Essen.
Für Sandra Seifert begann mit der Transplantion einer neuen Leber auch ein zweites Leben – dank eines Spenderorgans.
Heute kann sie sich das gar nicht mehr vorstellen. Sie soll irgendwann eine junge Frau gewesen sein, die fröhlich lachend in den Tag lebte? Einfach so? Ohne darüber nachzudenken, wie schnell das Leben vorbei sein kann?
Sandra Seifert (35) weiß das selbst: Sie war eine von vielen, die eben nie darüber nachgedacht haben, ob man vielleicht schon in ein paar Stunden sterbenskrank auf einer Intensivstation liegt.
Wer tut das schon?
Doch irgendwann sah sie in den Spiegel. Und das Weiße in ihren Augen war gelb.
Sie wusste nicht gleich, dass dies das Zeichen einer Vergiftung war, aber dass etwas nicht stimmte, das wusste sie schon. Natürlich, sie fühlte sich schon länger nicht richtig wohl. Ihr war übel, sie hatte Kopfschmerzen, sie war schläfrig – aber wer denkt sich schon was dabei. Als sich jedoch die Haut zu verfärben begann, weil die Leber ihre Entgiftungsfunktion langsam einstellte, als sie gelb wurde, fast braun – da war es schon fast zu spät. „Am 28. August kam ich bei uns in Wolfsburg in die Klinik. Aber die wussten gar nicht so recht, was sie mit mir machen sollten“, sagt Sandra Seifert.
Dass sie an akutem Leberversagen litt, das hatte man diagnostiziert. Aber dass man daran sterben kann, das hatte man ihr nicht gesagt.
Es war ernst. Das begriff Sandra Seifert erst richtig, als sie am 30. August im Hubschrauber lag. Transportflug zur Essener Universitätsklinik. Hohe Priorität. Es musste etwas passieren – ohne eine Leber kann der Mensch nicht leben.
Warum aber versagte ihre Leber? Leberversagen, das war doch die Krankheit, die vor allem ältere Männer kriegen, weil sie die Hände nicht von den Spirituosen lassen können. Sandra Seifert jedoch war keine Trinkerin.
„Es lag an einem Medikament, das ich wegen meiner Thrombose nehmen musste. Man hat mir gesagt, dass diese Nebenwirkung sehr, sehr, sehr selten eintritt.“ Aber sie hat es getroffen. In diesem Sommer, als der heitere Himmel sich zuzog – und sie dastand mit der Frage: „Werde ich das überleben. Werde ich mein Töchterchen je wiedersehen.“
Eine Woche hat man versucht, die Leber zu entgiften, den Stoffwechsel zu klären. Hat ihr Medikamente gegeben, um das, was langsam ihr Leben bedrohte, auszusperren. Doch der Tod war plötzlich da. Er stand geradezu im Raum. „Komisch, ich fühlte mich gar nicht so krank.“ Doch weil sie spürte, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, kippte ihre Stimmung. „Ich hatte nur noch Angst, ich war komplett verzweifelt, ich habe nur noch geweint.“ Musste sie sterben?
Die Rettung: eine Spenderleber. Nun gehörte Sandra Seifert also zu den 800 Patienten der Uniklinik, die auf ein Organ warteten. Nicht alle in der Klinik, auch zu Hause. Sie selbst wartete darauf, dass sich ein Mensch fände, der eben nicht einfach vergessen hatte, sich einen Organspende-Ausweis zu besorgen.
Sandra Seiferts Prognose war gut: Sie war jung, sie war körperlich fit. Und es passierte das, was sie nicht beschreiben will, weil sie es nicht kann. Dafür gebe es keine Worte. Obwohl „absolutes Glück“ es vielleicht doch treffen könne.
Noch nachts kam sie auf die Liste von „Eurotransplant“, die die Organe nach Dringlichkeit verteilt. „Und am Vormittag war ich schon auf dem Operationstisch.“
Narbe über den Bauch
Heute sieht sie wieder so aus, wie sie einst ausgesehen hat. Von der Operationsnarbe, die einmal quer und einmal längs über den Bauch geht, mal abgesehen. Sie wird ihr Leben lang Medikamente nehmen müssen. Doch sie sieht froh aus. So wie früher, als sie, die Arzthelferin, täglich in die Zahnarztpraxis ging. „Vielleicht kann ich Ende Oktober schon wieder arbeiten.“
Vorher allerdings wird sie noch etwas tun, was ihr am Herzen liegt: einen Organspendeausweis ausfüllen. Und ihre vierjährige Tochter in den Arm nehmen. „Sie kommt Sonntag. Ich sehe sie nach all dem zum ersten Mal wieder.“