Großenbaum. .
„Wo zu viel Würde hergestellt werden soll, nimmt die Würde Schaden.“
So lautete eine der zentralen Thesen, die Privatdozent Dr. Gerd Held (Technische Universität Berlin) bei seinem Vortrag im Städtischen Seniorenheim aufstellte.
Gemeint war: „Man soll dem Menschen - vor allem auch Kranken, Verletzten und Schwachen - Gelegenheit zu eigenem Tun lassen“, so der Sozialwissenschaftler. Man müsse es ihm ermöglichen, sich durch eigenes Handeln - und sei es wegen Krankheit auch noch so reduziert - Würde zu erhalten. Übertriebene Hilfe bzw. Fürsorge führe nämlich nicht selten zu ungewünschter Bevormundung.
„Über die Endlichkeit und Würde des Menschen“ war der Titel des Symposiums, das von den Städtischen Seniorenzen-tren (vom Klinikum Duisburg) sowie der Ambulanten Pflege (Moers) veranstaltet wurde. Rund 60 Zuhörer waren gekommen, um den Fachvortrag und eine Podiumsdiskussion zu verfolgen, die von Pfarrer Friedrich Brand (Wanheim) geleitet wurde. Zwei Palliativmediziner, eine Seelsorgerin, ein Chefarzt für Geriatrie, eine Pflegedienstleiterin und der Referent saßen als Experten auf dem Podium.
Dr. Gerd Held trug in seinem Vortrag zunächst grundlegende Überlegungen zum Begriff der „Würde“ vor , erläuterte etwa, welch’ wichtige Rolle dieser in der Epoche der Aufklärung spielte. Und er-klärte, dass u. a. „das Streben nach Höherem“ ein wichtiges Merkmal für „Würde“ sei.
Gegen Ende formulierte der Dozent aber auch konkrete Anregungen für den Umgang mit alten oder kranken Menschen. Unterscheiden müsse man, so Held, zwei Arten der Würde: die „Haben-Würde“, also diejenige, die der Einzelne per se besitze, die ihm aber durch Umstände und andere Leute entzogen (oder gegeben) werden könne. Und die „Tun-Würde“, die ein Mensch durch eigenes Handeln entwickele und fühle. Letztere müsse in Medizin und Pflege noch viel mehr beachtet werden.
Mit einem eindrucksvollen Beispiel erläuterte Gerd Held, wie das aussehen könnte: Ein Wintertag, es schneit. Eine sterbenskranke Frau sagt, dass sie gerne noch einmal Schneeflocken fallen sehen möchte. Die Pflegerin schiebt das Bett auf den Balkon. Gemeinsam schauen die beiden hinaus in die Winternacht - schweigend. Held: „Die Pflegerin hat aktiv Beistand geleistet, indem sie die Frau nach draußen ge-bracht hat. Dann ist sie zurückgetreten, hat die Patientin nicht zugetextet, hat es ihr überlassen, wie sie die Situation erleben will.“
Aufgabe von Medizinern und Pflegekräften sei es, menschenwürdige Umstände zu schaffen, aber dem Kranken auch Raum für „selbsterrungene Würde“ zu geben. Das Medizinisch-Pflegerische müsse da manchmal begrenzt werden. „Das ist für Ärzte und Pfleger eine schwierige Abwägung, weil die Situation am Ende eines Lebens ja oft auch uneindeutig ist“, so Held. Die „achtsame Selbstbeschränkung“ sei dabei nicht nur bei der medizinischen, sondern auch bei der geistig-seelsorgerischen bzw. sozialpsychologischen Betreuung unbedingt notwendig. Sonst gerate diese zum „Animationsprogramm“. „Der Patient darf nicht geistig an Schläuche gelegt werden wie in der Intensivmedizin.“
Die Palliativ-Medizin sei vom Grundsatz her auf all das angelegt, betonte der Referent. In der anschließenden Podi-umsdiskussion erklärten die Experten u.a., wie die Würde des Patienten respektiert werden kann: Wichtig sei, ihn so umfassend wahrzunehmen wie nur möglich. Die Palliativ-Medizin müsse früher einsetzen, nicht erst, „wenn die kurative Medizin nicht mehr weiter weiß“. Die große Kunst in der Pflege sei es, „den Patienten zu lassen“. Eine vertrauensvolle Beziehung sei unverzichtbar. Jeder Mensch solle zudem mit Angehörigen frühzeitig be-sprechen, wie er sich selbst ein Sterben in Würde vorstellt. Denn: Zu diesem Zeitpunkt kann er vielleicht nicht mehr selber für sich sprechen.