Essen.

Die Palliativmedizin gilt heute als beispielhaft. Doch nicht, was die Versorgung der Kinder Sterbenskranker betrifft. Oft wüssten Eltern nicht, was richtig und was falsch ist und schickten die Kinder einfach weg, so eine Palliativmedizinerin.

Der rosa Tornister mit den Schmetterlingen ist ein Fremdkörper in diesem Zimmer. Es ist ein Sterbezimmer. Fast täglich kommt Anna (9) von der Schule hierher. Besucht ihre krebskranke Mutter. Annas Vater ist auch da. Er weiß, dass seine Frau nicht mehr lange zu leben hat. Auch Anna weiß es. Und sie wünscht sich, dass sie noch einmal mit der Mama lachen könnte. Sie würde ihr so gerne eine lustige Geschichte erzählen, doch darf man lustig sein?

„Aber sicher darf man das“, sagt Dr. Marianne Kloke, Leiterin der Essener Palliativstation am Huyssenstift: „Kinder verarbeiten Trauer komplett anders als Erwachsene. Es ist ungemein wichtig, dass man die Kinder zu Wort kommen lässt.“

Doch die Realität sehe oft anders aus. Weil Eltern oft nicht wüssten, was richtig und was falsch ist, schickten sie die Kinder oft einfach weg, so Kloke. „Steh’ nicht rum!“ „Geh’ mal weg!“ Und auf eine Tumorstation dürften Kinder oft erst ab zwölf Jahre zu Besuch kommen. In Essen ist das anders. „Man muss sehr ehrlich zu den Kindern sein“, sagt die Ärztin. Ihnen die Wahrheit sagen, aber sie dann nicht mit der Trauer alleine lassen, sondern sie an die Hand nehmen und begleiten.

Alle leben das Prinzip

Die Schwestern, die Ärzte – alle leben dieses Prinzip in der Tagesklinik und in der ambulanten Pflege, damit die Kinder keine Ängste entwickeln, die sie quälen und ein Leben lang behindern. Sie reden mit den Kindern, malen mit ihnen, machen Ausflüge. Sind einfach da. Doch die Hilfe reicht nicht. Die Palliativmedizinerin will einen spezialisierten Psychologen ins Team holen. „Die Kinder brauchen einen Experten, der sich mit der besonderen Trauer durch extremen Verlust auskennt.“

Das kostet. Aber das ist für Marianne Kloke, die Gründerin einer deutschlandweit beispielhaften palliativen Versorgung, kein Argument. Sie will gemeinsam mit dem „Verein der Freunde und Förderer“ über ein Konzert (siehe Info-Kasten) Gelder mobilisieren.

Es gebe zwar in der palliativen Versorgung eine Neuregelung, wonach Schwerstkranke das Recht auf eine spezialisierte ambulante Versorgung haben. Wozu auch die Hilfe für die Kinder gehöre. „Aber finanziell spüren wir noch nichts davon“, ärgert sich Kloke. „Wenn wir warten, werden wir schimmelig.“ Sie wartet nicht, weil sie die Schicksale motivieren zu kämpfen.

Wie das Schicksal von Lena (10). Lena sollte nicht sehen, wie schlecht es der Mutter ging. „Aber ihre Mama war von oben bis unten eine einzige Wunde“, sagt die Ärztin. Der Vater habe ein absolutes Geheimnis aus der Krankheit gemacht. Aber natürlich habe Lena alles mitbekommen. „Doch sie durfte nichts sagen, nicht zur ihren Freundinnen, nicht zur Lehrerin.“ Die keine Erklärung dafür hatte, warum Lena in der Schule so abfiel.

Das Klinikpersonal nahm Lena an die Hand und ließ sie malen. Bilder von Menschen, über die sich ein blonder Engel neigt. Trotz des Engels sind es fast fröhliche Bilder, die im Arztzimmer hängen. „Das ist der Sinn des Palliativgedankens. Trotz aller Traurigkeit am Leben bleiben.“

Nicht nur kleine Kinder seien mit der Trauer überfordert. Selbst 16-, 17-, 18-Jährige kämen mit der Situation nur ganz schlecht zurecht. „Sie sind ja in der Pubertät, nabeln sich also gerade von zu Hause ab, und dann werden sie von der Krankheit wieder brutal zurückgeholt. Das ist ein Zustand, der große Schuldgefühle auslösen kann.“

Eine Schleife aus Mull

Auch die Jugendlichen brauchten während der Trauerbegleitung vor allem dieses: Verlässlichkeit und Stabilität. Eltern und Menschen, die selbst von der Trauer betroffen sind, seien oft zu mitgenommen, um den Kindern Stütze zu sein.

Wenn man sich kümmert, dann könnte es gut laufen. Kloke erzählt von Mia (7), die über Wochen zu ihnen kam. „Wir konnten sie immer wieder sanft auf den Abschied vorbereiten.“ Als der Moment kam und Mias Mutter starb, hatte das Kind die Kraft, dabei zu sein. „Jetzt braucht die Mami aber Blumen“, habe Mia gesagt. Marianne Kloke hat von irgendwo Rosen geholt, eine Schleife aus Mull gebunden. Mia wusste, was noch zu tun war: „Die Mama kriegt ihr Frosch-T-Shirt an, das war ihr Lieblings-T-Shirt.“