Ruhrgebiet. .
Keller und Vorgärten sind vollgelaufen, Häuser umspült: Wer nah am Wasser gebaut hat, den trifft es zuerst. Aber die Flut kam weniger heftig als befürchtet.
Frau Stolle ist jetzt eine Insel. Die Ruhr umspült ihr Haus, samt Freiheitsstatue, Fahnenstange, doch Sorgen macht sie sich nicht: „Vorräte einkaufen und abwarten“ ist die ausgeruhte Losung der Familie, die seit 1898 von der Ruhr lebt, hier am Hattinger Wehr. Damals Flussbadeanstalt, dann Bootsbau, heute Campingplatz. „Wenn’s länger dauert, können Sie gerne auch ein Care-Paket schicken“, sagt Jutta Stolle, die entspannte Frau.
Den Campingplatz freilich mussten sie räumen, nun liegt er ganz unter Wasser; im oberen Teil der Straße steht dafür die beeindruckende Schlange der evakuierten Wohnwagen, einer hinter dem anderen. Passanten begutachten das seltene Motorschauspiel.
Mit Sandsäcken die Türen verbarrikadiert
Am Samstag hat das Ruhrgebiet nasse Füße bekommen, am Sonntag ist es nicht mehr nur spaßig, da kann man dem Hochwasser fast zusehen beim Steigen. 5,79 Meter misst der Hattinger Pegel am frühen Abend, das sind 58 Zentimeter über mittlerem Hochwasser und 3,81 Meter über mittlerem Wasserstand. Wenn man es nicht zu genau nimmt, dann hat der Fluss sich jetzt verdreifacht. Von einer „ausgeprägten Hochwasserlage“ spricht da der Ruhrverband. Abends dann gibt er vorausschauende Entwarnung: „Die Abflüsse nähern sich den Scheitelwerten oder haben sie erreicht.“
Es trifft die, die es immer zuerst trifft, die, die nah am Wasser gebaut haben. Menschen am Fluss. Entspannt oder zornig, geduldig oder geschäftig. Die einen reißen Witze, die andern fluchen. „Ich habe schon überall angerufen, niemand hilft uns, wir brauchen dringend Sand“, sagt eine Frau in Gummistiefeln in Essen-Burgaltendorf, die vor lauter Wut im Bauch noch nicht einmal ihren Namen nennen will.
Hier an der Schwimmbrücke steht ein halbes Dutzend Häuser, ihre Keller und Vorgärten sind vollgelaufen, die Bewohner gucken oben aus den Fenstern, auch von Balkonen herab; ihnen bleibt jetzt die Hoffnung, dass das Wasser nicht mehr steigt. Oder jemand Sand bringt! Nebenan allerdings hat das Personal des Lokals „Zum Ponton“ längst geschanzt, hat mit Sandsäcken die Türen kniehoch verbarrikadiert. Auf der Tafel draußen steht unter dem Schriftzug „Wir empfehlen heute“ – nichts weiter.
Vom Sauerland in den Rhein zieht dieser Schwall. Versenkt auch in Witten einen Campingplatz in rasendem Tempo: „Um zehn Uhr konnte ich hier wenigstens noch in normalen Gummistiefeln hergehen“, sagt Mieter Wladimir Tschepanowski – jetzt steht das Wasser selbst dafür zu hoch. In Essen und Bochum müssen Straßen gesperrt werden, vereinzelt saufen Autos ab; in Duisburg schließen sie das Sperrtor zwischen Außen- und Innenhafen, damit die Altstadt nicht geflutet wird. Der Hafen selbst liegt voller Schiffe, teilweise wollen sie nicht ankämpfen gegen die schwere Strömung des Rheins, teilweise sind ihre Routen betroffen von Fahrverbot.
Bochums Feuchtgebiet ist Dahlhausen, wo die Straßen „Ruhrmühle“ heißen, „Fährweg“, „Am Pumpwerk“ oder „In (!) der Aue“: Das sagt doch wohl schon alles. Hier steht das Wasser fast an den Gleisen, und staunend fährt die S-Bahn nach Essen vorbei. Im Wasser steht das Gebäude des Schwimmvereins, das Gebäude der DLRG, des Kanuclubs: „Heute können wir direkt aus der Bootshalle nach Steele paddeln“, witzelt Ulrich Köhler. 200 Meter weiter indes hat es einige Häuser, Gärten, Höfe und Hütten richtig erwischt: Ins Restaurant „Ruhrbogen“ etwa kommt man nur noch durch das rückwärtige Fenster. Vorne ist Ruhr.
„Bis halb zwei nachts hatten wir ein Dart-Turnier, fünf Minuten später schwappt das Wasser rein“, sagt Stanko Patkovic, der junge Pächter. Barhocker und Sofas haben sie eilig hochgestellt, die Sperrwand vor den Eingängen festmontiert, die Tauchpumpen angeworfen. Dies ist schließlich nicht ihr erstes Hochwasser. Ein Auge zugemacht haben sie dennoch nicht.
„Wenn wir das nicht schaffen, uns mit den Pumpen über Wasser zu halten, dann sind alle Kühlgeräte, Küche und Theke im Eimer“, sagt Ratko Patkovic, der Vater. Gerade wischt er wieder Wasser raus mit einem Schieber, ruft dann am Handy die Pegel-Prognose an. Immer noch besetzt! „Wenn das Wasser so bleibt, könne wir damit gerade noch leben“, sagt er. Derweil lädt die Ruhr neben dem Haus Treibgut ab: jede Menge Äste, Sträucher, Styropor und Flaschen, ein Gummi- und ein Tennisball. Und weiter draußen sieht man ganze Stämme voranschießen mit dem Wasser.
Spaziergänger und Schaulustige
Davon ab, hat das Hochwasser auch seine schönen Seiten. Da ist die Nähe unter den Menschen, die sich immer sofort einstellt bei Bedrohungen. Da ist der Anblick: die Schwimmschwäne im eigenen Garten, die Seenplatte Ruhrtal an sich. Spaziergänger zieht das an, Schaulustige. Und viele, viele Eltern mit kleinen Kindern, Großeltern mit kleinen Enkeln. Hochwasser gucken! „Mama, ich kann nicht mehr“, ruft ein warm verpackter Fünfjähriger, als es dunkel wird. Es klingt glücklich.