An Rhein und Ruhr. Wagenbauer Jacques Tilly ist für seine provokanten Entwürfe bekannt – neue entstehen zur Zeit. Für welche er sogar Morddrohungen bekommen hat.

In einer Gemeinschaftsküche im alten Rheinbahn-Depot am Steinberg ruhen die bestgehüteten Geheimnisse des Düsseldorfer Karnevals. Es ist auf weiße Blätter gemalt, feine Linien, bunte Farben. Sie hängen an einer großen Pinnwand, aufgeteilt in drei Spalten: „Holzgerüst und drahten“ steht über der rechten Spalte, „kaschieren und malen“ in der Mitte, links heißt es: „Pfertisch!“.

Alle Blätter waren einmal ganz rechts angepinnt, nun hängen die meisten in der Mitte und sechs unter „Pfertisch!“. Um es von ganz rechts nach links zu schaffen, brauchen die meisten Entwürfe etwa drei Wochen. Künstler verwandeln die gemalten Linien in dreidimensionale Formen aus Holz, Draht, Papier und Farbe, die an Rosenmontag durch Düsseldorf ziehen.

Karneval in Düsseldorf: So entsteht ein Wagen von Jacques Tilly

Bis die großen Karnevalswagen fertig sein müssen, fließt noch viel Wasser den Rhein herunter. Doch schon seit Mai wird hart an ihnen gearbeitet, und zwar in Jacques Tillys Wagenbauhalle in Düsseldorf-Bilk. Sechs Künstler sind täglich im Einsatz, in der Spitze sind es zehn bis zwölf.

Neben den Wagen kreiert Tillys Team zum Beispiel auch Deko für Großveranstaltungen. „Aber ab jetzt arbeiten wir nur noch für den Karneval“, sagt er.

Alle Arbeit beginnt in Tillys Büro, in einem Raum, der auf den ersten Blick wie eine Abstellkammer aussieht: Kartons, Klebebandrollen, Papier, Ordner und Stifte füllen Regale an der Wand. Eine weiße Arbeitsleuchte erhellt nicht mehr als die Arbeitsfläche des Schreibtischs, an dem der Chef, der sich nicht gerne so nennt, seine Gedanken zu Papier bringt.

Wagenbauer Jacques Tilly fertigt seine Entwürfe in einem kleinen Büro.
Wagenbauer Jacques Tilly fertigt seine Entwürfe in einem kleinen Büro. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Haben es die Bauzeichnungen von Tillys Schreibtisch auf die rechte Seite der Pinnwand geschafft, setzen die Künstler den Entwurf in die Tat um. „Zuerst werden die Wände mit Dachlatten verkleidet und mit Draht verspannt“, sagt der Wagenbaumeister. Dann drahten sie das Motiv mit Maschendraht. Darauf kommen einige Lagen Papier, Farbe und teils noch Details aus Stoff.

Besondere Wagen: Was Düsseldorf anders macht als Köln

„Es bedeutet viel Arbeit, dass wir nicht nur Holz bemalen, sondern Figuren in Reliefform schaffen“, meint Tilly. Das mache die Wagen in Düsseldorf besonders. Sie werden, anders als in vielen anderen Städten, selten wiederverwendet, sondern abgerissen und neugebaut. „Das Dreigestirn in Köln hat immer dieselben Wagen. In Düsseldorf kann sich das Prinzenpaar seinen Wagen aussuchen“, erklärt er.

Bis Jahresende sollen die meisten Sponsoren- und Gesellschaftswagen fertig sein. Erst dann fängt das Tilly-Team mit den zwölf politischen Wagen an. „Wir können nicht früher damit beginnen, weil man ja nie weiß, was sich politisch noch ändert."

