Ruhrgebiet. .
An mehreren Orten in Deutschland und in Brüssel demonstrierten Bergleute für den Erhalt des Kohlekompromisses, der ihre Arbeit bis 2018 sichern soll. Die Frühschicht lässt ihrem Frust freien Lauf.
Aus über 1000 Metern Tiefe ist die Frühschicht gekommen, ungefähr so tief ist auch ihre Enttäuschung. „Ich dachte, das würde funktionieren“, sagt einer mit Kohlenstaub im Gesicht. „Wir hatten geglaubt, wir wären sicher“, sagt der Betriebsrat. Aber es ist wieder mal gar nichts sicher im deutschen Bergbau oder dem, was davon geblieben ist. Keine vier Jahre hat der Kohlekompromiss gehalten, als „neues Kapitel“ haben sie ihn gefeiert im Februar 2007 – und jetzt soll es bloß ein Märchen gewesen sein und nicht mehr wahr.
Deshalb stehen die Kumpel nun schon wieder in der Kälte, als um den Förderturm der Zeche Auguste Victoria der Nebel aufsteigt, sind „schockiert“ und „natürlich sauer“, und Guido Jugovac sagt: „Jetzt kommen die Ängste wieder hoch.“ Jugovac hat in 33 Jahren unter Tage fünf Verlegungen erlebt, er hat in Bonn demonstriert, Düsseldorf und auch in Rheinhausen, „was wir alles gemacht haben“! Dabei möchte er doch „eigentlich nur seine Arbeit machen“.
Nur will diesmal Brüssel ihn nicht mehr lassen, 2014 will die EU-Kommission alle Subventionen streichen, bis 2018 immerhin sah das „Steinkohlefinanzierungsgesetz“ Geld vor. Andreas Lakomy hat es fast geahnt: „Seine Gedanken macht man sich immer, in der Politik gibt es zu viele Umschwünge.“ Lakomy ist erst 30, er hat seinen Beruf gewählt, als der schon fast am Ende war. Nun will er ihn „mitnehmen, so lange es geht“. Nur, wie lange ist das noch?
Schicht am Schacht
„Das Datum 2018 ist doch nicht vom Himmel gefallen oder ausgekegelt worden“, ruft Michael Vassiliadis ins Mikrofon. Der Vorsitzende der Gewerkschaft IGBCE spricht auf der Stadtgrenze zwischen Marl und Haltern am See, in einem Festzelt über Schacht 8, aber es gibt nichts zu feiern. Später wird er noch in Ibbenbüren und Kamp-Lintfort reden, in Bottrop und in Brüssel, sie sind schon nur noch zu fünft, die Zechen im Revier, und morgen sind es nur noch vier: Heute fährt das Bergwerk Ost in Hamm die letzte Schicht. Und während Vassiliadis nach Belgien eilt, wird in Dorsten eine alte Kohlenwäsche gesprengt.
Überall wird er an diesem Tag diese Frage stellen: „Was glaubt die Politik eigentlich, was sie uns noch alles zumuten kann?“ Erst habe sie den Bergleuten abgenötigt, den ersten Nagel in den Sarg für den deutschen Steinkohlenbergbau zu schlagen. „Und nun will sie uns per Fußtritt noch schneller ins Grab befördern.“ Der Gewerkschaftsboss beschwört die Zusagen der Kanzlerin, beschimpft ihren Wirtschaftsminister, beschuldigt die Politik des Wortbruchs: „Abgemacht ist abgemacht“ ist das Motto des Aktionstages. „Wir bitten und betteln nicht, wir erwarten nur das, was uns zusteht.“
9000 hören ihm zu, mit weißen Helmen, gelben, grünen, in Bergmannskluft, Warnwesten, feinem Anzug oder in Zivil. Der Vorstandschef der Ruhrkohle ist da, der Bürgermeister von Marl, der Landrat, der Pfarrer, der Moschee-Vorsitzende. Die Betriebsräte von Evonik, Degussa, die Vertreter von Zuliefer-Betrieben. Sie stehen in diesem Zelt und können nichts tun als klatschen und reden. „Wir wehren uns“, sagt einer ein wenig müde. „Wenn wir uns nicht zeigen . . .“ Und das ist die Botschaft dieses Tages, dass sie da sind, die verbliebenen vielleicht 22 000. Und dass sie nicht aufgeben, einfach so. „Noch ist keine Endzeitstimmung“, ruft Norbert Maus ihnen zu, der Betriebsrats-Vorsitzende auf Auguste Victoria.
Keine weiße Fahne
„Wir kennen den Weg nach Brüssel, und wir kennen auch den Weg nach Berlin“, warnt auch Michael Vassiliadis. Und die Bergmänner wissen, das ist ihre einzige Chance: „Wir müssen aufmerksam machen, dass wir da sind“, sagt Guido Jugovac. „Wenn wir wirklich stark kämpfen . . .“, hat auch Sebastian Kobus noch Hoffnung. Sie wollen nicht so schwarz sehen wie ihre Gesichter es sind, „wir werden die weiße Fahne nicht ausrollen“, sagt Betriebsrat Maus.
Nicht einfach so. Obwohl Jugovac dieses dumme „schlechte Gefühl“ hat, „dass es schief gehen könnte“. Dabei ist auf Auguste Victoria, Kohlekompromiss hin oder her, in jedem Fall schon 2015 Schluss. Dort drüben gehen gerade die letzten Auszubildenden zurück an die Arbeit. „Unsere Zukunft“, murmelt der Betriebsschlosser Jugovac – „wäre das gewesen.“