Dortmund. Der neue Oberbürgermeister in Dortmund ist vereidigt - und tritt sein Amt mit einer schweren Hypothek an. Die Opposition wirft Ulrich Sierau Wahlbetrug vor, weil er ein Finanzloch verheimlicht haben soll - und verließ den Saal. Der Umstrittene bemühte sich gleich um Schadensbegrenzung.
Die Amtseinführung eines neuen Stadtoberhaupts ist immer ein kleines Medienereignis, aber diesmal sind mehr Fotografen gekommen als sonst – und manche nur, um dieses Bild zu haben: Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) mit Amtskette. „Damit wir das haben, wenn sie sie ihm wieder wegnehmen.”
Seit Dortmund am Tag nach der Kommunalwahl angeblich plötzlich und unerwartet in ein Millionenloch fiel, seit der Regierungspräsident aus Arnsberg lautstark „Wahlbetrug” ruft, lasten allzu viele kritische Blicke auf der „schönen, starken, selbstbewussten Stadt”, und „Zahlen”, so ebenfalls Sierau, haben auf einmal „eine sehr überschaubare Halbwertzeit”. Der Tag, an dem der Rat seinen Vorsitzenden vereidigt, ist deshalb auch der, an dem er die Kämmerin abruft, deren Platz auf der Regierungsbank seit zwei Monaten verwaist ist. An dem er einen 200-seitigen Nachtragshaushalt auf den Weg bringt und an dem der Wahlprüfungsausschuss sich findet, der über 350 Einsprüche zu bearbeiten hat.
„Eine schwere Hypothek”, sagt der Alterspräsident des Gremiums, „das darf nicht lähmend wirken.” Und auch Sierau selbst redet dem entgegen. „Offen und „fair” sind die tragenden Worte seiner Antrittsrede, es werde nichts beschönigt, und: „Einsame Entscheidungen werden Sie mit mir nicht erleben. Oder nur ganz selten.” In der hintersten, linken Ecke hört ein Gast es wohl: Gerhard Langemeyer ist da, der Vorgänger, der am Tag nach der Wahl die Bombe platzen ließ und seinem Nachfolger die Erblast gewissermaßen vor die Füße warf. Einsam ist er über den Flur gekommen, „wie geht's?”, begrüßt ihn etwas hilflos ein Genosse und gibt die Antwort gleich selbst: „Muss.”
Man hat nicht mehr viel gesehen von Langemeyer in den vergangenen Wochen, und warum er heute hier ist, bleibt selbst für ehemalige Mitarbeiter ein Rätsel: „Das ist ein Ding.” Und wieder so ein beliebtes Motiv für die Fotografen – wie der alte OB sich seinen Weg bahnt zum neuen, wie sie Hände schütteln.
Sierau begrüßt Langemeyer später öffentlich und spricht dann viel von Kultur – von einer „neuen politischen Kultur”, von „demokratischer Streitkultur” und noch mal: „Herausforderung für die politische Kultur”. So oft stand das Wort gar nicht in seinem Manuskript. Doch da hat der neue Oberbürgermeister eine Form politischer Kultur ja schon erlebt: „Hier ist die Linke”, steht auf den Taschen der Fraktion, aber im entscheidenden Moment ist die Linke gar nicht da.
Wie auch die Fraktion der FDP/Bürgerliste nicht: Als die Ratsvertreter sich zur Vereidigung Sieraus erheben, tun die Vertreter dieser drei Parteien das nur, um demonstrativ den Saal zu verlassen. Unionsfraktion wie die der Grünen stehen steif und schweigend, als dem neuen Stadtchef applaudiert wird. „Manipuliert” sei die Wahl gewesen, wird die Linke später begründen, der neue Oberbürgermeister nur „kommissarisch gewählt”.
Und es gibt ja diesen interfraktionellen Antrag, eine Wahlwiederholung rechtlich prüfen zu lassen. „Ausdrückliche Missbilligung” der Vereidigung artikulieren auch die Liberalen, Sierau sei allenfalls auf Abruf im Amt. Deren NRW-Chef Andreas Pinkwart indes hatte dem neuen Stadtoberhaupt am Mittag sehr wohl gratuliert. „Ein freundlicher Mensch”, schmunzelt Sierau. Das produziert einen der wenigen Lacher im Saal an diesem Tag.