Essen. In der Pflege fehlt massiv Personal. Eine Umfrage unter diakonischen Trägern zeigt die Folgen. Angehörige und Betreiber beklagen Triage
Pflegende Angehörige beklagen immer lauter, dass professionelle Pflege für schwerst hilfebedürftige Menschen zunehmend schwer zu finden sei. Gerade die schweren Fälle würden häufiger abgelehnt oder erhielten die Kündigung ihres Pflegedienstes, heißt es von der Initiative „Wir pflegen!“. Die pflegenden Angehörigen stünden mit dem Rücken zur Wand, sagt Vereinsvorstand Notburga Ott aus Bochum. „Sie fehlen am Arbeitsmarkt, sie werden krank. Am Ende wird das für die Gesellschaft sehr teurer werden.“
Laut Verein sind zwar die Leistungsansprüche für pflegebedürftige Menschen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Doch auch weil die Angebote fehlten, würde nur ein Bruchteil der Ansprüche geltend gemacht. Es seien vor allem die höheren Leistungsansprüche der schwerstpflegebedürftigen Menschen, die verfallen, beklagt der Verein, mit dem sich pflegende Angehörige bundesweit eine Stimme gegeben haben. „Das ist untragbar.“
Arbeitgeber in der Pflege beklagen Triage: Schwere Fällen stehen hintan
Öffentlich machen diesen Zustand kurioserweise nicht nur die Angehörigen. Arbeitgeber aus der Pflege, die sich zu der ambitionierten Initiative „Ruhrgebietskonferenz Pflege“ zusammengeschlossen haben, beklagen eine regelrechte Triage in der Pflege. Sie haben erstmals mit pflegenden Angehörigen einen „Pflege-Triage-Gipfel“ mit über 80 Menschen aus Pflege und Politik organisiert.
„Es sind gerade die schwer pflegebedürftigen Menschen, die kein oder kein angemessenes Angebot finden“, sagt Koordinator Roland Weigel. Weigel verweist darauf, dass Triage in der Militärmedizin bedeute, dass die schwereren Fälle hintanstehen. „Die Betreiber und ihre Beschäftigten leiden darunter, dass Angehörige und Kunden nicht das richtige Angebot erhalten.“
Ulrich Christofczik, Sprecher der Initiative und Geschäftsführer der Evangelische Dienste Duisburg mit rund 1500 Heimplätzen und 1100 ambulant versorgten Kundinnen und Kunden, ergänzt: „Wir müssen jeden Tag genau abwägen, ob und wen wir in unseren Einrichtungen aufnehmen.“ Die Lage in der Pflege sei ernst, so Christofczik.
Fachkräftemangel: Zwei Drittel der Heime reduzieren ihre Leistungen
Was den Arbeitgebern besonders zusetzt, ist der Fachkräftemangel. Über 70 Prozent der Betreiber in der Langzeitpflege haben Leistungen 2023 wegen personeller Gründe eingeschränkt. Das geht aus einer bundesweiten Ad-hoc-Umfrage des Deutschen Verbands für Altenarbeit und Pflege unter diakonischen Anbietern hervor, die beim Triage-Gipfel vorgestellt worden ist.
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Im Detail konnten fast zwei Drittel der stationären Pflegeheime ihre Leistungen nicht in vollem Umfang erbringen. Sie belegen also freie Betten nicht. 80 Prozent der ambulanten Pflegedienste haben in den vergangen sechs Monaten neue Pflegekunden abgelehnt – teils jede zweite Anfrage. Der Hauptgrund: Es fehlen Fachkräfte. „Je qualifizierter das gesuchte Personal, umso länger dauert es, eine Stelle zu besetzen“, sagt Geschäftsführerin Anna Leonhardi.
Wundversorgung: „Verdammt viele Menschen fallen durch das Raster“
Wie stark schwerstpflegebedürftige Menschen betroffen sind, machte auch Wundexpertin Nicole Wern deutlich. „Wir haben verdammt viele Menschen, die durch das Raster fallen“, sagt die Co-Chefin von „Ärzte-Dienst Scharf“. Beispielhaft berichtet sie von einem alkoholkranken Mann, der in einer großen Stadt in NRW lebe. Er habe eine schwere Wunde am Gesäß, die täglich versorgt werden musste. „Es gab niemanden, der das übernehmen konnte.“ Er sei stattdessen ins Krankenhaus gekommen, nur mit „Hängen und Würgen“ sei dann ein Pflegedienst für ihn gefunden worden.
Die Akteure forderten tiefgreifende Reformen. Und gehen auch auf die Straße: In Mönchengladbach hat ein Träger für diese Woche eine Demonstration angekündigt.
Ein Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums verweist bei dem Ruhrgebiets-Treffen auf Gesetzespläne und bereits umgesetzte Vorhaben, um die Pflege zu verbessern. Klar macht er aber auch: „Wir werden keine Pflegekräfte backen können.“ Der Bund könne Anreize schaffen und viele Maßnahmen auf den Weg bringen. Er werde den demografischen Wandel aber nicht allein bewältigen.