Düsseldorf. Die Pfeilspitze ragte aus einem Acker in Düsseldorf. Aber die wenigsten hätten darin den Weg zu einem spektakulären Fund gesehen.

Sind abertausende Badegäste achtlos über Steinzeitpfeile hinweg gestiefelt? Hätte jeder archäologisch Interessierte diesen Sensationsfund machen können?

Die Pfeilspitze aus der Steinzeit ragte aus dem Boden, nicht allzu weit entfernt von den Baggerseen in Angermund. (Das ist der Düsseldorfer Stadtteil mit der Duisburger Vorwahl). „Es war eine ganz schmale Klinge aus Feuerstein. An der langen Seite hatte sie eine Nut“, erinnert sich Thomas van Lohuizen. „Sie lag zwischen Ernteresten in einem Acker, halb vom Regen frei gespült.“ Dieses gräuliche Steinchen, nur zwei Zentimeter lang und drei Millimeter breit, gab dem Hobby-Archäologen ein Rätsel auf, das ihn zweieinhalb Jahrzehnte beschäftigen sollte. Viele Suchen und hunderte Funde später ist klar: Wo sich heute Sonnenanbeter ausstrecken, haben schon vor 13.000 Jahren Jäger und Sammler kampiert. Damit ist Angermund der erste und einzige Lagerplatz aus dieser Zeit, den man rechts des Rheins nachweisen konnte.

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Der Hobby-Archäologe Thomas von Lohuizen fand auf einem Acker Bruchstücke von „Federmessern“, also Pfeilspitzen aus Feuerstein.
Der Hobby-Archäologe Thomas von Lohuizen fand auf einem Acker Bruchstücke von „Federmessern“, also Pfeilspitzen aus Feuerstein. © Privat | Thomas von Lohuizen

Wie macht man einen solchen Fund?

Tatsächlich ist die Archäologie für den Brühler mehr als ein Hobby. Einige Jahre hat er in Namibia gelebt und dort mit der Koryphäe Wolfgang Erich Wendt geforscht, sein Archäologie-Studium hat er dann aus pragmatischen Erwägungen abgebrochen. „In diesem Beruf muss man viel und lange verreisen, das wollte ich meiner jungen Familie nicht zumuten“, sagt van Lohuizen. Er ist dann Suchttherapeut geworden und nur noch in seiner Freizeit losgezogen. Das allerdings beeindruckend systematisch. „Zwischen meiner Heimat Ratingen und dem Rhein habe ich alle begehbaren Flächen abgesucht.“ Und damit meint van Lohuizen keine Spaziergänge.

Einen Acker geht er so ab: „Zunächst von Norden nach Süden, so wie der Pflug wendet. Also in Abständen von 30 Zentimetern bis einem Meter. Dann das gleiche nochmal quer. So kann man es auch kartieren, wie auf einem Rechenblatt.“ Meist liegen noch Blätter, Halme, Stängel oder Kartoffeln herum – und dazwischen sucht van Lohuizen nach beschlagenen Steinen oder Keramik-Bruchstücken, die durch den Pflug nach oben gewühlt wurden. Die Form ist es eher als Farbe oder Textur, die einen behauenen Feuerstein verrät. „Gut, wenn es vorher geregnet hat, dann ist der Sand abgefegt“. Bei einem einfachen Spaziergang würde auch er nichts finden, sagt der 60-Jährige. Er muss sich schon sehr konzentrieren, vier, fünf Stunden lang. „Musik würde dabei stören. Aber die Geräusche der Vögel und des Windes gehören dazu. Es ist auch ein Naturerlebnis, eine Art von Meditation. Man wird selber sehr ruhig.“

Der Hobby-Archäologe Thomas von Lohuizen hat in Düsseldorf-Angermund einen Steinzeit-Lagerplatz entdeckt. Er fand in einem Acker Bruchstücke von
Der Hobby-Archäologe Thomas von Lohuizen hat in Düsseldorf-Angermund einen Steinzeit-Lagerplatz entdeckt. Er fand in einem Acker Bruchstücke von "Federmessern", also Pfeilspitzen aus Feuerstein. © Privat | Thomas von Lohuizen

Systematische Suche statt Zufallsfunde

Eine 2000 Jahre alte Siedlung in Duisburg-Serm hat van Lohuizen auf diese Weise entdeckt. Mittelalterliche Töpfereien grub er bei Breitscheid aus. Und in Ratingen-Lintorf fand er ein Prunkbeil aus dem vierten Jahrtausend vor Christus, gefertigt aus dem seltenen grünen Mineral Eklogit.

