Essen. Fast vier Jahrzehnte hatte Klaus Birkobein einen festen Job. Seitdem er bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist, ist seine innere Uhr aus dem Takt. Er ist abrufbar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Als Zeitarbeiter droht ihm die Altersarmut.

Er schläft immer in zwei Etappen. Anderthalb dauert die erste, die zweite vielleicht drei Stunden. Er kann nicht anders. Kommt nicht zur Ruhe. Seitdem er bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist, ist seine innere Uhr aus dem Takt. Er ist abrufbar zu jeder Tages- und Nachtzeit.Verschiebbar wie eine Spielbrettfigur. Verzichtbar, wenn andere es beschließen. Klaus Birkobein, 57 Jahre alt, fühlt sich als Mensch zweiter Klasse. „Manchmal denke ich, das Leben macht keinen Sinn mehr. Ich komm' da nicht mehr raus.”

Klaus Birkobein spricht mit sanfter Stimme. Selbst bei größter Wut. Denn er ist wütend, wenn er an seine Zukunft denkt. Er wird ein typischer Fall von Altersarmut werden. Und das, obwohl er fast vier Jahrzehnte auf einem festen Arbeitsplatz gearbeitet und schwere Maschinen bedient hat. Er, der 38 Jahre lang bei Thyssen, dann bei Thyssen-Krupp und dann in dem verkauften und wieder unter neuem Namen firmierenden Stahlwerk in Essen zu Hause war. Doch irgendwann war Schluss für den gelernten Schlosser. Die Firma insolvent und der gebürtige Essener später auch. Und heute will ihn niemand mehr haben. Jedenfalls nicht für ein Gehalt, von dem er leben könnte. Von dem er weiter gut einzahlen könnte in die Rentenkasse.

Sieben-Tage-Woche

Die Zeit auf dem Stahlwerk hat Spuren hinterlassen bei dem Familienvater. Die lauten Maschinen, die er einst bediente, haben seine Gehörgänge geschädigt. Auf beiden Ohren trägt er große Hörgeräte. Seine Knie und sein Rücken machen ihm zu schaffen. Vor allem, wenn er Stress hat. Psychischen. Also eigentlich immer. Klaus Birkobein war zwei Jahre lang arbeitslos, seit zwei Jahren ist er Zeitarbeiter. Das bedeutet: Er arbeitet mal hier, mal dort. Presst für 7,21 Euro die Stunde Papier. Oder lädt gebrauchtes Glas aus, bewegt 1000-Kilo-Gebinde. „Eigentlich schaff' ich das nicht mehr. Mein Rücken. Aber was soll ich machen? Ich krieg' nichts anderes.”

Der 57-Jährige arbeitet an sieben Tagen in der Woche. Wenn man ihn lässt. Dann nimmt er bis zu 150 Kilometer Anfahrtsweg in Kauf. Sein Leben ist ein Kampf. Obwohl er sich täglich abstrampelt, reicht sein Einkommen nicht, er bezieht ergänzende Leistungen – sprich Hartz IV. „Das mit dem besseren Leben wird nichts mehr”, sagt seine Frau Angelika. Sie blickt aus sorgenvollen Augen. Täglich plagt sie ein schlechtes Gewissen. Seitdem ihr Mann den festen Job los ist, seitdem sie ihre Eigentumswohnung nicht mehr halten konnten, seitdem sie private Insolvenz anmelden mussten, geht der Aufzug des Lebens immer nur in eine Richtung. Nach unten. Ihr Mann hetze nur noch, arbeite viel zu schwer für seine Verfassung, „und ich sitze zu Hause".

Der Autokredit hat ihnen den Rest gegeben

Die ehemalige Verkäuferin würde gerne arbeiten. Aber mit 54 Jahren will sie niemand haben. Nicht mal zum Putzen.

Familie Birkobein hat vor zwei Jahren Privatinsolvenz angemeldet. „Die Wohnung haben wir noch gut los gekriegt.” Aber die 20 000 Euro für den Wagen waren zuviel. Der Autokredit, angeleiert in guten Zeiten für einen blauen Corolla, hat ihnen den Rest gegeben. Vor allem der 17-jährige Sohn leidet unter der angespannten Situation und dem Bewusstsein, dass seine Familie auf jeden Cent achten muss. „Geht nicht.” „Das können wir uns nicht leisten.” Die Antworten fallen immer gleich aus.

Wenn Mutter Birkobein einen Wünsch frei hätte? „Dass mein Sohn nie in so eine Situation kommt. Und dass er nie Hartz IV wird. ” Als Hartz IV „bist du abgestempelt, da nimmt dich keiner mehr ernst”. Keinen interessiere es, dass man ein Leben lang gearbeitet habe und auch jetzt nicht auf der faulen Haut liege. Niemals hätten sich die Eheleute vorstellen können, dass es mal so weit kommen würde. Es ging ihnen mal gut. „Wir konnten in den Urlaub fahren. Zweimal im Jahr.” Angelika Birkobein fällt die Erinnerung an alte Zeiten schwer. An die Zukunft will sie gar nicht erst denken. Ihr Mann spricht dennoch aus, was auch er am liebsten verdrängen würde: „Am Ende bleibt uns nichts. Das ist bitter. Dafür hab' ich mein ganzes Leben lang gearbeitet.”