Ruhrgebiet. Es knirscht an der Basis. Neben vielen ehrenamtlichen Politikern sind auch Abgeordnete gegen eine Erhöhung der Bezüge von nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten. Viele fordern eine unabhängige Stelle, die über Diäten entscheidet.

Die Politiker recken gerade ihre Finger nach der verbotenen Frucht Diätenerhöhung, da sind die Bürger bereits auf dem Baum. Kaum eine andere politische Reaktion ist so vorhersagbar. Doch auch die Politiker sind sich nicht eins. Einige Landtagsabgeordnete, die von der Erhöhung um 500 Euro zugunsten der Altersversorgung profitieren, sind dagegen. Und an der politischen Basis, bei den Ratsmitgliedern in den Städten etwa, knirscht es sogar.

Nadja Lüders zum Beispiel ist in der SPD-Landtagsfraktion wohl eine Ausnahme, am liebsten würde die Dortmunder Genossin die Erhöhung der Abgeordneten-Bezüge wohl kippen – jedenfalls in besagter Größenordnung: „Es kann nicht sein, dass wir in Zeiten, in denen viele Bürger gerade bei der Altersversorgung den Gürtel enger schnallen müssen, bei uns selbst locker 500 Euro drauflegen.“ Auf der heutigen Fraktionssitzung der SPD-Landtagsfraktion werde es „sicher ein paar kritische Stimmen geben, unter anderem von mir“, sagt Lüders, die seit gestern auch dem Bundesvorstand ihrer Partei angehört. Sie plädiert für eine moderate Anhebung um etwa die Hälfte der geplanten 500 Euro. Denn zweifelsohne sei das Versorgungssystem unterfinanziert.

Lüders Fraktionskollege Andreas Becker aus Recklinghausen führt das aus: „Die Erhöhung ist aus zwei Gründen gerechtfertigt: Mit ihr realisieren wir die Höhe der Altersversorgung, die nach der 2005 beschlossenen Privatisierung nicht wie damals erwartet eingetreten ist. Und sie trägt dazu bei, dass das Parlament über alle Berufsgruppen hinweg interessant bleibt und auch diejenigen, die keine Rückkehrgarantie in ihre Berufe haben, das Abenteuer eingehen.“

Seine Argumente werden von fast allen Abgeordneten quer durch alle Fraktionen vorgebracht: Gutes Geld für gute Leute. Und es ist ja nur eine Anpassung. Auch Josef Hovenjürgen (CDU) aus Recklinghausen verteidigt die Erhöhung der Bezüge auf 10 726 Euro: „Nach altem Recht war es so, dass ein Landtagsabgeordneter nach 7,5 Jahren eine Anwartschaft von etwa 1900 Euro erworben hat. Dafür müsste ein Parlamentarier heute 20 Jahre im Landtag sein und monatlich 2000 Euro einzahlen.“ Hovenjürgen fährt fort: „Mir wäre es lieber, eine unabhängige Kommission würde über die Diäten entscheiden. Aber da das Bundesverfassungsgericht anders entschieden hat, müssen wir uns immer wieder der Diskussion stellen.“

Das ist ein zentraler Punkt, den viele fordern: eine unabhängige Stelle. Doch tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht schon 1975 in seinem „Diäten-Urteil“ entschieden, dass die Abgeordneten „vor den Augen der Öffentlichkeit“ ihre Bezüge verhandeln sollen. Der Entscheidungsprozess soll nicht automatisiert oder in Hinterzimmer verlegt werden. Man könnte sagen: Das Gericht wollte es dem Bürger ermöglichen, sich weiter zu ärgern.

Darum ist auch Wilhelm Hausmann, Kreisvorsitzender der CDU Oberhausen, so empört: „Das Verfahren war so nicht in Ordnung, diese Erhöhung sollte einfach durchgewunken werden. Das geht so nicht, man muss auch den Bürger mitnehmen.“

Um die Verhältnismäßigkeit geht es den meisten: Markus Püll (CDU), ehrenamtlicher Bürgermeister von Mülheim, sagt: „Was die Altersversorgung angeht, müssen Politiker gleich behandelt werden mit Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft. Hohe Pensionsansprüche nach ein paar Jahren in einem Parlament sind nicht mehr zu rechtfertigen.“

Und auch der Mülheimer Ratsherr Frank Blum (CDU) hält die Erhöhung für „bedenklich“: „Abgeordnete sollten natürlich vernünftig bezahlt werden ... Aber es darf nicht weiter sein, dass man nach ein paar Jahren im Parlament einen Rentenanspruch hat, für den andere 40 Jahre arbeiten müssten.“

Andere müssen 40 Jahre arbeiten für 1100 Euro

So sieht es auch die Moerser Linken-Fraktionschefin Gabriele Kaenders: „Die Durchschnittsrente nach einem 40-jährigen Arbeitsleben beträgt 1100 Eu­ro.“ Die Linke im Landtag, sie lehnt als einzige Fraktion die Erhöhung ab. Die Abgeordnete Bärbel Beuermann aus Herne erklärt: „Das Versorgungswerk ist ein Modell, das Ungleichheit zwischen Parlamentariern und der Bevölkerung herstellt. Wir sind der Auffassung, dass auch Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollten.“

„Überall wird gespart“, sagt Ralf Quardt von der CDU in Hagen-Eppenhausen. „Da sollten die Mandatsträger mit gutem Beispiel vorangehen.“

Ähnlich argumentiert die Kreisvorsitzende der Dortmunder Grünen, Hilke Schwingeler: „Die technische Begründung ist nachvollziehbar“, aber seit der Entscheidung zur Diätenreform 2005 sei viel passiert. „Wir alle sollen sparen.“ Fazit: instinktlos.

Findet auch der Verdi-Bezirk Emscher-Lippe in Form seines Gelsenkirchener Vorsitzenden Wolfgang Gottschalk: Er fordert die 17 000 Gewerkschaftsmitglieder auf, sich „mit Briefen und E-Mails am Protest zu beteiligen“. Ein „derartiger Schluck aus der Pulle passt nicht in diese Zeit.“

Deutlich wird der Duisburger SPD-Landtagsabgeordnete Sören Link: „Ich persönlich sehe keine Notwendigkeit für die Erhöhung und damit für den Beschluss.“ Er erwartet eine kontroverse Diskussion in der SPD-Fraktion und im Landtag. Ob es dann zu einer Erhöhung der Diäten komme, könne er nicht vorhersagen.