Gelsenkirchen. Starkregenereignisse werden in NRW häufiger. Könnte man meinen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Wie Menschen ihr Zuhause schützen können.

Für die Feuerwehr war es eine lange Nacht. Der 16. August 2023 hatte gerade begonnen, da brach über Teilen des Gelsenkirchener Südens ein schweres Unwetter aus. Innerhalb von 90 Minuten fielen etwa 75 Millimeter Niederschlag. Der Starkregen verwandelte Straßen und Gärten in schlammige Seen, Keller liefen voll, Sturmböen warfen Bäume um. Nachdem ein Regenrückhaltebecken übergelaufen war, stand das Wasser mancherorts bis zu 1,50 Meter hoch. Die Feuerwehr musste Schlauchboote einsetzen. Das Unwetter war kurz, heftig – und lokal sehr begrenzt. Nur wenige Kilometer weiter fiel kaum Regen vom Himmel.

In Gelsenkirchen sprachen Experten und Medien von einem „Jahrhundertereignis“. Doch es ist davon auszugehen, dass es nicht wieder erst in 100 Jahren ähnliche Starkregen-Ereignisse geben wird. Das Tiefdruckgebiet „Celina“ gab vor wenigen Tagen mit Gewitter und Starkregen sowie Dauereinsätzen der Feuerwehr erneut einen Vorgeschmack.

„Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir mit einer weiteren Zunahme solcher Wetter-Lagen rechnen müssen. Was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, könnte künftig der Normalfall werden“, sagt die Hydrologin Alina Domaß, die bei Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) in der Abteilung „Wasserwirtschaft“ arbeitet.

Immer öfter Starkregen

Zum Job von Alina Domaß gehört auch die Auswertung von Klima- und Niederschlagsdaten. Im Einzugsgebiet von Emscher und Lippe gibt es aktuell 86 EGLV-Niederschlagsstationen. Die Mitarbeiter können in Echtzeit auf die gemessenen Daten zugreifen. Und Alina Domaß sagt: „Bei beispielhaften Auswertungen haben wir gesehen, dass in den vergangenen Jahren eine Häufung von Starkregenereignissen zu erkennen ist, und dass die Abstände zwischen Jahren mit einer hohen Anzahl an Ereignissen kürzer werden.“

Straßen verwandeln sich in Flüsse. Wenn das Wasser nicht abfließen kann, kommt es zu Überschwemmungen.
Straßen verwandeln sich in Flüsse. Wenn das Wasser nicht abfließen kann, kommt es zu Überschwemmungen. © dpa | Boris Roessler

Was kommt also in Zukunft auf uns zu? „Dass es einen Klimawandel gibt, ist vollkommen unstrittig, das sieht man ja eindeutig am Anstieg der Temperaturen“, sagt Katharina Lengfeld, Meteorologin beim Referat für Regionale Niederschlagsüberwachung beim Deutschen Wetterdienst (DWD). „Aber mit Blick auf die Entwicklung der Niederschläge ist noch weitere Forschung nötig. Die physikalischen Zusammenhänge sind bei der Entstehung lokaler Starkregenereignisse - also Regenfälle, die maximal zwölf Stunden andauern - deutlich komplexer. Ihnen geht eine hochdynamische Entwicklung voraus. Das macht es schwierig, Aussagen zur zukünftigen Entwicklung zu treffen.“

Warnstufe 3 des Deutschen Wetterdienstes

Und auch der Blick auf NRW-Starkregenereignisse, die der DWD seit der Jahrtausendwende dokumentiert hat, lässt kein eindeutiges Bild erkennen: 2014 gab es beinahe 175 Vorkommnisse mit heftigem Starkregen oder ergiebigem Dauerregen („Warnstufe 3“ des DWD), 2017 waren es nur knapp über 50 und 2018 wiederum um die 160. 2022 gab es dann erneut nur etwas mehr als 50 Starkregenfälle. Ein ständiges Auf und Ab.

