Bochum. . “Anstoß ins Berufsleben“ heißt das Gemeinschaftsprojekt der Bochumer Agentur für Arbeit und des Fußballbundes. In neun Monaten wird jungen Schul- und Ausbildungsabbrechern eine Perspektive aufgezeigt. Viele Teilnehmer hatten sich schon aufgegeben.
Neriman sieht nicht aus wie eine junge Türkin. Nicht auf den ersten Blick und nicht auf den zweiten. Ihr kurzes Haar trägt sie betont struppig und blond gefärbt, also wie ein Statement: „Seht her, ich bin anders!“ Und sie ist anders. Nach der achten Klasse ging sie von der Schule ab, um dann jedoch ihren Abschluss in einer Maßnahme nachzuholen. Den Realschulabschluss wiederum schmiss die Neunzehnjährige, weil sie „keinen Bock“ hatte. Jetzt hat sie Bock, übt sich in Disziplin und Pünktlichsein, weil sie auf einen Ausbildungsplatz hofft und einen Trainerschein vom Deutschen Fußballbund.
Die Sporthalle in Bochum-Wattenscheid ist an diesem Morgen nur mäßig belegt. Drei Mädchen nutzen die Pause, um vor der Tür zu rauchen, drinnen lümmeln einige der Jungen auf einem abgewetzten Ledersofa. Seit Oktober treffen sie sich hier zweimal pro Woche zum Fußball-Training. Sie alle sind zwischen 20 und 25. Schul- oder Ausbildungsabbrecher, Kinder türkischer Einwanderer zumeist, und inzwischen wissen sie, oder zumindest einige, dass dies ihre letzte Chance ist. Die Agentur für Arbeit und der Deutsche Fußballbund bieten passend zur Frauen-Fußball-WM ein neunmonatiges Projekt: „Anstoß ins Berufsleben“.
Lernen, sich an Regeln zu halten
Neun Monate lang werden darin junge Leute, die sich selbst schon aufgegeben, abgeschrieben haben, fit gemacht für eine Ausbildung. Sie lernen Rechtschreibung und Dreisatz, wie man eine Bewerbung schreibt und einen Einstellungstest besteht. Vor allem aber lernen sie über das regelmäßige Fußball-Training, sich an Regeln zu halten. Pünktlich zu sein und somit verlässlich, im Team zu agieren und an sich selbst und ihrer Leistungsbereitschaft zu arbeiten. Am Ende steht für die, die es schaffen, sogar der Trainerschein.
„Anfangs war es nicht möglich, mit der Gruppe diszipliniert Sport zu treiben. Sie machten Faxen, quatschten. Doch über den Fußball haben sie sich tatsächlich motivieren lassen, sich einzubringen“, sagt Marc Dommer, der Sportpädagoge. Es ist ein Experiment. Eines mit einer schwierigen Klientel. Wenn die Hälfte der knapp über 20 Kursteilnehmer regelmäßig und pünktlich erscheint, ist das schon ein großer Erfolg. Bei manchen, wie bei Neriman oder auch dem 24-jährigen Tuncay Özün, zeigt das Konzept Wirkung. Über den Fußball, über das Mannschaftsspiel haben sie Selbstvertrauen gewonnen. Selbstvertrauen, das ihnen bei der Vorbereitung auf das Berufsleben hilft.
Ausbilder mit Vaterfunktion
Szenenwechsel. Es ist Mittagszeit, die Sporttruppe kehrt vom Training zurück, trudelt ein in die mitten in der Bochumer Fußgängerzone gelegenen Räume des Maßnahmen-Trägers Ekip, des Interkulturellen Kompetenz-Teams. Es duftet nach türkischem Eintopf. Man isst, räumt gemeinsam auf. Auch das gehört zum Projekt. „Für viele ist das wie eine zweite Familie“, sagt Olaf Stricker, der eigentlich Maschinenbauingenieur ist und bei Ekip den Part des Ausbilders übernommen hat.
Ein Ausbilder mit Vaterfunktion, denn neben dem üblichen Wiederholen von Hauptschulwissen, leitet er die jungen Leute an, sich richtig zu bewerben. Und nicht nur das. Weil er seine Jungs und Mädels inzwischen gut genug kennt, weiß er genau, wen er zum Bewerbungsgespräch nur abholen muss, wen er besser auch im Gespräch beisteht.
Tügce etwa, die junge Frau, würde es auch alleine hinkriegen. Da ist Stricker ganz sicher. Aber sie hat ihn gebeten, sie zu begleiten, wenn es in den nächsten Tagen zur Bogestra geht, zur Bochumer Straßenbahngesellschaft. Sie will sich um einen Ausbildungsplatz als Kauffrau bemühen. Und Stricker wird dabei sein, ihr Selbstvertrauen stützen, dem Personalchef signalisieren: Da kümmert sich jemand.
Über Umwege zum Ziel
20 bis 30 Bewerbungen haben die Teilnehmer schon geschrieben, mindestens ein Praktikum absolviert. Nicht jeder hielt durch. Ein junger Mann, der auf der Straße lebt, war trotz Unterstützung nicht in der Lage, den Alltag zu strukturieren. Aber viele blieben, sind auf einem guten Weg. Sechs schriftliche und zehn mündliche Zusagen für Ausbildungsplätze liegen vor. Tuncay Özün wird ab Sommer zur Fachkraft für Lagerlogistik ausgebildet. „Ich bin 24, das ist meine letzte Chance!“ Obendrauf hat er bald den Trainerschein in der Tasche.
„Wären diese Leute in einer normalen Maßnahme, dann würde schon nach sechs Wochen die Hälfte von ihnen abspringen“, sagt Udo Glantschnig, Geschäftsführer der Bochumer Agentur für Arbeit. Dreimal hat er dieses Projekt besucht und begeistert beschreibt er, wie seine Skepsis wich. „Vielleicht“, sagt er nachdenklich, „kommt man über Umwege wie diese, also über Fußball, besser zum Ziel als über den direkten Weg mit zu viel Fachinhalt“.
Glantschnig ist zum Fan geworden. Und als er kürzlich gemeinsam mit DFB-Vizepräsident Rolf Hocke die Jugendlichen besuchte, fragten diese: „Was kommt danach? Wird es dieses Projekt nach uns noch einmal geben?“ Das Signal, das Hocke und Glantschnig gaben, war positiv.