Münster/Recklinghausen. Der Führerschein wird immer aufwändiger und teurer. Künftig soll nun Künstliche Intelligenz helfen, die Fahrstunden günstiger zu machen.
Der Weg zum Führerschein wird immer schwieriger und teurer. So stieg die durchschnittliche Durchfallquote bei der praktischen Prüfung nach Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes seit 2011 von 26 auf rund 30 Prozent. Und laut einer Umfrage des ADAC zahlen Fahrschüler inzwischen zwischen 3000 und 4500 Euro für die Fahrerlaubnis. Kann Künstliche Intelligenz helfen, beide Probleme zu entschärfen? Erste Fahrschulen probieren die neue Technik bereits aus.
Die Fahrschulautos der Zukunft sehen auf den ersten Blick nicht viel anders aus, als die Schulungswagen der Gegenwart. Unauffällig parken sie vor dem Büro der „Academy Fahrschule Gellenbeck Morsmann“ in Münster. Nur wer genau hinsieht, bemerkt die Kameras an allen Seiten und Bewegungssensoren im Lenkrad, die am Auto angebracht sind.
Am Ende der Fahrstunde gibt es ein Video
Bitten Inhaber Raphael Morsmann oder einer seiner Kollegen ans Steuer, schalten sie sich ein und filmen und dokumentieren jeden Meter der gefahrenen Strecke. „Kennzeichen und Personen werden natürlich unkenntlich gemacht“, sagt der Fahrlehrer, noch bevor man danach gefragt hat. Am Ende der Fahrstunde ist ein hochauflösendes 360-Grad-Video entstanden, das an eine App geschickt wird.
Die analysiert Fahrfehler, visualisiert Fortschritt und zeigt Verbesserungspotenzial auf. „Rechts vor links übersehen“, „Nicht lange genug am Stopp-Schild gewartet“, „haltenden Bus ohne Warnblinker überholt“ – dem Programm entgeht nichts. Damit die KI falsches Verhalten überhaupt erkennen und anzeigen kann, hat es zuvor sogenannte „Expertenfahrten“ gegeben, bei denen ein Fahrlehrer hinter dem Steuer des Fahrschulwagens sitzt und immer neue Strecken fehlerfrei abfährt.
Der Künstlichen Intelligenz entgeht kein Fehler
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Geschnitten geht das Video über eine spezielle App an die Fahrschüler. „Immer zehn Sekunden vor und nach jedem Fehler werden gezeigt“, erklärt Morsmann. „Dann wird eingeblendet, was er falsch gemacht hat, Geschwindigkeit, Vorfahrt, was auch immer.“ Das bietet Schülern und Lehrern die Möglichkeit, Fragen und potenziell gefährliche Situationen direkt am Videomaterial und abseits der Hektik am Steuer zu besprechen. „Digital unterstützte Fahrausbildung“ heißt das in der Branche. „Das nutzen immer mehr Fahrschulen“, weiß Martin Fellmer, Vorstandsvorsitzender des Fahrlehrerverbandes Westfalen in Recklinghausen.
Entwickelt wurde die Idee von dem Berliner Start-Up „Yaak“. Eigentlich wollten die drei Gründer daran arbeiten, autonomes Fahren sicherer zu machen. Was ihnen allerdings fehlte, waren Daten. Die sollen nun künftig Fahrschüler und -lehrer liefern. Mit jeder Fahrstunde in einem Auto mit Yaak Technologies an Bord lernt nicht nur die Anfängerin dazu, sondern auch die KI.
Simulator kennt alle Straßen der eigenen Stadt
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Die mit den Kameras bestückten Autos sind erst der Anfang. Mit der neuen Technik ausgerüstet werden Morsmanns Fahrschulautos bald zu hochwertigen Fahrsimulatoren. Man steigt ins echte Auto ein, setzt eine spezielle Virtual Reality Brille auf, die einem in einer künstlichen Realität räumliche Tiefe vorgaukelt und los geht die Fahrt – ohne dass sich der Wagen auch nur einen Zentimeter bewegt.
Der große Unterschied zu bisher bereits eingesetzten Simulatoren: Hier fährt man nicht durch eine Fantasielandschaft, sondern durch eine 1:1 Kopie seiner Heimatstadt. „So können Fahranfänger in bekannten Umgebungen und unter Realbedingungen fahren üben“, sagt Fellmer.
Der Fahrschulwagen bewegt sich keinen Zentimeter
Ist das neue System so gut, wie seine Hersteller versprechen, dürfte es nicht nur den Fahrschülern sondern auch den Fahrschulen das Leben erleichtern. So echt die Fahrt im Simulator auch wirken mag, das Auto, in dem er eingebaut ist, bleibt stets an Ort und Stelle. Kein Reifen, der sich abfährt, keine Akkus, die sich entladen, kein Tank, der sich leert. Und mit Hilfe eines QR-Codes oder einer App können die Kunden künftig auch am Abend oder am Wochenende das vor der Fahrschule geparkte Auto öffnen und zu einer virtuellen Fahrt aufbrechen, ohne dass ein Lehrer an Bord ist.
Bei Yaak glaubt man, dass „Fahrschüler so einige Fahrstunden einsparen könnten“. Das will auch Fellmer nicht ausschließen. „Wenn sich herausstellt, dass man durch die neue Technik nach Erreichen der Pflichtstundenzahl nicht mehr so viele zusätzliche Stunden benötigt, macht sich das natürlich finanziell bemerkbar.“ Im Einzelfall, bestätigt Morsmann, „kann der Führerschein günstiger werden“.
Und einfacher auch? Nicht auszuschließen, sagt der Verbandsvorsitzende. Schon die Simulatoren, die zurzeit im Einsatz seien, würden Schülern helfen, manche Abläufe besser bewältigen zu können. „Und das neue System kann ja noch viel mehr.“ Eines aber stellt Fellmer klar: „Die Fahrprüfung wird in Deutschland auf absehbare Zeit weiterhin nur auf echten Straßen abgelegt.“