Essen. Die Bologna-Reform bescherte den Studenten Bachelor, Master – und viele Probleme. Darunter: Prüfungsstress, Stoffverdichtung, Verschulung des Studiums, kaum Vertiefungen der Inhalte, keine Zeit für Praktika oder Auslandsaufenthalte, viele Studienabbrecher – vor allem in den Ingenieurfächern.

Wenn es nach Pascal Wörth gegangen wäre, hätte man sich die Reform sparen können. „Bei Ingenieuren macht der Bachelor keinen Sinn”, sagt der Student der Uni Duisburg-Essen. Mit diesem Abschluss könne man maximal als Bauleiter anheuern. Dennoch sei der Stress enorm, fünf bis sechs Prüfungen pro Semester, dazu Durchfallquoten bis zu 100 Prozent in bestimmten Pflichtklausuren. Zeit zum Geldverdienen bleibe kaum. „Ich musste ein Semester dranhängen”, sagt Wörth, der auf der Baustelle jobbte. „Die wollen jemanden, der anpackt. Da fragt keiner nach Vorlesungsterminen.”

Viele Studienabbrecher

Der angehende Ingenieur skizziert exakt die Probleme, die derzeit tausende Studierende mit der neuen Studienstruktur haben: Prüfungsstress, Stoffverdichtung, Verschulung des Studiums, kaum Vertiefungen der Inhalte, keine Zeit für Praktika oder Auslandsaufenthalte, viele Studienabbrecher – vor allem in den gefragten Ingenieurfächern.

Abschlüsse europaweit vergleichbar machen

Dabei sollte eigentlich alles viel besser werden. Vor zehn Jahren trafen sich in Bologna die Bildungsminister aus 29 Staaten und verabredeten, bis 2010 einen „gemeinsamen europäischen Hochschulraum” zu errichten. Das sollte die Abschlüsse international vergleichbar machen, die Mobilität der Studierenden erhöhen, die Studiendauer verkürzen und die Berufsnähe steigern.

In NRW beinahe flächendeckende Umstellung

Nach und nach haben die Hochschulen ihre Studiengänge auf das gestufte System Bachelor und Master umgestellt. In NRW ist dies sogar bereits beinahe flächendeckend geschehen. Nach zumeist sechs Semestern können Studenten nun den Bachelor-Abschluss (BA) absolvieren, der für den Berufseinstieg qualifizieren soll. Nach weiteren vier Semestern winkt der Master (MA). Diplom- oder Magisterstudiengänge wurden weitgehend umgestellt.

Kürzlich trafen sich die Minister wieder – inzwischen sind 46 Länder im Boot. Im belgischen Löwen zogen sie Bilanz und gaben sich zufrieden. Es gebe zwar Raum für Verbesserungen, doch sei der Prozess auf gutem Wege.

"Geistige Anspruchslosigkeit"

Die Praxis sieht weniger rosig aus. Prof. Ulrich Herrmann aus Tübingen fordert die Studenten sogar zu aktivem Widerstand „gegen die verordnete kollektive geistige Anspruchslosigkeit” auf. Die ganze Bologna-Sache sei in Wahrheit ein reines Sparprogramm, sagt der Pädagogik-Professor. Dazu gedacht, möglichst schnell möglichst viele Absolventen für den Arbeitsmarkt herzustellen. „Die Studienbelastung ist so hoch, dass die Studierenden nicht mehr zum Lesen und Lernen kommen. Sie pauken sich nur noch von Prüfung zu Prüfung.” Mit Bildung habe das nichts mehr zu tun. „Die Reform ist Unsinn”, meint Herrmann. Jetzt müssten zügig die schlimmsten Fehler korrigiert werden.

Überhastete Reform

Kritiker, soweit das Auge reicht: Der Deutsche Hochschulverband ruft zu einer Reform der Reform auf: „Der Bologna-Prozess in Deutschland ist nur noch zu retten, wenn massiv gegengesteuert wird. Es herrscht akuter Handlungsbedarf”, mahnt die Interessenvetretung der Hochschulprofessoren. Ebenso sieht es die einflussreiche Humboldt-Gesellschaft. Die Reform sei überhastet gestartet worden, es fehle an Lehrpersonal, und die gewünschte Mobilität der Studenten – Kernstück der Reform – sei nicht gestiegen, sondern sogar gesunken: Da jede Hochschule eigene Studienpläne konzipiere, sei ein Wechsel des Studienorts sogar innerhalb einer Stadt oft kaum möglich. Ähnliche Kritik kommt vom Deutschen Studentenwerk, der Hochschulrektorenkonferenz und der Bildungsgewerkschaft GEW.

Bachelor = Schmalspurstudium

Haben sich die Studenten bis zum Examen durchgekämpft, müssen sie mit dem von manchen als Schmalspurstudium bezeichneten Bachelor auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Die Personalchefs stehen den neuen Abschlüssen positiv gegenüber, sagt Christiane Konegen-Grenier, Bildungsexpertin beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Denn trotz der Krisenzeiten würden Fachkräfte weiterhin gesucht. Wer zu der Stelle passe, werde eingestellt – ob mit Bachelor, Master oder Diplom in der Tasche sei beinahe zweitrangig. Allerdings spricht sie eher von großen Betrieben. In Firmen mit weniger als 250 Beschäftigten, also dem Mittelstand, sind die neuen Abschlüsse immer noch kaum bekannt.

Studenten, Politiker und Arbeitgeber – alle zeigen nun auf die Hochschulen. Sie müssten die Studiengänge entrümpeln, sich von „alten Zöpfen” trennen, mehr zeitliche Spielräume schaffen. NRW-Wissenschaftsminsiter Andreas Pinkwart: „Die Hochschulen sind jetzt in der Verantwortung.”

„Mit dem BA bekomme ich keine Stelle"

Bis es soweit ist, wird Manuela Herder ihren Abschluss vermutlich bereits in der Tasche haben. Sie studiert im sechsten Semester Medizinische Biologie – und für etwas anders als Lernen bleibt ihr kaum Zeit. Für sie ist klar: „Mit dem BA bekomme ich keine Stelle. Der Master ist quasi Pflicht.” Auch sie musste neben dem Studium arbeiten, um sich zu finanzieren. „Ich habe dafür mit schlechteren Klausuren bezahlt”, sagt sie. Olga Renner findet, der Bachelor „geht in die richtige Richtung. Ich finde es gut, wenn das Studium straffer ist.” Doch in sechs Semestern bleibe man doch sehr an der Oberfläche. Auch sie will daher den Master im Fach Kulturwirt dranhängen.

75 Prozent hängen Masterabschluss an

Olga Renner, Manuela Herder und Pascal Wörth sind keine Einzelfälle. Etwa 75 Prozent aller Studenten wollen im Anschluss den Master machen, ergab eine bundesweite Umfrage des Hochschul-Informnationssystems 2007.

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