Oberhausen/Ruhrgebiet. Es gelten neue Importvorschriften für Hilfslieferungen in die Ukraine. Sie verderben vielen Ehrenamtlichen die Freude an der Hilfe.
Ukraine-Helfer fühlen sich überrumpelt: Zum ersten Dezember hat die Ukraine neue Importvorschriften eingeführt, die humanitäre Hilfe aufwändiger machen. Jedes Paket muss nun gewogen und genauestens deklariert werden – „bis hin zum Verschleißgrad des gebrauchten Schlafsacks“, erklärt Wolfgang Heitzer von „Oberhausen hilft“. Erst am Donnerstag vorvergangener Woche hat er über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) von den neuen Regeln erfahren. Durch die Bürokratisierung gehe „die Freude an der Hilfe verloren“
„Wir haben gerade 4000 Weihnachtsgeschenke für Kinder in der Ukraine gepackt, die mussten wir alle wiegen, den Inhalt mussten wir detailliert beschreiben. Dafür haben wir bestimmt fünf zusätzliche Arbeitstage gebraucht, verteilt auf mehrere Helferinnen und Helfer. Unser Transport konnte dadurch erst drei Tage später losfahren als geplant.“ Zugleich ist die Lage an der polnisch-ukrainischen Grenze chaotisch, aufgrund von Protesten polnischer Spediteure und Landwirte. Lkw-Fahrer müssen dort oft tagelang warten. Heitzer hofft, dass der Oberhausener Transport dennoch durchgewunken wird, weil „Humanitäre Hilfe“ draufsteht. Die Kinderschuhe und Süßigkeiten aus Oberhausen könnten die Kinder also noch zum Weihnachtsfest erreichen, das erstmals nach der Umstellung auf den gregorianischen Kalender mit dem westlichen zusammenfällt. Aber jeder Verzug steigert das Risiko, dass das nicht mehr klappt.
Offizieller Grund: Korruptionsbekämpfung
Vor allem aber seien die Ehrenamtlichen frustriert, sagt Heitzer. „Wir wollen doch nur helfen.“ Es sei ohnehin schwieriger geworden, Menschen zur Hilfe zu bewegen. Zu den neuen Vorschriften gehören auch Bescheinigungen der spendenden Unternehmen, die diese „auch nach dem Sinn oder Unsinn fragen lässt“, sagt Heitzer. Er befürchtet, dass Sponsoren abspringen ebenso wie Helfer.
Andererseits weiß auch Heitzer, dass die neuen Importvorschriften Korruption bekämpfen sollen. Damit begründet auch das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik die Einführung der neuen Regeln. Außerdem soll „die Kontrolle und die Erfassung der humanitären Hilfe“ verbessert werden, Stiftungen sollen „vor Problemen geschützt“ werden. „Mit anderen Worten ist der Staat bestrebt, sich einen klaren Überblick über den Umfang der humanitären Hilfe zu verschaffen, die ins Land eingeführt und verteilt wird“, schreibt die GIZ in ihrer
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. Im Grunde ist die Neuregelung auch ein Schritt zurück in die Normalität, entsprechende Zollvorschriften waren ausgesetzt, um Hilfsgüter unkompliziert ins Land zu lassen.
Der Essener Unternehmer Thomas Schiemann ist nach eigenen Angaben der größte Partner des ukrainischen Einzelhandels mit Lebensmitteln aus der EU. Er organisiert auch Transporte für die Caritas Essen kooperiert mit mehreren kleineren Hilfsorganisationen. Auch er war überrascht, als er von den neuen Regeln hörte. „Bisher konnte man relativ ungeprüft verschiedene Arten von Hilfe schicken, Arzneien, Zubehör für Krankenhäuser, Lebensmittel, Generatoren oder Kleidung, Kinderspielzeug. Dabei kam es in sehr wenigen Einzelfällen zu Missbrauch, worüber dann in russischen und Russland nahestehenden Medien genüsslich berichtet wurde, um weitere Hilfen möglichst in ein schlechtes Licht zu setzen.“
Schiemann hatte versucht, dem Botschafter der Ukraine zumindest eine Verschiebung der neuen Regeln auf den April abzuringen, was ihm auch versprochen wurde. „Nach der Zusage der EU für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine werden die Regeln aber schon jetzt umgesetzt“, erklärt Schiemann. Iryna Schum, Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf, sagt dazu: „Die Änderungen schaffen Transparenz und tragen zu der effizienten Verteilung der humanitären Hilfe im Land bei. Wie bisher müssen keine Steuern oder andere Abgaben bezahlt werden“. Kleinstsendungen in PKW seien nicht betroffen.
Ab April werden die Regeln noch einmal verschärft
Einige neue Regeln treten in der Tat erst ab April in Kraft. Dann müssen alle Waren digital deklariert werden. Schon im Vorfeld müssen die Empfänger, der Verteilort, das Datum der Verteilung und einiges mehr benannt werden. Helfer wie Empfänger müssen sich zuvor eine digitale Kennnummer beschaffen. Laut größerer Organisationen wie Blau-Gelbes Kreuz in Köln oder Opora in Essen ist das unproblematisch möglich. Die Digitalisierung soll auch eine schnellere Zollabwicklung ermöglichen. „Ich verstehe das“, erklärt Schiemann. „Niemand will Hilfe behindern, nur Missbrauch soll verhindert werden. Gerade im Hinblick auch auf die EU. Es gibt eben leider nicht nur gute Menschen auf der Welt und im Krieg und bei größter Not muss es wohl sein, dass man Regeln schafft.“
Auch Mandy Hansen von der „Task Force Flüchtlingshilfe Gelsenkirchen“ findet, dass Korruptionsbekämpfung eine gute Sache ist. „Aber muss es gerade in dieser Zeit und im humanitären Bereich sein?“ Sie schätzt den Mehraufwand für ihre ehrenamtlichen Helfer auf 80 Prozent. „Viele werden abspringen, die nicht die Möglichkeiten haben wie wir. Wir müssen nun erst mal eine Waage organisieren, einen PC und einen Drucker. Dann wird einer schreiben und einer zählen, während wir packen.“