Münster. .
Noch immer tragen Straßen die Namen von Personen mit Bezug zum Nationalsozialismus. Unter dem Titel „Fragwürdige Ehrungen“ diskutierten jetzt Historiker und Vertreter von Kommunen.
Kaum ein zentraler Platz in den Städten und Gemeinden Westfalens, der in der Nazi-Zeit nicht den Namen Adolf Hitlers trug. Mit Kriegsende und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches verschwanden die Namen der Nazi-Verbrecher wie selbstverständlich aus dem Stadtbild. Anders sieht es bei Personen aus, die „nicht zur ersten Garde der Nationalsozialisten“ gehörten, wie Dr. Matthias Frese vom Münsteraner Institut für Regionalgeschichte formuliert: Sie sind bis heute nicht selten Namensgeber für Straßen, Schulen oder andere Einrichtungen geblieben.
Kommunale Diskussion
Als „Grenzfälle“ bezeichnet Dr. Matthias Frese die Personen, über deren Lebenswerk bis heute gestritten wird. Eine „veränderte Sichtweise“ auf die Zeit der Nazi-Diktatur und ihren gesellschaftlichen Aufbau macht Frese dafür verantwortlich. „Heute wird genauer hingeschaut“, sagt Frese. Der zeitliche Abstand lässt eine differenziertere Einschätzung zu. Und führt, immer wieder, zu tagespolitischen Diskussionen in den betroffenen Städten und Gemeinden.
Ein Beispiel steuert der Westfälische Heimatbund aus seiner eigenen Geschichte dazu bei: Karl Wagenfeld (1869-1939). Der Heimatdichter und Funktionär war Geschäftsführer, später Vorsitzender des Heimatbundes. 70 Mal, so Matthias Frese, tauche Wagenfelds Name bis heute in Westfalen auf: als Namensgeber von Schulen, Straßen und Plätzen. „Wagenfeld teilte nicht zu 100 Prozent die NS-Ideologie“, urteilt Frese, „aber er war Parteimitglied und stand den Nationalsozialisten sehr nahe“. Er sei sehr wohl „völkisch-national eingestellt“ gewesen sein.
Es sind gebrochene Biografien oder Personen mit einer zweiten Karriere, um deren Beurteilung es geht. Carl Diem (1882-1962) gehört zu diesem Personenkreis. Die Rolle des Sportfunktionärs im Dritten Reich ist bis heute umstritten.
Diem gehörte zum engen Organisationskreis der Nazi-Spiele unter den Olympischen Ringen von 1936 in Berlin und initiierte den Fackellauf des olympischen Feuers von Griechenland zum Austragungsort der Spiele, wie es bis heute üblich ist. Diem ist aber auch Gründungsrektor der Sporthochschule in Köln, die er bis zum seinem Tod leitete.
War Diem nun nur Mitläufer, war er aktiver Befürworter der Nazi-Sache, Karrierist im gleichgeschalteten Staat oder einfach nur Opportunist, der sein Fähnchen in den rechten Wind hing? In Iserlohn etwa trug bis 2006 eine Sporthalle Diems Namen und wies ihn damit als Vorbild aus. In Hagen und im sauerländischen Werdohl sind Straßen nach ihm benannt – die damit nicht nur räumlich Orientierung geben, sondern das Gedenken fördern und der Ehrbezeugung dienen. Nach wie vor.
Zusatzschilder als Idee
Die Tilgung von Namen umstrittener Personen aus den Straßenregistern und die Umbenennung von Einrichtungen ist eine Frage der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, wenn auch bisweilen im Kleinen. Genau damit beschäftigte sich gestern eine Tagung, zu der der Westfälische Heimatbund eingeladen hatte. 200 Interessierte waren nach Münster gekommen; auch um zu streiten. Der Heimatbund wollte damit keine Handlungsempfehlungen geben, wohl aber Anstöße. Etwa die des differenzierten Vorgehens: Statt Straßen umzubenennen, „gibt es auch die Möglichkeit, Zusatzschilder mit ergänzenden Erklärungen anzubringen“, zeigte Matthias Frese als Alternative auf – für die Fälle, in denen das ausreicht.