Mit diesen Projekten war van Lohuizen so beschäftigt, dass er der Pfeilspitze, die er 1998 in Angermund gefunden hatte, nicht weiter nachging. „Aber 2015 hatte ich Zeit und wollte es wissen. Dass ich die Pfeilspitze nicht einordnen konnte, hat mir keine Ruhe gelassen. Ich bin dann in diesem Jahr den Fundacker dreimal systematisch abgegangen.“ Und er fand Dutzende weitere Werkzeuge der „Federmesser“-Kultur: Rückenmesserchen, die unter den Pfeilspitzen in den Pfeilschaft eingelassen wurden, damit der Pfeil tiefer eindringen kann. Kratzer, Stichel und Bohrer zum Schnitzen von Knochen und zum Schaben von Häuten.

„Die Hersteller haben allerdings kein Design daraus gemacht. Sie haben vom Feuerstein ohne festes Muster etwas abgeschlagen.“ Ein Laie, glaubt Lohuizen, könne die Steine kaum erkennen. „Manchmal gibt es Zufallsfunde, wenn ein Keller ausgehoben wird oder wenn Kinder in einem Sandkasten oder Blumenbeet etwas finden. Einmal hat ein Bürger in Solingen eine durchbohrte Axt beim Anbau von Möhren gefunden.“ Aber grundsätzlich müsse man wissen, wonach man suche. Vor neun Jahren hat ein ehrenamtlicher Kollege in Grevenbroich mal eine römische Silbermünze gefunden, sie lag einfach auf dem Acker – aber auch das passiert äußerst selten. Normalerweise braucht man dafür Metalldetektoren – und die darf man nur mit Genehmigung nutzen. „Metall ist ohnehin die Ausnahme der Archäologie.“

Sieben Jahre, um die Fachwelt zu überzeugen

Nach seinen neuen Suchen hatte van Lohuizen genügend Argumente, um die Fachwelt zu überzeugen, dass sich die Federmesser-Kultur auch rechtsrheinisch ausgebreitet hatte. „In dieser kurzen Wärmephase der letzten Eiszeit lebten nur rund 5000 Menschen in NRW. Und sie waren in kleinen Gruppen unterwegs. Es ist ein Riesenaufwand, 20 Leute mit Jagen, Fischen und Sammeln zu versorgen“, erklärt van Lohuizen. Wenn er nun so viele Artefakte auf kleinem Raum gefunden hatte, musste dies bedeuten: Hier hatten die Nomaden immer wieder haltgemacht. Der Fundplatz lag früher etwas erhöht am Rhein. „Von Süden her bildeten sich gerade lichte Wälder.“ Und mit ihnen rückten Hirsche, Elche, Wildpferde vor – und Menschen. Wenige Hundert Jahre später wurde das Klima wieder kälter und Angermund unwirtlicher. Aber wann genau hatten die „Federmesser“-Menschen sich hier aufgehalten.

Als ehrenamtlicher „Bodendenkmalpfleger“ steht van Lohuizen in Kontakt mit der Stadtarchäologie in Düsseldorf und Duisburg und mit dem Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland. Nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte, übernahm 2023 eine Gruppe der Uni Köln unter dem Steinzeit-Spezialisten Wolfgang Heuschen das Projekt, suchte erneut, beschrieb jedes einzelne der 850 Fundstücke, darunter eine Steinperle und ein Amboss aus Flussgeröll. Ein weiteres Team nahm Bohrkerne. Nun steht fest: Der Lagerplatz in Angermund ähnelt dem in Wesseling hinter Köln auf der anderen Rheinseite und vielleicht steht er in Verbindung mit einem „Federmesser“-Grab bei Bonn. Weitere Grabungen sollen zeigen, was sich im Boden befindet. Vielleicht Reste von Feuerstellen, Tierknochen, Abfälle. Der Platz aber soll geheim bleiben, damit er nicht von „Schatzsuchern“ geplündert wird.