Düsseldorf. Ein Mann (49) aus Heiligenhaus gesteht vor Gericht, an Umsturzplänen mitgewirkt zu haben. Im Prozess kommen bizarre Details ans Licht.

Er wollte laut Anklage aktiv beim gewaltsamen Sturz der Bundesregierung mitmischen - nun droht ihm eine Gefängnisstrafe: Ein 49-jähriger Mann aus Heiligenhaus hat am Mittwoch die Vorwürfe vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf weitestgehend eingeräumt. Er distanziere sich aber davon. „Ich bereue es und bitte das Gericht um eine Chance“, heißt es in einer Erklärung, die er zu Beginn des zweiten Prozesstages von einem seiner beiden Anwälte verlesen ließ. Der Mann, der sich offensichtlich in der Coronazeit radikalisiert hat, beteuert, er sei „zu keinem Zeitpunkt Reichsbürger gewesen“.

Die Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein-Westfalen wirft ihm die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor. Das kann eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren nach sich ziehen. Laut Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat sich der Angeklagte von Januar bis April 2022 als Mitglied der sogenannten „Kaiserreichsgruppe“ betätigt.

Anschläge auf Umspannwerke sollten bundesweiten Stromausfall auslösen

Die Gruppe habe sich mit dem Ziel zusammengeschlossen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu beseitigen und durch ein letztlich autoritär geprägtes Regierungssystem nach dem Vorbild der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 zu ersetzen. Unter anderem wollte sie mit Anschlägen auf Umspannwerke einen wochenlangen, bundesweiten Stromausfall und dadurch bürgerkriegsähnliche Zustände auslösen.

Der 49-Jährige, der sich nach eigenen Angaben mit Strom auskennt, kam über das Schnellnachrichten-Netzwerk „Telegram“ mit zwei mutmaßlichen Hauptakteuren der Gruppe in Kontakt, die sich derzeit vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten müssen. Man habe sich da „gegenseitig hochgepuscht“, sagt er.

Den Vorwurf, dass er bei vier Treffen seine Bereitschaft erklärt haben, mitzumachen, räumt er ein - wenn auch nicht bei allem, was geplant gewesen sei. Eine regionale Führungsrolle, wie behauptet, habe er aber nicht gehabt. Vielmehr habe er sich gefragt, „wie ich da wieder rauskomme“. Ihm sei plötzlich klar geworden, „wie radikal die waren. Bei sowas wollte ich nicht dabei sein.“

Angeklagter hatte offensichtlich Angst

Das aber erscheint dem Vorsitzenden Richter Frank Schreiber mindestens widersprüchlich. Internetchats zwischen Gruppenmitgliedern, aus denen Schreiber zitiert, legen nahe, dass der Angeklagte keineswegs an einen Rückzug dachte. „Ich könnte verstehen, wenn man nichts mehr sagt, aber Sie schreiben auch im April noch: ,Bin dabei‘“, hält ihm der Richter vor.

Der Angeklagte, verheiratet und Vater eines 24-jährigen Sohns, behauptet, er habe seine „Rolle weitergespielt“ - und lässt durchblicken, dass er wohl Angst hatte. „Ich wusste ja schon ziemlich viel, auch dass die sich Waffen besorgen wollten. Ich weiß nicht, was die getan hätten. Kann man dann noch über die Straße gehen ohne sich umzugucken? Und wer hätte mir helfen können?“

Gruppe wollte Russlands Präsident Putin um Hilfe bitten

Details zu den Plänen der Gruppe, die am Dienstag in der Anklageschrift erwähnt wurden, klingen geradezu bizarr. Mitglieder und Unterstützer der Gruppe sollen unter anderem geplant haben, mit einem Schiff in russische Hoheitsgewässer einzufahren und Kontakt zu Russlands Präsidenten Putin aufzunehmen, um sich seiner militärischen und politischen Unterstützung bei der Gründung eines neuen Staates zu versichern. Auch eine Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war vorgesehen. Dazu die Anschläge aufs Stromnetz. Sämtliche Kollateralschäden, die daraus hätten entstehen können inklusive Todesopfern, hatte Staatsanwältin Isabel Booz am ersten Prozesstag betont, habe man bewusst in Kauf genommen.

Mit Betonpylonen sollten die Zufahrtsstraßen zum Regierungsviertel in Berlin blockiert werden. Zum Schluss hätte eine Versammlung von 277 Männern in Berlin, die Deutsche nach dem Staatsbürgerschaftsrecht von 1913 hätten sein müssen, eine neue Regierung bestimmen sollen. Eine neue „Reichsregierung“ sollte die Bundesregierung gewaltsam ablösen, ein Schauspieler sollte als Kanzler Olaf Scholz oder Präsident Frank-Walter Steinmeier im Fernsehen und Internet den ordnungsgemäßen Übergang verkünden. Die Gruppe war mit Hilfe verdeckter Ermittler beim Ankauf von Waffen aufgeflogen.

20 Verhandlungstage bis September

Der 2. Senat des Oberlandesgerichts hat bis Mitte September 20 Verhandlungstage angesetzt. Der Angeklagte befindet sich seit einer bundesweiten Razzia im Oktober vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. In seiner Wohnung wurden 52 Knallkörper gefunden, ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz wird ihm ebenfalls vorgeworfen.

Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2000 mehr als im Jahr davor. Im Dezember 2022 ging NRW-Innenminister Herbert Reul von rund 3400 Menschen aus, die zur Reichsbürgerszene gehören.

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