Solingen/Wuppertal. .
Bei einem Solinger Ehepaar sank die Temperatur nachts bis auf 14 Grad. Am Landgericht Wuppertal wird seit Dienstag verhandelt. Dort könnte man ein Muster-Urteil fällen.
Der nächste Winter kommt – und wenn draußen Minusgrade herrschen, wird es für das Solinger Ehepaar im Schlafzimmer nachts wieder zum Schlottern, fürchten sie. 15, einmal sogar nur 14 Grad maßen die beiden im vergangenen Februar um 4 Uhr morgens in ihrer 58 Quadratmeter großen Wohnung. Und das, obwohl den ganzen Tag die Heizung voll aufgedreht war. Ab Mitternacht, protokollierten sie, fiel die Temperatur jede Stunde um ein Grad.
Ihr Vorwurf: Der Vermieter, eine Solinger Wohnungsbaugenossenschaft, habe die Heizung zu niedrig eingestellt. Die erwiderte über ihren Anwalt, mit der „hochmodernen, computergesteuerten Heizung“ sei alles in Ordnung, auch nachts könne sie die Wohnung auf 18 Grad bringen. Von den anderen Parteien im Mehrfamilienhaus habe sich bislang keiner beschwert. Nach gescheiterten Gesprächen zog das Ehepaar schließlich vor Gericht.
Für die Temperatur am Tag gibt es klare Regeln
Womit sich das Landgericht Wuppertal da am Dienstag beschäftigte, das ist nicht weniger als die grundsätzliche Frage, welche Temperatur Mietern zuzumuten ist. Ein brisantes Thema, nicht erst seit Thilo Sarrazin Hartz-IV-Empfängern empfahl, doch mal einen warmen Pulli mehr anzuziehen. Denn während Mietern durch etliche Gerichtsentscheidungen tagsüber klar eine Temperatur von mindestens 21 bis 22 Grad zusteht, gibt es zur Nacht bislang keine einschlägige Entscheidung.
„Ein höchstrichterliches Urteil und damit eine Rechtsvorstellung fehlt“, klagt Claus Deese, Geschäftsführer beim Deutschen Mieterschutzbund in Recklinghausen. Statt dass die Frage bis vor den Bundesgerichtshof komme und mustergültig entschieden werde, urteile jedes Amtsgericht bislang „willkürlich“.
Dass das Solinger Amtsgericht die Klage im Mai in erster Instanz abwies und den Solinger Mietern beschied, auch bei 14 Grad sei eine dicke Decke doch wohl ausreichend, überrascht den Mieterschützer deshalb nicht. Während Mietern bei frösteln machenden Temperaturen tagsüber „eine Mietminderung von 30 bis 40 Prozent zusteht“, rät er davon ab, bei nächtlichen Temperaturstürzen mit ähnlichem Selbstbewusstsein vor dem Vermieter aufzutreten.
Längst liegt nicht mehr jeder um 22 Uhr im Bett
Dabei werde das Thema immer wichtiger. „Die Gesellschaft ist im Wandel, längst liegt nicht mehr jeder um 22 Uhr im Bett“, sagt Deese. „Das ist eine Lebensvorstellung, die heute doch für ein Drittel der Bevölkerung nicht mehr gilt.“ Den Solinger Fall mit nachts bis runter auf 14 Grad hält er für „extrem“. „Sind Sie da noch auf, dann können Sie die Hütte nicht nutzen.“
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Immerhin: Das Solinger Amtsgericht ließ die Berufung zum Landgericht zu. Und da hat man eine ganz andere Vorstellung. Gestern gab es zwar noch kein Urteil, weil das selbstgemachte Temperaturprotokoll der Mieter nicht reicht. Aber der Vorsitzende Richter und Vizepräsident am Landgericht, Siegfried Mielke, machte schon einmal seine „Rechtsvorstellung“ in der Frage überdeutlich: „Es gibt keinen Zweifel, dass auch in den kältesten Winternächten in der Wohnung 18 Grad herrschen müssen.“ Alles darunter widerspreche nicht nur dem Recht des Mieters auf „Behaglichkeit“, sondern sei gesundheitsschädlich und gefährde das Gebäude (siehe Infobox).
Sollten sich die Parteien vor dem nächsten Gerichtstermin nicht selbst einigen, muss wohl ein teurer Sachverständiger im nächsten Winter ran und in der Solinger Wohnung eine juristisch belastbare Messung vornehmen.
Für Mieterschützer Deese wäre es jedenfalls der bessere Weg, die Sache durchzuklagen. „Eine außergerichtliche Einigung vor dem Landgericht wäre schade“, sagt er. Die Rechtsauffassung des Gerichts allein sei nicht zitierfähig. „Es braucht ein Urteil, das einer breiten Öffentlichkeit zugute kommt. Auch Richter lesen zum Glück die Zeitung.“
Dafür müsste das Solinger Ehepaar dann allerdings noch einen Winter lang bibbern.