Essen/Gelsenkirchen. Erst Dauerregen, dann Kälte. Hat das Wetter der letzten Monate den Borkenkäfer vernichtet? Und wie gefährlich sind andere Schädlinge?
Nass, nasser, 2023. Allein im Dezember sind in Nordrhein-Westfalen im Mittel rund 161 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gefallen. In der Summe des ganzen Jahres sind es rund 1204 Liter pro Quadratmeter gewesen. Damit war das Jahr 2023 das nasseste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Was bedeutet das für den Wald im Land und was für einen seiner größten Feinde – den Borkenkäfer?
Karlheinz Schlott, Fachbereichsleiter Land und Forstbetrieb beim RVR Eigenbetrieb Ruhr Grün hat erst einmal eine gute Nachricht. „Nach dem vielen Regen wird der Wald vitaler ins Frühjahr starten“, sagt er. Bis in eine Tiefe von 1,8 Metern, schreibt auch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) weisen die Böden „momentan nahezu keine Dürreerscheinungen mehr auf“. In fast ganz NRW sei der Boden in den oberen Bodenschichten vollständig gesättigt oder sogar übersättigt.
Forstexperten hoffen auf weitere Niederschläge
Alles gut also? Ein vitaler Start alleine, dämpft Schlott übertriebene Hoffnungen, reiche nicht aus „Es kommt auf den Verlauf des Frühjahrs an.“ Für das wünschen sich Forstexperten – anders als Bauern oder Wanderer - „noch weiteren Regen“ - klassischen Landregen, nicht zu stark, aber kontinuierlich über einen langen Zeitraum. „Dann haben die Bäume genug Reserven für einen möglicherweise trockenen Sommer.“
Und dann können sie sich besser gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer wehren. Durch Harzproduktion schafft es etwa eine gesunde Fichte, circa 400 Eindringlingen den Rüssel zu verkleben. Wenn die Bäume aber wie in den letzten Jahren unter Wasserstress stehen und geschwächt sind, haben die Borkenkäfer leichtes Spiel.
Unter die Rinde fressen die Käfer-Männchen kleine Hohlräume, von Wissenschaftlern Rammelkammern genannt. Mit hormonellen Duftstoffen locken sie dann die Weibchen an. Ein Baum bietet Platz für etwa 10.000 Käfer und Larven. Bei Platzmangel schwärmen die Käfer aus, der nächste Baum ist an der Reihe.
Borkenkäfer: Ein Pilz kann eine ganze Populationen ausrotten
Die große Frage ist, was das Wetter des Winters mit den Schädlingen gemacht hat. Da kommt dann zunächst eine schlechte Nachricht. Kälte macht dem Borkenkäfer nichts aus. Ältere Larven, Puppen und Käfer überstehen dank ihres körpereigenen Frostschutzmittels auch lange Kälteperioden. Nur Eier und junge Larven vertragen Temperaturen von unter minus 10 Grad Celsius nicht gut. Vor allem, wenn sie es nicht geschafft haben, zum Überwintern in den Boden zu kommen und die kalte Jahreszeit deshalb direkt unter der Rinde der Bäume verbringen, die sie befallen haben.
Anders sieht es mit der Feuchtigkeit aus. „Viel Regen bei milden Temperaturen ist nicht gut für den Borkenkäfer“, weiß Schlott. Nicht, dass die Käfer ertrinken, „aber das feuchtwarme Wetter fördert den Wuchs eines Pilzes, der die Zahl der überwinternden Borkenkäfer stark reduzieren kann.“ „Beauveria Bassiana“ heißt er und legt sich „flächendeckend“ über die erwachsenen Käfer, die oft in der Bodenstreu überwintern. Dann saugt er ihnen die Nährstoffe aus. Einmal infiziert, stirbt der Großteil einer Borkenkäferpopulation.
Borkenkäfer: Wissenschaftler experimentieren mit speziellen Fallen
In Süddeutschland beschäftigen sich Wissenschaftler schon länger mit der Frage, ob und wie sie den Pilz gezielt im Kampf gegen die Fichtenschädlinge einsetzen können. Angedacht ist etwa, Käfer mit einer Lockstofffalle zu fangen, mit den Pilzsporen zu infizieren und wieder freizulassen, damit sie den Pilz unter ihren Artgenossen verbreiten.
Wie stark Pilze und Kälte die Borkenkäferpopulationen in den Wäldern des Reviers tatsächlich dezimiert haben, ist derzeit noch unklar. „Das werden wir erst im Frühjahr sehen“, weiß Schlott aus Erfahrung. Denn erst, wenn es über längere Zeit trocken und zwischen zehn und 15 Grad warm ist, schwärmen die Borkenkäfer aus ihren Winterquartieren aus. „Das ist frühestens Anfang April der Fall.“
Jungen Bäumen droht eine neue Gefahr
Ohnehin gibt es für Entwarnung keinen Grund. Vor allem, was die Forstleute und Waldbesitzer großflächig neu angepflanzt haben, um die Schäden durch Dürre und Borkenkäfer aufzufangen, ist in Gefahr. Denn 2023 war ein sogenanntes „Mastjahr“, ein Jahr, in dem Bäume wie Eichen, Buchen und Fichten besonders viele Früchte getragen und abgeworfen haben. Das hat dazu geführt, dass sich Mäuse wie im Schlaraffenland bedienen konnten und sich teils explosionsartig vermehrt haben.
Wird, wie in den vergangenen Wochen, das Nahrungsangebot schmaler, fressen die Nager die noch zarte Rinde der nur wenige Jahre alten Bäume und ihre Wurzeln. „Vor allem junge Laubbäume sterben dann ab“, sagt Schlott. Und anders als beim Borkenkäfer sind bei einer Massenvermehrung der Mäuse auch die neu angepflanzten Laub- und Mischwälder in Gefahr. Junge Fichten sind im Ruhrgebiet durch Mäuse allerdings nicht bedroht. Aus einem ganz einfachen Grund, wie der Ruhr-Grün-Experte verrät: „Die pflanzen wir gar nicht mehr an.“