Düsseldorf. Der Klimawandel setzt dem Forst immer mehr zu. Eine Selbstheilung des Waldes ist nicht mehr möglich, versichert die Landesregierung.
Der nordrhein-westfälische Wald leidet anhaltend unter Dürre, Bränden und Borkenkäfer-Befall. Nur 28 Prozent der Bäume sind gesund, bei 38 Prozent der Bäume ist die Baumkrone stark geschädigt. „Dieser Befund ähnelt dem im Vorjahr, und das ist besorgniserregend“, sagte NRW-Forstministerin Silke Gorißen (CDU) am Donnerstag bei der Vorstellung des Waldzustandsberichtes 2022.
Die Lebenskraft des Waldes lässt nach
Die „Vitalität“, also die Lebenskraft der Wälder, die in NRW mehr als ein Viertel der Landesfläche ausmachen, sinke langfristig immer weiter. Seit dem Beginn der Waldzustands-Messung im Jahr 1984 gehe es den Wäldern hierzulande immer schlechter.
„Wenn Sie früher im Wald unter einem Baum standen und nach oben blickten, dann konnten Sie durch die Baumkrone den Himmel nicht sehen. Das ist heute meistens anders“, so Gorißen.
Waldbauern verzichten auf Fördergeld
Besorgniserregend ist es nach Ansicht der Landesregierung auch, dass viele der rund 150.000 privaten Waldbauern die Fördermittel des Landes, die für die Wiederaufforstung von Wäldern zur Verfügung stehen, nicht abrufen. Im laufenden Jahr betrug die Quote nur 23 Prozent. Es müsse noch viel Beratungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Waldbesitzer zu überzeugen. Im kommenden Jahr dürften rund 70 Millionen Euro für die Forst- und Holzwirtschaft zur Verfügung stehen.
Weniger Fichte, mehr Douglasie
Auf etwa einem Viertel der riesigen geschädigten Waldflächen habe die Wiederaufforstung und Verjüngung inzwischen begonnen, erklärte Gorissen. Um den Wald „robuster“ zu machen, setzt das Land auf anpassungsfähige Mischwälder, die aus mindestens vier widerstandsfähigen Baumarten bestehen, darunter zum Beispiel heimische Bäume wie Eiche, Linde und Kirsche und „importierte“ Bäume wie Douglasien. Die empfindliche Fichte zählt nicht dazu. Ihr Bestand hat sich inzwischen fast halbiert.
Eine der wenigen halbwegs guten Nachrichten in diesem Zusammenhang: Rund 86 Prozent der Waldflächen haben der großen Trockenheit und Hitze im Sommer 2022 weitgehend standgehalten, so die Landesregierung. Dennoch dürfte auch dieses Jahr Spuren im Wald hinterlassen. „Die Geschwindigkeit des Klimawandels lässt uns keine Zeit dafür, uns darauf zu verlassen, dass die Natur alleine ihren Dienst tut. Der Wald braucht unsere aktive Unterstützung“, sagte die Ministerin.
Die Witterung im Jahr 2022 stresste die Wälder
Ralf Petercord, Waldbau-Experte im NRW-Forstministerium, sprach von einem erneuten „Niederschlagsdefizit“ in diesem Jahr. Der Wassermangel belaste die Wälder extrem.
Der Herbst war in diesem Jahr in NRW außergewöhnlich warm. Mit 11,8 Grad lag die Durchschnittstemperatur 2,3 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990, wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) in dieser Woche mitteilte. In NRW sei es gemeinsam mit dem Herbst 2014 der zweitwärmste Herbst seit Beginn flächendeckender Messungen im Jahr 1881 gewesen.
Die Nöte des "Klimaschützers Nummer 1"
Der Wald hätte wohl mehr Schutz und Fürsorge verdient: Er gilt als „Klimaschützer Nummer 1“, ist ein wichtiger CO2-Speicher, er liefert Holz und dient den Menschen als Ort der Erholung. Aber so, wie er jetzt aussieht, hat er keine Zukunft mehr. Das ist der wichtigste Befund im NRW-Waldzustandsbericht 2022.
In welchem Zustand ist der Wald in NRW?
Wäre er ein Patient, müsste er wohl auf die Intensivstation. Ungefähr drei von vier Bäumen sind krank. Heißt: Ihre Kronen sind zum Teil stark „verlichtet“. Inzwischen gelten 135.000 von 935.000 Hektar Wald als „Schadfläche“, entstanden durch lange Dürrephasen, heftige Stürme und die Massenvermehrung von Fichtenborkenkäfern. Der Zustand des Waldes verschlechtert sich seit 1984 immer mehr. Damals begannen die Behörden damit, systematisch Daten über die Wälder zu erfassen.
