Wattenscheid.

. Den Büchereien in NRW droht unter dem Spardruck der Lesestoff auszugehen. Manche Bibliotheken müssen sogar die Schließung fürchten - wie die Stadtteilbücherei Bochum-Gerthe.

Im Erdgeschoss des Gertrudis-Centers gibt es Billigst-Kleidung, Blumen und Zahnpasta, im ersten Stock Bildung. Die Stadtteilbücherei Wattenscheid, die über 70 000 Menschen mit Wissens-, Hörens- und Lesenswertem versorgen soll, ist hell, aber eher nüchtern.

Vorne ­stehen die Regale mit Kinder- und Jugendbüchern. Man sieht es den Märchenbüchern und Klassikern der Jugendliteratur an, dass sie schon viele Leser hatten; angedötschte Ecken zeugen davon. Viel TKKG und Knister, vereinzelt Neues wie „Septimus Heap”.

15 Uhr, langsam füllt sich der Raum. Vor allem mit ­Müttern und Kindern. Heute ist Bilderbuchkino-Tag. Jeden ersten Dienstag im Monat lässt Dirk Plewka, kommis­sarischer Leiter der Zweig­stelle, Bilderbücher lebendig werden. Heute Helme Heines „Na warte, sagte Schwarte”.

Bei Bestsellern braucht der Leser viel Geduld

Der Lesenachwuchs lümmelt auf Kissen, erzählt eifrig mit. Viele kennen die Geschichte schon. Nach dem „Kino”, das eigentlich eine Diashow ist, nehmen sie neuen „Stoff” mit. Emilie (5) etwa. Sie ist mit Mama Veronique Nocke (29) und Brüderchen Tom (1) aus Höntrop gekommen. Den Wattenscheider Bestand – soweit er sie interessiert – kennt Veronique mittlerweile. Sie kommt trotzdem, bestellt halt aus der Zentrale. „Wir sind ja froh, dass wir noch eine Bücherei hier haben.”

Erika Graetz (69) hat eine Wunschliste mit Autoren dabei. „Meistens ist das, was man will, nicht da. Aber dann bestelle ich es halt.” Eng wird es mit der Ausleihe vor allem bei Titeln der Spiegel-Best­sellerliste. Die sind oft erst nach Monaten zu ergattern. Im Bestand sind aber alle, die Megaseller sogar doppelt.

27 000 Medien gibt es hier, davon 40 Prozent Romane samt Hörbüchern, fast die Hälfte machen Kinder- und Jugendbücher aus. 4200 sind Non-Print-Medien. Kinder ­leihen fast zur Hälfte Hör­bares aus. Ein paar türkische Kinderbücher gibt es auch, aber nicht allzu viele. Trotz des hohen Migrantenanteils ist die Zahl der Büchereinutzer mit Migrationshintergrund in Wattenscheid eher überschaubar. Das könnte sich dank Schulaktivitäten ändern.

Sinkende Bestandszahlen

Eigentlich sollen die Medien nach spätestens zehn Jahren ausgetauscht werden, dann sind sie „abgeliebt”. Aber bei den Reiseführern etwa steht auch noch ein Venedigbuch von 1997; neben einem neuen Exemplar. 2200 Neuanschaffungen hat die Zweigstelle Wattenscheid aktuell bekommen – und 4000 Bücher aussortiert. Bochum ist eine der wenigen Städte mit Nothaushalt, die überhaupt schon Geld für neue Medien aus­geben durfte. Zwölf Prozent Neuerwerbungen müssten es sein, um Büchereien aktuell zu erhalten. Das wird nirgends mehr erreicht.

„Unsere Bestandszahlen sinken bei gleichbleibendem Etat und steigenden Preisen automatisch,” erklärt die stellvertretende Leiterin der Bochumer Stadtbüchereien, Waltraud Richartz-Malmede.

Am Fenster sitzt Paul Netz (48) und liest. Einen historischen Roman. Er kommt drei Mal die Woche nach der Arbeit, liest, während er auf seine Frau wartet, die im Erdgeschoss arbeitet. Koray Macit (19) hat einen dicken Stapel mit Mathe-Büchern auf dem Arm. Er hat gerade Abi gemacht und will sich aufs Studium vorbereiten. „Ich hab auch in der Schulzeit viel hier ausgeliehen. Das war gut.”

Szenenwechsel. Stadtteil­bücherei Bochum-Gerthe. Fast 40 000 Menschen leben hier im Bochumer Norden, die Bücherei ist im Schulzentrum untergebracht. Geöffnet viermal die Woche, 22 000 Medien inklusive Schulbücherei. Die Zweigstelle stand auf der Streichliste, der Haushaltslage wegen. Bis sich ein Förderverein gründete, Kinder Unterschriften für den Erhalt ihrer Bücherei sammelten. An interessiertem Nachwuchs mangelt es nicht. Kooperationen mit Kitas und Schulen, Vorlesepaten und Bilderbuchkino haben gewirkt. Ob das auf Dauer den Erhalt sichert?