Brüggen. Melanie Hauptmanns aus Brüggen erzählt in ihrem Buch, wie sie zur berühmten „Fräulein Kurvig“ wurde. Ein Moment veränderte dabei alles.

Mit Barbie ist das so eine Sache. Als Kind hat Melanie Hauptmanns stundenlang mit der Puppe gespielt, hat ihr die schönsten Abendkleider angezogen und sie dann in ein knallpinkes Auto gesetzt. So konnte, mitten im Kinderzimmer, eine Welt voller Glamour und Abenteuer entstehen. Da schien der Wunsch der Neunjährigen nur logisch: „Ich wäre gerne so klein wie eine Barbie!“ Dann hätte sie auch die tolle Kleidung, den schicken Wagen... Doch dann war er da, dieser eigentlich ganz harmlos wirkende und doch so schwerwiegende Satz ihrer Mutter: „Dann müsstest du aber auch die Figur einer Barbie haben!“ All die kindlichen Träumereien? Vorbei. „Da war sie, die erste Situation, in der ich mit meiner Figur konfrontiert wurde“, schreibt Melanie Hauptmanns rund 36 Jahre später in ihrem Buch. Und der Titel verrät schon, dass die Erfahrung nur eine von vielen ist, die sie auf ihrem Weg zu „Fräulein Kurvig“ gesammelt hat: „Wie ich gelernt habe, meinen Körper zu lieben“.

Einen Kindheitstraum hat sich Melanie Hauptmanns auf jeden Fall schon mal erfüllt: Zum Termin fährt sie mit einem, genau, knallpinken Auto vor. „Fräulein Kurvig“ steht in schwungvollen Lettern darauf, darüber „Bodypositivity & Diversitätscoach“. Die Brüggenerin setzt sich für realistische Körperbilder ein und hat im Jahr 2014 den ersten Schönheitswettbewerb für Frauen ab Kleidergröße 42 ins Leben gerufen. Vor wenigen Wochen erst ist die jährlich stattfindende Gala über die Bühne gegangen, jetzt hat sie also wieder etwas mehr Zeit. „Im Prinzip könnte ich immer Anfang des Jahres ein Buch schreiben“, sagt sie und lacht. Scheint unrealistisch? Nö. Denn für die Autobiografie, die zuerst ein Sachbuch werden sollte, hat sie gerade einmal fünf Tage gebraucht. „Ich habe mich in einer Hütte im Wald eingeschlossen, jeden Morgen vom Bauern ein Körbchen mit Frühstück bekommen und dann nur geschrieben.“ Gut, für das Umschreiben hat sie dann nochmal... eine Woche gebraucht.

Wettbewerb für Plus-Size-Models

„Wenn mich einmal das Fieber gepackt hat, muss ich das auch durchziehen“, sagt Melanie Hauptmanns. Und so hat sie einfach losgelegt, hat über ihre Erlebnisse als Kind, Jugendliche, Erwachsene geschrieben. Leicht ist ihr das nicht immer gefallen... Wenn sie heutzutage auf die ersten Jahre ihres Lebens zurückblickt, dann kommen gemischte Gefühle auf. „Zu einem Klassentreffen würde ich nicht gehen“, sagt sie. „Nicht, weil ich Angst habe, sondern weil ich kein Interesse habe.“ Wobei, da erinnert sie sich gerade an eine Situation, die es nicht mehr ins lektorierte Buch geschafft hat. Mica, „das war der Junge, der in der Schule neben mir sitzen musste“, hatte sie zwar nie selbst beleidigt, aber auch nie andere daran gehindert – zum Beispiel, wenn alle mal wieder „Dicke“ von Marius Müller-Westernhagen sangen. Das Lied kann sie bis heute nicht ertragen, schreibt sie im Buch. „Der Schmerz von damals ist nach wie vor belastend für mich.“

