Ruhrgebiet. Die Demonstrationen gegen Rechtspopulismus haben großen Zulauf. Aber was bringen sie? Und wie lässt sich das Engagement nutzen?
7000 statt 500 Teilnehmer wie geplant! Und ein Vielfaches wie am Tag der Arbeit. So viele sind am Montagabend in Essen zusammengekommen, um gegen Rechtspopulismus zu protestieren. Dieter Hillebrand, der Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vor Ort, ist „noch ganz geflasht“. Vor allem aber steht sein Telefon nicht mehr still. Da haben zum Beispiel die Oberhausener Kolleginnen und Kollegen angefragt, auch sie wollen nun eine Demo vorbereiten. Viele Menschen wollen auf die Straße – am Dienstagabend in Köln, am Samstag in Dortmund – den „Aufstand der Mitte“ nennen es die Kommentatoren. Aber wie weit kann er tragen?
„Das neue Braun ist blau!“, steht auf den Einladungen zur Demo, die der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus am Samstag plant. Gegen Menschenverachtung, für Demokratie soll es gehen, aber auch ein Anlass darf nicht fehlen: der Neujahrsempfang eines AfD-Politikers. „Wenn sie zu irgendwas aufrufen, dann wird es schwierig, Menschen zu motivieren“, sagt Jutta Reiter, die für den DGB im Arbeitskreis sitzt. Allerdings scheint es diesmal andersherum zu sein: Schon vor der Bekanntgabe der Demo lief ihr Postfach über. In Mails über Mails fordern die Leute: Macht was!
Die Gefahr ideologischer Kämpfe
Die Recherche von „Correctiv“ zu einem Geheimtreffen in Potsdam, bei dem Rechtsextreme und AfD-Politiker über radikale Abschiebepläne beraten haben, hat offenbar vielen Menschen klargemacht, dass die Demokratie durch die nächsten Wahlen in Gefahr ist, glaubt Prof. Andreas Zick, Konfliktforscher an der Uni Bielefeld. Verschiedene Gruppen hätten damit ein gemeinsames Ziel gefunden: nicht nur rechts bekämpfen, sondern die Demokratie verteidigen. „Wenn die Gruppen, die die Proteste organisieren, sich nun nicht in ideologischen Kämpfen zerreiben“, erklärt Zick, „dann kann das Engagement hochgehalten werden.“
„Wir haben an den Querdenkerdemos gesehen, dass sie wirken“, sagt Zick. „Sie haben zu einer größeren Akzeptanz von Feindbildern und Einstellungen gegenüber der Politik geführt. Meistens geschieht das nicht direkt, sondern indirekt. An den Klimaprotesten ist sichtbar, dass sie das Thema des Klimawandels wachhalten. Insofern sind Demos ein Ritual der Demokratie, das noch funktioniert. Die digitale Empörung allein reicht nicht.“
Die Proteste müssten lokal stattfinden, über soziale Medien sichtbar werden und „offen gestaltet“ sein. Die Akteure sollten es nicht mit klassischen politischen Positionen verbinden, wie sie die Linke oder Friedensaktivisten gesetzt haben.“ Ziel sei es, alle Gruppen mitzunehmen, von den Klimaaktivisten über Vereine bis zum Wohlfahrtsverband. „Der Rechtsradikalismus greift alle Bereiche an und stellt seine nationale Ordnung über alles, daher betrifft es auch alle.“
„Ich möchte hoffen, dass die Energie den Protest noch eine Weile tragen wird“, sagt Friederike Petersen von der Stiftung Bürgermut, einem Partner der Essener Stiftung Mercator. „Es gibt die Theorie der Schweigespirale“ – und die Welle an Demos gegen Rechtspopulismus könnte Menschen motivieren, sich zu äußern, die bislang geschwiegen haben. „Die stille Mitte“ oder „das unsichtbare Drittel“ nennen sie die Experten.
