Xanten. Der Katastrophenfall. Schlimm, wenn er eintritt. Gut, wenn Retter wissen, was zu tun ist. Dafür gibt es Übungen für den Ernstfall. Am Samstag wurde auf der Xantener Nordsee simuliert, dass ein Passagierschiff in Flammen steht.
Abgesehen von der jährlichen Uferkirmes oder dem Fischmarkt gibt es rund um den Xantener Hafen Vynen kaum Dinge, die die Menschen auf Kommando aus den Häusern locken. Heute aber, es ist ein kühler Samstag, da kommen sie herbeigeeilt – auf Rädern, Skateboards oder am Rollator – zu einem Ereignis, das mit großem Tatüüü-Tataaa auf sich aufmerksam machte: Hilfe, die MS Seestern brennt!
Doch so geschäftig die 45 Helfer auch herumlaufen, so sehr die Lazarett-Zelte auch auf Ernstfall machen und schrecklich spitze „Hilfe-Hilfe-Schreie“ vom Ausflugsdampfer dringen – den Schaulustigen ist schnell klar, dass es sich nicht um eine Katastrophe, sondern um eine Übung handelt. Die DRK-Wasserwacht lässt sich das natürlich nicht anmerken. Es ist die mit großem Ernst durchgezogene Generalprobe XXL für das, was hoffentlich nie eintritt.
Da gucken die Touristen
Oliver Knetsch ist Rettungsboot-Führer, ein Mann wie ein Baum, wie man so sagt, wenn Männer wirklich Umfang haben. „Der Stressfaktor ist jetzt schon hoch“, sagt er, als er sich in den Rettungswagen wuchtet. Dann führt er noch vor, welche Klingeltöne so ein Martinshorn hat und brettert durch die Straßen Richtung Rettungsboot und von dort zur MS Seestern, die an schönen Tagen Familien und Rentnern über die Xantener Nord- und Südsee schippert.
Da gucken die Touristen aber aus ihren Tret- und Elektrobötchen. Mit Karacho legt die 135-PS-beladene Hans Aulars los, die wild schaukelt, als sich der leitende Notarzt Stefan Schröder aufs Boot wirft. Und ab zum Ausflugsdampfer, auf dem Menschen wie in einem Actionfilm mit dem Tode ringen. Es sind alles Laien, manche kommen aus der Kita Hoppetosse. Der Doktor, kein Laie, sondern Chef der Städtischen Kliniken Düren, ist die Ruhe selbst. Auch als er sagt: „Da vorne, Person im Wasser.“ Die übrigens preisverdächtig untergeht. Der Arzt verdreht die Augen. „Wenn die im Notfall alle einfach vom Schiff springen, dann gehen die uns durch die Lappen.“
Oben auf dem Schiff steht Kapitän Bruno Alfert, silbergrauer Schopf, blau-weiße Uniform. Er hält sich gut mitten in der Katastrophe. Man sei ja nicht gesunken, sagt er. Die Feuerwehr hat den Brand in der Elektro-Anlage mit Pulver gelöscht. Jetzt gibt es drei Schwerverletzte, einige Humpelnde. Und Julia mit der Kopfverletzung. Sie ist zwölf und nicht ansprechbar. Sehr lebensecht. Und ihre Wunde, so blutig verkrustet, dass man sich Sorgen macht. „Dafür gibt es extra Schminke“, sagt Julias Mutter, Frau Kamm aus Krefeld, die mit der ganzen Familie engagiert wurde und sehr authentisch hysterisch ist. Das wurde vorher alles erlernt. Ehrenamtlich natürlich.
Nach Stunden sind alle geborgen
Während Feuerwehrleute mit den Utensilien eines Dampfers kämpfen (Stühle, Sofakissen, Kaffeetassen und Handtaschen), kämpfen die Sanitäter um das Leben von Patrick. Er ist kreidebleich, zittert, hat riesige Verbrennungen. Er muss runter vom Schiff. Alles ist klar, doch dann fehlen die Befestigungsgurte. Die Kleinigkeiten müssen verbessert werden. Der Notarzt ordert: „Noch ein Boot mit Bestatter und Rettungskräfte für die Jugendlichen, damit sie keinen Blödsinn machen.“
Nach Stunden sind alle siebzig Ausflügler geborgen. Trinken Tee oder werden auf die Kliniken verteilt. Die Einsatzleiter sind zufrieden. Man sieht ihnen an, dass Lebensretten ein Lebensinhalt sein kann. Fiktion und Wirklichkeit haben sich vermischt. Nur der Kapitän möchte noch darauf hinweisen, „dass noch nie etwas passiert ist“. Nicht, dass plötzlich die Gäste ausbleiben.