Das Buch „Fräulein Kurvig: Wie ich gelernt habe, meinen Körper zu lieben“ von Melanie Hauptmanns ist im Molino Verlag erschienen, hat 160 Seiten und kostet 18 Euro.
Das Buch „Fräulein Kurvig: Wie ich gelernt habe, meinen Körper zu lieben“ von Melanie Hauptmanns ist im Molino Verlag erschienen, hat 160 Seiten und kostet 18 Euro. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Erst viele, viele Jahre später trafen sich die beiden wieder, ausgerechnet auf ihrer Gala in Krefeld, bei der es um „Deutschlands schönste Kurven“ geht. „Du hast mir die Augen geöffnet“, erklärte er ihr später. Und genau das ist es, was Melanie Hauptmanns auch mit ihrem Buch aufzeigen möchte. „Viele betreiben nicht bewusst Bodyshaming“, sagt sie. „Sobald sie es ausgesprochen haben, haben sie es auch schon wieder vergessen. Aber der andere trägt es ein Leben lang mit sich herum.“ Das hat sie schon zig Male erlebt, übrigens auch mit ihrer Mutter, die sich an die Situation mit der Barbie nun wirklich nicht mehr erinnern kann. „Das war auch nicht böswillig von ihr“, weiß sie. „Aber gerade, wenn es um Mehrgewichtigkeit geht, gibt‘s häufig unbedachte Aussagen.“ Auch, und vor allem, von Familienmitgliedern. Sie selbst hat glücklicherweise ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter, „sie ist sehr stolz auf mich“, aber sie kennt auch viele, „die durch ihr Umfeld richtig gebeutelt sind.“

Konzept der Bodypositivity

Für sie – alle, die nicht den Maßen 90–60–90 entsprechen – hat Melanie Hauptmanns das Buch geschrieben. „Das Konzept der Bodypositivity setzt sich dafür ein, uns von negativen Gedanken über unseren Körper zu befreien“, heißt es gleich im ersten Kapitel. Und ja, es hat sich zwar schon einiges getan, Plus Size-Models tauchen immer häufiger in Werbevideos und Fernsehformaten auf, aber durch ihre zehnjährige Tochter und deren Umfeld merkt sie auch, dass gerade Mädchen und Frauen noch immer unter immensem Druck stehen. „Die Diskriminierung des Körpers anderer Menschen ist total normal.“ Woran das liegt? Nunja, „eine ganze Industrie lebt davon, dass wir uns blöd finden“, antwortet sie. „Damit wir Pülverchen und Cremes kaufen.“ Wobei, das ist ihr wichtig zu betonen, „du optimieren darfst!“ Wer sich unwohl in der eigenen Haut fühlt, darf natürlich etwas ändern. Aber es gehe eben darum, „unseren Körper anfangen zu lieben, weil er ist, was er ist: das größte Geschenk, das wir im Leben bekommen haben.“

Engagement für Bodypositivity

Melanie Hauptmanns engagiert sich in der Gesellschaft und in den Medien für „Bodypositivity“, allein auf Instagram folgen ihr über 33.000 Menschen. Ihre Arbeit wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Weitere Informationen über sie und ihre Projekte: www.fraeulein-kurvig.com

„Fräulein Kurvig: Wie ich gelernt habe, meinen Körper zu lieben“ ist im Molino Verlag erschienen, hat 160 Seiten und kostet 18 Euro. Übrigens, das nächste Buch ist schon in Planung. Nach der Autobiografie kommt dann ein Roman, in dem es um eine „Heldinnengeschichte“ und „female empowerment“ gehen soll, verrät sie.

Bis Melanie Hauptmanns ihren Leitsatz selbst verinnerlichen konnte, hat es gedauert. Ein „Game Changer“, wie sie es selbst nennt, war dabei ihr Catwalk bei „Deutschlands größter Messe für Braut- und Abendmode“. Beim Schreiben der Szene, das kann sie ruhig zugeben, flossen daher auch einige Tränen... „Die Narben sind noch da und können in solchen Momenten wieder schmerzen“, sagt sie. Denn plötzlich, auf dem Laufsteg, war sie wieder da: die Angst, für ihren Körper ausgelacht zu werden. Flüchten? War keine Option, immerhin trug sie ein Designerkleid im Wert von über 80.000 Euro. Also lief sie los, „als erstes dickes Model auf einem Catwalk“. Und darüber, das kann sie noch sagen – bevor sie mit ihrem knallpinken Auto auch schon zum nächsten Termin fährt – ist sie bis heute unglaublich froh.