Der letzte Wagen werde wohl erst wieder in der Nacht zu Rosenmontag fertig, scherzt er. So war es zum Beispiel 2022 beim Wagen, der Wladimir Putin mit der Ukraine im Mund und der Botschaft „Erstick dran!“ zeigte: „Damit haben wir Sonntagmittag angefangen, 21 Stunden später ist die Figur durch Düsseldorf gezogen.“

Politische Wagen: „Es brennt an allen Ecken und Enden“

Erst im Dezember wolle sich Tilly erste Gedanken über die politischen Wagen machen. Mögliche Themen und Personen, die er aufs Korn nehmen kann, gebe es jetzt schon genug. Elon Musk, Donald Trump und Greta Thunberg fallen ihm sofort ein. Auch ein Wagen zur Klimakrise sei denkbar: „Es brennt an allen Ecken und Enden, aber bei allen kurzfristigen Katastrophen dürfen wir den Klimawandel nicht vergessen.“

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An ein Thema hat sich selbst Jacques Tilly bisher noch nicht herangetraut: „Ich habe immer gesagt, dass ich nichts zu Israel machen werde, weil gerade wir Deutsche uns mit Kritik an Israel zurückhalten sollten.“ Dieses Mal werde er aber wohl nicht daran vorbeikommen, den Nahost-Konflikt zu thematisieren. Wichtig sei nur, „den richtigen Ton zu treffen“.

Generell schreckt er aber nicht davor zurück, traurige Themen zu kommentieren. So fuhren nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo an Rosenmontag 2015 allein vier Wagen zu islamistischer Gewalt durch Düsseldorf. „Satire muss bösartig, treffend und entlarvend, aber nicht immer nur lustig sein“, erklärt er.

Trotz Shitstorm: Das ist Tillys Lieblingswagen

Wenn er den Nerv mancher Menschen besonders hart trifft, bekommt er das auch zu spüren. Für zwei Wagen habe Tilly einen regelrechten Shitstorm bekommen: 2017 stellte er Figuren von Geert Wilders, Marine Le Pen, Donald Trump und einem blonden Adolf Hitler hinter die Aufschrift „Blond ist das neue Braun“. In seinen 40 Jahren als Wagenbaumeister sei das einer seiner Lieblingswagen: „Der macht mir am meisten Spaß.“

Für den Karnevalswagen mit der Aufschrift „Blond ist das neue Braun“ hat Tilly 2017 einen Shitstorm bekommen, wie er erzählt. Bis heute sei es jedoch sein Lieblingswagen. (Archiv)
Für den Karnevalswagen mit der Aufschrift „Blond ist das neue Braun“ hat Tilly 2017 einen Shitstorm bekommen, wie er erzählt. Bis heute sei es jedoch sein Lieblingswagen. (Archiv) © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Zwei Jahre später zeigte er AfD-Mann Björn Höcke auf einem Wagen als Baby von Joseph Goebbels. Auch dafür habe er eine Menge böser Mails und sogar Morddrohungen bekommen. Er sieht’s gelassen: „Deswegen bin ich nicht in den sozialen Medien vertreten.“

Auf den Wagen seien nicht nur seine eigenen Ansichten gespiegelt: „Ich will keinen Jacques-Tilly-Zug machen und den Karnevalisten meine persönliche Meinung aufdrücken.“ Er wolle ausdrücken, was mehrheitlich in der Luft liegt – „in witzigen, harten, polemischen Bildern“. Am Ende habe das Karnevalskomitee das letzte Wort, „aber es hat mir noch nie etwas verboten“.

>> SESSIONSAUFTAKT UND STRAßENKARNEVAL: TERMINE IM ÜBERBLICK

  • Am Samstag um 11.11 Uhr starten Karnevalisten in die neue Session. An Rhein und Ruhr sind viele Feiern geplant. Düsseldorfer Narren feiern den Auftakt mit dem Hoppeditzerwachen vor dem Rathaus.
  • Auch in Duisburg und Essen finden Partys in der Innenstadt statt. Die meisten Jecken werden in Köln erwartet.
  • Der Straßenkarneval beginnt mit der Weiberfastnacht am Donnerstag, 8. Februar. Der Höhepunkt des rheinischen Karnevals ist am Rosenmontag, 12. Februar. Mit dem Aschermittwoch endet die Session am 14. Februar.