Wuppertal. .
Wie kalt darf eine Wohnung nachts sein? Vor dem Wuppertaler Landgericht wurde gestern im Berufungsverfahren über die Klage eines MIeterpaares gegen seinen Vermieter verhandelt.
Im sonnigen Süden Sibiriens stieg die Temperatur am gestrigen Dienstagmittag auf 14 Grad Celsius. Angenehm. Ein Solinger Ehepaar maß dieselbe Temperatur im Februar dieses Jahres um vier Uhr nachts in seinem Wohnzimmer. Gar nicht angenehm, fand es. Und verklagte den Vermieter, eine Solinger Baugenossenschaft. Kälter als 18 Grad dürfe es auch nachts in der Wohnung nicht sein, forderten die Mieter. Das Amtsgericht Solingen entschied im Mai gegen sie. Gestern traf man sich zum Berufungsverfahren vor dem Wuppertaler Landgericht.
Das Urteil, versprach Gerichtssprecher Karsten Bremer, werde Signalwirkung haben. Denn eine höchstrichterliche Rechtsprechung zum Thema gäbe es bislang noch nicht. Ein Urteil aber fällte die Wuppertaler Zivilkammer gestern gar nicht. Der Vorsitzende Richter, Siegfried Mielke, riet Klägern und Beklagter vielmehr dringend zu einer außergerichtlichen Einigung. Aber er ließ keinen Zweifel daran, dass das Gericht vollstes Verständnis für das Begehr der Mieter habe: Um ihrer Gesundheit und Behaglichkeit wegen sowie aus Gründen des Gebäudeschutzes dürften 18 Grad Zimmertemperatur ganz sicher nicht unterschritten werden, erklärte Mielke. „Auch wenn Berliner Senatoren da schon mal andere Auffassungen vertreten.“ Ein Seitenhieb auf den unseligen Thilo Sarrazin, der 2008, als er noch Finanzsenator in der Hauptstadt war, befunden hatte: „Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können.”
Das Solinger Amtsgericht teilte diese Auffassung offenbar. In der Begründung der Klageabweisung vom 12. Mai 2010 heißt es sinngemäß: Nachts schliefen die Menschen bekanntlich, da könnten sie sich auch an dicken Decken und Bettwäsche wärmen. „Der Richter war vermutlich Langschläfer”, lästerte Hans-Peter Ohliger, der Rechtsanwalt des Mieterpaars, am Rande des Berufungsverfahrens in Wuppertal. Schichtarbeiter dagegen frühstückten oft um fünf. „Und das wollen sie nicht in einer 14 Grad kalten Küche tun!”
Tatsächlich bestritt Michael Finke, Anwalt des Vermieters, das Recht der Kläger auf eine wenigstens 18 Grad warme Wohnung gar nicht. Die „hochmoderne, computergesteuerte Zentralheizungsanlage” des Mehrfamilienhauses, in dem die Kläger wohnen, sei deshalb auch so eingestellt, dass diese Temperatur selbst in den frostigsten Nächten nicht unterschritten werde. Kein anderer Mieter habe sich bislang über zu kühle Räume beschwert, aber die beiden Kläger seien sehr sparsame Menschen, habe er gehört, Womöglich drehten sie die Ventile der Heizung gar nicht voll auf, oder hätten unmittelbar vor der Messung noch gelüftet . . . „Theoretisch denkbar”, konterte Richter Mielke diesen Einwand. „Aber wir haben keine Hinweise dafür, dass die Kläger nachts um drei Uhr aufstehen, um stoß zu lüften. Und wir sehen auch keine Motivation, das zu tun.”
Beweisaufnahme wäre
teuer und aufwändig
Nun sollen sich die beiden Parteien überlegen, wie der Streit – vielleicht mit Hilfe eines Heizungsexperten – außergerichtlich beigelegt werden kann. Sollte man sich nicht einigen, müsse in die Beweisaufnahme eingestiegen, erklärte Richter Mielke: ein Sachverständiger bestellt, geeichte Thermographen in der Wohnung aufgebaut, die Heizungsventile verplombt und einen Winter lang Nacht für Nacht gemessen werden: „Ungeheure Kosten, ungeheurer Aufwand”, mahnte der Richter, „und der nächste Termin wäre erst im Frühjahr.”
Aber dann wird’s ja selbst in Sibirien wieder wärmer.