Essen.

Nichts gegen die Klassiker, aber Goethe, Shakespeare und Mozart sind nicht alles für Schüler. Jungen und Mädchen aus 33 Ländern Europas diskutieren beim Essener „Jugend-Symposium“ über ihre eigenen Ideen zur kulturellen Bildung.

Sie wollen reden: „Hört uns zu.“ Helen aus England, Nevenika aus Serbien, Anton aus Russland, der Ire Peadar oder die Lettin Eliza – sie alle sprechen verschiedene Sprache, aber sie rufen mit einer gemeinsamen Stimme: „Nehmt uns endlich ernst.“

100 Jungen und Mädchen sind aus 33 Ländern Europas nach Essen gekommen, um über Kultur zu sprechen. Miteinander und mit anderen. Sie wollen sich beteiligen an der Debatte, wie Kultur in Schulen vermittelt werden kann. Denn sie fühlen sich missverstanden. Sie wollen zeigen: Seht her, liebe Erwachsene, junge Menschen interessieren sich für Kultur, aber anders als ihr.

„Kultur“ ist ein unscharfer Begriff

Am Rande des internationalen Symposiums „Arts for Education“, auf dem Fachleute zur „kulturellen Bildung“ in Europas Schulen referieren, haben sich die Jugendlichen ihre eigenen Gedanken gemacht.

Dabei ist „Kultur“ ein glitschiges Wort. Wer es fassen will, dem rutscht es durch die Finger. Kultur zu definieren ist, als nagele man einen Pudding an die Wand. So geht die Leitfrage der Jugendlichen auch an den Anfang: „Was bedeutet Kultur eigentlich für mich?“

Und das ist eben nicht das gleiche, was die erwachsenen Experten darunter verstehen. Nichts gegen Musik von Wagner und Mozart, Gedichte von Goethe oder Bilder von Rembrandt – klar, der „klassische Kanon der Kultur“ ist wichtig. Aber er wird von Erwachsenen vorgeschrieben, in Schulbüchern und Lehrplänen. Für 16- bis 20-Jährige ist das nicht alles. Die Erwachsenen sollen sie mit ihren eigenen Interessen ernst nehmen: „Bloß weil wir nicht gern in die Oper gehen, sind wir nicht unkulturell“, ruft Helene Schulze (16) aus London von der Bühne der Essener Philharmonie. Das ging an die Adresse von Nike Wagner, die Leiterin des Kunstfestes Weimar, die zuvor eindringlich für die Klassiker geworben hatte.

Die „Hochkultur“ kommt hochmütig daher

Doch die sogenannte „Hochkultur“ kommt für viele Jugendliche angestaubt, le­bensfremd und dröge daher, ihre Vertreter hochmütig: „Wer darf denn entscheiden was für uns Kultur sein soll“, fragt Vanessa Marquardt: „Nur weil es historisch bedingt ein Klassiker ist, nur weil es intelligent klingt, muss es mir ja nicht gefallen.“

Die europäischen Schüler haben Ideen aufgeschrieben, gezeichnet oder in bunte Bonbontüten verpackt. Wie kann man ihre Kultur in die Schule holen? Sie liefern keine klaren Konzepte, sondern teils naive, teils radikale Denkanstöße.

Designer statt Lehrer in den Schulen

Sie fordern: „Überdenkt das System Schule“. Sie wünschen sich abstrakt mehr „kreative Freiheit“ und konkret „keine Noten in Fächern wie Kunst und Musik“. Sie wollen dafür Mode-Designer und Punk-Musiker statt Lehrer in Schulen und Unterricht unter freiem Himmel. Und letztlich: „Mehr echtes Leben in der Schule.“ Denn das ist die Definition, auf die sich alle Jungen und Mädchen am Ende einigen können: „Kultur ist mein eigenes Leben, das was ich eigentlich bin“, sagt Anton Karliner (18) aus Russland.

Die erwachsenen Experten, unter ihnen auch NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann, haben die bunten Zettel gelesen, die geschrienen Forderungen gehört. Und doch reden sie anschließend von „Subkulturen“, die man erfahrbar machen und „Ergebnissicherheit“, die man in der Bildung erreichen müsse.

Die Kluft zwischen Schülern und Erwachsenen bleibt

Spätestens da sind die meisten der Schüler aus den kreativen Träumen der vergangenen Tagen aufgewacht. Die Kluft zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, das Verständigungsproblem, es bleibt.

Große Hoffnung auf eine rasche Veränderung haben die wenigsten. „In den Schulen werden wohl noch viele Jahre die Klassiker als Kultur gelten – und daneben nichts“, sagt eine Schülerin aus Israel. Doch für den Russen Anton ist das nur noch eine Frage der Zeit: „Die Erwachsenen können jetzt noch ein paar Jahre machen, was sie wollen. Danach sitzen wir am Hebel.“