Düsseldorf. Ob Supermärkte ohne Kassen auskommen können, testet nun einer in Düsseldorf. Man packt die Sachen ein und geht. Aber wie wird bezahlt?
Durch diesen Supermarkt laufen die Leute mit dem Kopf im Nacken. Denn die Attraktion hängt unter der Decke: Unfassbar viele schwarze Kameras an metallisch schimmernden Schienen gucken von dort aus den Kunden auf die Finger. Die Kameras müssen aber auch jedes Gewürzdöschen und jeden süßen Riegel erfassen, einfach jedes Produkt, das die Leute an sich nehmen. Kassen gibt es ja nicht mehr - wenigstens auf längere Sicht.
Am Donnerstag hat in der Innenstadt von Düsseldorf ein Rewe-Supermarkt nach großem Umbau neu eröffnet, in dem nun nach und nach das Konzept „Pick&Go“ eingeführt werden soll. „Nehmen und rausgehen“ beschreibt das eigentlich schon ganz gut, auch wenn man dabei zunächst noch an Ladendiebstahl denkt: Im Endbetrieb sollen die vielen Kameras unter der Decke und die Waagen, die flächendeckend in die Regalböden eingebaut worden sind, die Einkäufe der Kunden genau erfassen. So genau, dass die am Ende keine klassische Kasse oder keine Selbstscanner mehr ansteuern müssen. Sondern eben: einfach rausgehen. Die Rechnung folgt dann online auf dem Fuße.
„Offizieller Start perspektivisch in der Zeit nach Ostern“
Nach dem nun angelaufen Testbetrieb mit einem vorab bestimmten Kundenkreis ist für alle „offizieller Start perspektivisch in der Zeit nach Ostern 2024“, so ein Sprecher der Rewe-Zentrale in Köln. Bis es soweit ist, und vermutlich darüber hinaus, wird es aber auch in diesem Geschäft möglich sein, die Einkäufe klassisch zu bezahlen oder selbst zu scannen. Denn „Pick&Go“ wird zwar Wartezeit beim Bezahlen ersparen, dafür entsteht neue Wartezeit vor dem Betreten: Wer es nutzen will, muss erst eine App herunterladen und einen QR-Code scannen. Das wiederum schreckt manche Leute ab, heißt es über einen ähnlichen Versuchsbetrieb von Aldi in Utrecht.
Rewe betreibt „Pick&Go“ in Berlin und München, jetzt in Düsseldorf und demnächst in Hamburg. Das Konzept „bewährt sich in der Praxis und erfreut sich großer Beliebtheit“, heißt es. Projektleiterin Jana Sanktjohanser wird in Pressemitteilungen dahingehend zitiert, man wolle „den Kundinnen und Kunden stets innovative Einkaufserlebnisse bieten“ und plane weitere solche Märkte. Die Kameras bilden die Leute auch nicht erkennbar ab, sondern erfassen ihre Umrisse und das, was sie aus den Regalen nehmen. Wen jemand etwas zurücklege, werde die Ware von der Rechnung wieder gestrichen. Die individuelle Zuordnung erfolgt ohne Namen und Daten über den gescannten Code.
„Es gibt Nachprüfungen durch Menschen im Betrieb“
Doch die Technik hat noch ihre Tücken, heißt es in der Branche. Sie „erkennt nicht immer vollständig, welche Waren die Kunden am Ende wirklich genommen und nicht wieder zurückgestellt haben“, heißt es beim „Retail Optimiser“ („Einzelhandelsoptimierer“). Anonym wird dort der Geschäftsführer eines Anbieters von Erfassungstechnik zitiert: „Es gibt Nachprüfungen durch Menschen beim Betrieb“ in jedem dieser Geschäfte . . . „Die Frage ist nur, wie häufig.“ Dann verzögere sich auch die Rechnung. Der „Supermarktblog“ schreibt dazu, die Kunden müssten sich „auf ein Verfahren einlassen. bei dem sie erst darauf vertrauen und später doch noch nachkontrollieren müssen, ob ihr Einkauf richtig abgerechnet wurde“.
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Doch der Vorstellung quasi eines zweiten Kölner Kellers mit Videoüberwachung widerspricht Rewe sehr deutlich: Es fänden „grundsätzlich keine Nachprüfungen durch Menschen statt. Die Vorstellung ist grotesk,“ so Sprecher Thomas Bonrath. Die Erkennungsrate liege „sehr nah am optimalen Bereich“. Gerade Neukunden würden die ersten Einkäufe und Quittungen genau abgleichen, „und viele werden zu Stammnutzern“.
Mit vergleichbaren Konzepten experimentieren auch Aldi, Netto, Tegut und Amazon. Bisher sind es aber nur einige wenige Märkte, anders als in Großbritannien und vor allem den USA. In Deutschland könnten sie in größerer Zahl eine Antwort auf den Arbeitskräfte-Mangel werden, sind aber durch die viele Technik teuer im Aufbau. Im deutschen Einzelhandel werden noch 20 Prozent des Personals an Kassen ingesetzt, sagt eine Zahl von Ende 2022.
Auch ganz ohne Kameras und Waagen hat sich die Zahl der Selbstscan-Kassen seit 2015 verdreifacht. 5000 Geschäfte bieten das inzwischen an, 2021 waren es nicht einmal halb so viele, so das Handelsforschungsinstitut EHI. Eine Expertin schätzt, dass noch weitergehende Systeme wie „Pick&Go“ sich eher für den schnellen Einkauf an Flughäfen oder Bahnhöfen durchsetzen („Ich brauche nur eine Tafel Schokolade“) als für den großen Wochenendeinkauf. „Das ist ein schönes System, aber es ist noch brandneu“, sagt sie: „Wohin das geht, keine Ahnung.“