Essen. Junge Menschen leiden häufiger unter psychischen Erkrankungen als ältere. Ein Fachmann erklärt, warum - und was Eltern tun können.

  • Unter 30-Jährige haben 2022 so viele Krankenscheine eingereicht wie nie zuvor.
  • Auffällig ist die steigende Zahl von Fehltagen wegen psychischer Belastungen.
  • Fachmann Martin Teufel erklärt, was jungen Menschen helfen kann.

Die Krankenkassen schlagen Alarm: Die Zahl der Krankenschreibungen unter jungen Menschen in NRW hat deutlich zugenommen. Das geht aus jüngsten Zahlen der AOK-Rheinland/Hamburg hervor. Es sind vor allem die Diagnosen, die Fachleuten in NRW Sorge bereiten: Immer häufiger sorgen psychische Belastungen für Fehltage bei der sogenannten Generation Z, also Menschen unter 30 Jahren.

Prof. Martin Teufel leitet die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der LVR-Universitätsklinik Essen. Im Interview erklärt er, warum junge Menschen belasteter sind und was ihnen helfen kann.

Prof. Teufel, junge Menschen fallen immer häufiger wegen psychischer Erkrankungen auf der Arbeit aus, wie neueste Zahlen der AOK Rheinland/Hamburg zeigen. Was ist los mit der Generation Z?

Bitte lassen Sie uns damit aufhören, über die Generation Z verallgemeinernd zu sprechen. Das ist ja fast ein Stigma geworden. So als würde eine ganze Generation am liebsten nur noch in Teilzeit arbeiten und als wäre das auch noch etwas Schlechtes. Da werden viele Menschen in ein negatives, fast diskriminierendes Licht gestellt, die ganz anders drauf sind und Vollgas geben in ihrem Leben und damit völlig zufrieden sind.

Anders gefragt: Wieso sind Berufsanfänger so viel häufiger seelisch erkrankt?

Je älter man ist, umso eher hat man Erfahrungen mit Krisen gesammelt. Das stärkt einen natürlich. Junge Menschen spüren eher eine Art Kontrollverlust angesichts der vielen Krisen und Unsicherheiten der letzten Jahre. Und natürlich sind sie eher von bestimmten Krisen betroffen. Mit 70 Jahren wird jemand nicht mehr allzu viel von den Folgen des Klimawandels erleben. Bei einem 25-Jährigen ist das anders.

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Also sind es Kriege und Krisen, die stressen?

Nicht nur. Unsere Gesellschaft steht ja insgesamt unter enormem Stress. Nehmen Sie nur die zunehmende Aggressivität im Straßenverkehr oder die Überforderungsrufe zum Beispiel bei der Integration von Geflüchteten. Das vermittelt jungen Menschen Unsicherheit.

Welche Rolle spielt noch die Corona-Pandemie?

Diese Zeit hatte Einfluss auf junge Menschen, die sich ja gerade in ihrer Persönlichkeit entwickeln. Da beginnt jemand seine Ausbildung oder den neuen Job und sitzt erst einmal zu Hause vor dem Rechner. Corona war wie ein Lebenszeitloch, das Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung und Lebensgestaltung hat. Unsere Arbeitswelt hat sich aber auch deutlich geändert. Heute ist die gesamtgesellschaftliche Lage nicht mehr unbedingt so, dass man schon weiterkommt, wenn man sich nur anstrengt. Und in unserer auf Effizienz getrimmten Arbeitswelt gibt es auch keine Nischen mehr für Leute, die einfach nur vor sich hinarbeiten wollen. Vor mir sitzen auch Call-Center-Mitarbeiter.

Prof. Martin Teufel von der LVR-Universitätsklinik in Essen sagt, dass junge Menschen unter den Krisen und Unsicherheiten dieser Zeit besonders leiden.
Prof. Martin Teufel von der LVR-Universitätsklinik in Essen sagt, dass junge Menschen unter den Krisen und Unsicherheiten dieser Zeit besonders leiden. © LVR-Universitätsklinik Essen | LVR-Universitätsklinik Essen

Wieso Call-Center-Mitarbeiter?

Ich erlebe immer wieder, dass Menschen, die es schwer in der Berufswelt haben, beim Call Center landen. Das ist eine Arbeit, die man auch von zu Hause aus machen kann und vermeintlich ist das eine ruhigere Nische. Dort bekommen die Beschäftigten dann aber genau die Aggressivität ab, die sich in unserer Gesellschaft angesammelt hat. Lebt man dann noch in einem Single-Haushalt und hat wenig familiäre Bindung, was ja beides zunimmt, ist das problematisch.

Sind junge Menschen auch sensibler im Umgang mit seelischen Erkrankungen?

Das sind sie ja. Aber auch wir als Gesellschaft sind aufmerksamer geworden. Früher hätte der Hausarzt oder die Familie eher gesagt: Mensch, reiß dich doch mal zusammen. Da stand auf der AU auch nichts von Depressionen, sondern „Magen-Darm“. Heute werden psychische Belastungen eher diagnostiziert.

Was raten Sie also den Eltern der sogenannten Generation Z?

Man muss wertschätzen und anerkennen, in welcher Situation junge Menschen leben. Zuhören, fördern, aber auch einfordern. Ich bin überzeugt, dass die jungen Menschen die Krisen ihrer Zeit meistern. Krisen waren immer Treiber gesellschaftlicher Entwicklungen. Und evolutionär ist unsere Psyche auf das Meistern von Krisen vorbereitet.