Welche Baumarten leiden besonders?
Die Fichte muss hier zuerst erwähnt werden. Etwa die Hälfte der Fichten ist in den vergangenen Jahren dem Klimawandel und den Borkenkäfern zum Opfer gefallen. Nur 14 Prozent der Eichen sehen laut dem Waldzustandsbericht „gesund aus“, nur einem Viertel der Buchen geht es gut, der Zustand der Kiefer verschlechtert sich etwas langsamer als der der anderen Baumarten. Sie kommt besser mit Trockenheit zurecht.
Wie stellt sich die Landesregierung den Wald der Zukunft vor?
Er soll „robust“ sein. Dürre, Hitze, Stürme, Insekten sollen ihn nicht so leicht schädigen können. „Es ist für die Zukunft entscheidend, dass Mischbestände entwickelt werden, die auch langfristig ideal zu den Boden- und Witterungsbedingungen passen“, sagte NRW-Forstministerin Silke Gorißen (CDU) am Donnerstag. Eine Mischung von mindestens vier robusten Baumarten wäre auf einer Fläche ideal, so Ralf Petercord, Waldbau-Experte im NRW-Forstministerium. Dort könnten zum Beispiel Buchen, Eschen, Linden und Douglasien stehen.
Der Wald in NRW besteht im Moment noch zu 58 Prozent aus Laubbäumen, meist Buchen und Eichen. Auf 42 Prozent der Waldfläche wachsen Nadelbäume, vor allem Fichten. „Das soll sich ändern“, erklärt Ministerin Gorißen.
Ist der Borkenkäfer weiter ein Problem?
Ja. Zwar findet der Borkenkäfer immer weniger Fichten. Er hat vielerorts sozusagen seine eigene Existenzgrundlage zerstört. Aber die Lage sei immer noch schlimm, erklärte NRW-Forstexperte Bertram Leder. Der Käfer „wüte“ weiter in den restlichen Fichtenwäldern. Die Witterung in diesem Jahr habe den Borkenkäfer begünstigt. Der Schwerpunkt des Befalls liegt nun im Sauer- und im Siegerland, während die Situation in der Eifel etwas besser sei.
Könnte man den landeseigenen Wald nicht einfach sich selbst überlassen?
Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Der Naturschutzverband BUND ist zum Beispiel für solche „Urwälder“. Auf mindestens zehn Prozent unserer Waldflächen dürfe künftig kein einziger Baum mehr gefällt werden, heißt es dort.
Die NRW-Landesregierung glaubt allerdings nicht an die Selbstheilungskräfte des Waldes in dieser Krisensituation. Es sei zu spät dafür. Die Wälder sich selbst zu überlassen sei die „schlechteste Idee“, versichert Ralf Petercord. „Der Wald kann das nicht aus eigener Kraft heraus. Wir müssen hier aktiv eingreifen“, sagte Silke Gorißen.
Viele Waldbesitzer lassen Fördermittel des Landes liegen. Warum?
Nach Einschätzung des Landes steckt dahinter eine große Verunsicherung darüber, welche Maßnahmen für die Wiederaufforstung nun angebracht sind. Man müsse die Betroffenen wohl noch mehr beraten. Im Jahr 2023 stellt das Land voraussichtlich 70 Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung.
Der Waldbauernverband NRW wehrt sich aber auch gegen staatliche Gängelung und „Überregulierung“, insbesondere durch die Bundesregierung. Der Wald drohe in Deutschland immer stärker unter den Druck politischer Vorgaben zu geraten.
Was hält die Landesregierung von Windrädern auf geschädigten Waldflächen?
Sie ist dafür. „Es muss Möglichkeiten geben, Windenergieanlagen auf geschädigten Waldflächen zu installieren. Es gibt Flächen, auf denen kein Wald mehr steht. Hier wollen wir den Waldbesitzerinnen und Besitzern die Möglichkeit für Windenergie eröffnen“, sagte Gorißen. Der Ausbau regenerativer Energien, den die schwarz-grüne Regierung ausdrücklich will, sei ohne Windkraftanlagen auf geschädigten Waldflächen gar nicht möglich.
Wie funktioniert die Wald-Zustandserhebung?
Der Blick gilt vor allem dem Zustand von Baumkronen. In Nordrhein-Westfalen werden bei so genannten Stichprobenpunkten in einem Raster von vier mal vier Kilometern mehr als 10.000 Waldbäume erfasst. Zuständig ist der Landesbetrieb Wald und Holz, das Landesumweltamt (Lanuv) liefert weitere Daten, unter anderem zum Klima.