnte sieht es ...

... für Hagen düster aus. 2030 wird die Stadt um weitere 14,7 Prozent auf 162.050 Bewohner geschrumpft sein.

Für Gelsenkirchen jedoch geht es bergauf. Zwar ist die Schalke-Stadt in den vergangenen zehn Jahren von ...

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... diese Entwicklung soll sich abschwächen: 2030 wird die Einwohnerzahl Gelsenkirchens voraussichtlich ...

... nur um 8,7 Prozent auf 236.890 zurück gegangen sein.

So ähnlich sieht der Trend auch in Essen aus. 1990 bevölkerten 626.973 Menschen die Stadt, 2010 sind es noch ...

... 574.635 (-8,53 Prozent). Zwei Jahrzehnte später sollen in Essen noch 542.730 Menschen wohnen, also ...

... nur noch 5,7 Prozent weniger als jetzt.

Die Einwohnerzahl Dortmunds sinkt zwar seit Jahren kaum merklich (1990: 599.055 Menschen; 2010: 580.444, also -3,11 Prozent), ...

... in Zukunft sieht es aber nicht besser aus. 2030 sollen in Dortmund 550.460 Leute leben (-5,2 Prozent).

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