Schaut Alina Domaß auf ihre Daten, die zeitlich bis ins Jahr 1931 zurückreichen, dann sieht die Hydrologin bei den mittleren Jahresniederschlagssummen, dass diese in der Emscher-Lippe-Region insgesamt leicht zugenommen haben.

Ein Grund dafür, so kommuniziert es auch das Bundesumweltministerium, ist der Klimawandel. Mit fortschreitender globaler Erwärmung verändert sich der Wasserkreislauf aus Verdunstung, Wolkenbildung und Niederschlag. Eine wärmere Atmosphäre nimmt mehr Wasserdampf auf – und somit ist mehr Potenzial für extreme Niederschläge vorhanden.

Wetterlagen halten länger an: Sommerhitze und Dürrephasen

Weil sich der Temperaturgradient, der beschreibt, wie sehr die Lufttemperatur mit der Höhe zu- oder abnimmt, zwischen den Polargebieten und den Tropen abschwächt, verändern sich zudem großräumige Luftströmungen. Auch der für Westeuropa wetterbestimmende Jetstream ist bereits schwächer geworden. Dadurch ziehen Tief- und Hochdruckgebiete langsamer über Europa und Wetterlagen halten länger an. Das gilt sowohl für extreme Sommerhitze und Dürrephasen – aber auch für Tiefdruckgebiete, die Starkregen bringen.

Besonders in den Wintermonaten, das zeigen die Daten von Alina Domaß, ist bei den Niederschlagsmengen ein Trend zu erkennen: „Hier beobachten wir in der Emscher-Lippe-Region eine signifikante Zunahme, wenn wir uns den Zeitraum 1932 bis 2023 anschauen“. Die Erinnerung an die Hochwasserlage an Weihnachten und Neujahr 2023/2024 ist noch frisch: Voller Sorge blickten viele Menschen in NRW nach langanhaltendem Dauerregen im Dezember auf die Pegelstände, auch an Emscher und Lippe.

Wenn die Warnungen vor Unwetter des Deutschen Wetterdiensts Realität werden, verwandelt sich die Fahrbahn in eine gefährliche Wasserrutsche.
Wenn die Warnungen vor Unwetter des Deutschen Wetterdiensts Realität werden, verwandelt sich die Fahrbahn in eine gefährliche Wasserrutsche. © dpa | Federico Gambarini

„Die beiden Flüsse reagieren unterschiedlich auf Niederschlagsereignisse“, sagt Alina Domaß. Während die Lippe eher bei langanhaltendem Dauerregen und gegebenenfalls in Kombination mit Schneeschmelze über die Ufer trete, steigen die Wasserstände an der Emscher und auch an den Nebenläufen von Emscher und Lippe bei Starkregen schnell an. „Obwohl erfolgreiche Maßnahmen des Emscherumbaus sowie der ,Zukunftsinitiative Klima.Werk‘ dazu beigetragen haben, mehr Wasser zurückzuhalten.“

Nicht zuletzt hat die Hochwasserlage an Weihnachten und Neujahr gezeigt, dass der Hochwasserschutz hierzulande funktioniert. Vielerorts wurde aber auch deutlich, dass es noch Potenzial für Verbesserungen gibt. So gilt es beispielsweise, genügend Rückhalteflächen zu schaffen, die Wassermassen aufnehmen können. Besagte Retentionsräume sind auch ein zentraler Punkt der „Roadmap Krisenhochwasser“, die Emschergenossenschaft und Lippeverband im Frühjahr 2022 als Reaktion auf das verheerende Ahrtal-Hochwasser vorgestellt hatten.

Aber auch die Bürger sind in der Pflicht. Sie sollten sich zum Beispiel anhand der von den Kommunen bereitgestellten Starkregenkarten informieren, ob sie in einem überflutungsgefährdeten Bereich leben, und prüfen, ob ihr Haus beispielsweise über eine funktionierende Rückstauklappe verfügt.

Alina Domaß rät, dabei nicht abzuwarten, sondern zu handeln: „Wir wissen nicht, wann das nächste Ereignis kommt. Aber es ist sicher, dass es kommt. Dann müssen wir vorbereitet sein.“