Jenseits der Filterblase
Auf welchen Wegen und mit welchen Veranstaltungsformaten man diese Menschen jenseits ihrer Filterblasen erreicht, dazu macht sich Petersen nicht erst seit der aktuellen Demowelle Gedanken. Nachbarschaftspicknick, Barcamps, Preisauslobungen – dazu berät, dabei unterstützt die Stiftung andere Vereine, Institutionen oder Menschen. Leicht ist es nicht.
Petersen kennt Sportvereine, die „politikfreie Zonen“ ausrufen wollen, damit Gespräche in der Kabine oder im Vereinsheim nicht mehr laut werden. „Aber ich glaube, es kann keine Lösung sein, wenn wir alles entpolitisieren“, sagt Petersen. Die Debattenkultur sei schärfer geworden, „wir haben es verlernt, uns sachlich zu unterhalten.“ Verantwortlichen in Vereinen empfiehlt sie darum regelmäßig die Materialien aus dem Programm „Zusammenarbeit durch Teilhabe“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort findet man Handreichungen, Argumentationshilfen und Beispiele aus der Praxis.
„Die Akteure vor Ort“, sagt Petersen, vor allem im Osten Deutschlands, „fühlen sich oft allein gelassen. Durch solche Demos fühlen sie sich gesehen, dafür sind sie wichtig.“ Aber auch sie glaubt, dass man AfD-Wähler damit kaum erreicht. Dazu sei die direkte Ansprache viel wichtiger. Und vielleicht fühlen sich nun mehr Menschen aus der bislang stillen Mitte zuständig? „Vom Sportverein bis zur Kitasprecherin – das Wichtige ist, dass man seine Stimme auch hier für Demokratie und Vielfalt einsetzt.“
Auch die Dortmunder DGB-Geschäftsführerin Jutta Reiter weiß, wie schwer es ist, an die Menschen heranzukommen, die der AfD zugetan sind. Eine ganze Reihe von Projekten versucht sich daran: In „Stammtischkämpfer:innen“-Seminaren geht es um Argumentationen gegen rechte Parolen. Mit „90 Minuten gegen rechts“ gehen Ehrenamtliche in die Schulen und erklären, wie die rechte Szene funktioniert – und junge Menschen ködern will. „Hier könnten wir mehr Helfer gebrauchen“, sagt Reiter. Und vielleicht führt der „Aufstand der Mitte“ ja auch hier zu einem nachhaltigeren Engagement.
„Natürlich brauchen wir Fachkräfte“
„Die eine Maßnahme gegen Rechtspopulismus gibt es nicht“, sagt Prof. Jörg Bogumil, Sozialwissenschaftler an der Ruhr-Uni Bochum. Die gesellschaftliche Stimmung sei sehr aufgeheizt, viele sachliche Stimmen gingen unter. So werde etwa zu selten über positive Beispiele der Migration geredet, „natürlich brauchen wir Fachkräfte“. Die Demos könnten dazu führen, dass solche Stimmen wieder stärker durchdringen und dass Politiker zu einem sachlicheren Tonfall zurückfinden.
Den Zulauf zu den Demos nennt Bogumil „ein gutes Signal“, aber ob es nun häufiger oder gar regelmäßig zu Demos kommt, da ist er skeptisch. Der Anlass für die Demos war „die sehr gute journalistische Recherche von Correctiv, aber ob dieser Anlass ausreicht, um wöchentliche Märsche gegen rechts zu tragen, da bin ich mir unsicher.“ In Hattingen jedenfalls organisiert eine kleine Gruppe schon seit langem Gegendemos zu den rechten Montags-Spaziergängern – sie schwoll nun von rund 50 auf 200 Teilnehmer an.
„Wenn die Initiativen und Gruppen, die solche Demos organisieren, sich nun stärker vernetzen und über neue Protestformen nachdenken, dann wäre das doch mal was“, sagt Bogumil. Er glaubt: „Es geht vor allem auch darum, im persönlichen Umfeld Flagge zu zeigen.“ Diskussionen nicht zu meiden, sondern anzunehmen. „Den Protestwählern muss klar werden, wem sie da ihre Stimme geben.“