Duisburg. Plattenbau und Sonderschule: Der in Duisburg verhaftete Islamist Tarik S. suchte Aufwertung. Seinen blutigen Schlüsselmoment hatte er in Kairo.
Er verbirgt sein Gesicht, als das Spezialeinsatzkommando den 29-Jährigen am Dienstagnachmittag im Duisburger Dellviertel abführt. Aber Tarik S. ist durchaus fotogen oder zumindest war er das mit Anfang 20, das erkannten auch die Propaganda-Schergen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Sie machten Tarik S. zu ihrem Gesicht, zur Werbefigur des Dschihad. Als „Osama al Almani“, Osama aus Deutschland, sollte er andere ausländische Kämpfer nach Syrien locken. 2017 wurde der junge Mann aus Bielefeld, inzwischen 23 Jahre alt, als Terrorist verurteilt. Seine Jugendstrafe von fünf Jahren hat er nun verbüßt, aber ein ausländischer Geheimdienst und die deutschen Behörden glauben, es geht noch immer Gefahr von ihm aus. Er habe geplant, mit einem Laster in eine pro-israelische Demo zu rasen.
Wie wird ein Junge aus Bielefeld zum Islamisten?
Plattenbau, Sonderschule, die Mutter eine deutsche Konvertitin, der ägyptische Vater gestorben, drei Geschwister. Das ist das Umfeld, in dem die Radikalisierung des Tarik Süleyman S. beginnt. Er soll schüchtern gewesen, Mädchen ausgewichen sein. In den sozialen Medien hinterlässt er damals ein Profil, das in seiner Widersprüchlichkeit und in dem Versuch der Selbstaufwertung durch Abgrenzung für sich selbst spricht: „bin fast 1,90 meter groß liebe eikohol liebe hüpsche mädchen hasse scheis emos, panker, schwuchteln, leute die denken siewären cool wenn sie ältere leute anmachen,mädchen die selbst kein kopftuch tragen und trotsdem mainen sie wären ein besserer muslim als ich und die ganzen anderen wixxer,ich liebe koräckte läute,weiber,partys,wälche die ein nich nerfen und der resst“.
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Ein Team von Spiegel TV hat seine Worte damals gesichert und auch die Mutter befragt, wie es dazu kam, dass ihr Sohn in den Krieg nach Syrien und in den Irak zog. Daniela K. erklärte, ihr Sohn sei durchtrainiert, habe Kung-Fu gemacht. „Und weil in den Moscheen immer geredet wird – wir sind zu schwach, wir können nichts machen, aber wir können beten – da hat er sich gedacht: Ich bin aber nicht schwach, also muss ich da hin und fühlte sich verpflichtet, das zu tun.“ Sie mache sich große Sorgen, erklärte die Mutter weiterhin, aber sie sei sie auch ein wenig stolz, dass der Junge bereit sei „seine Gesundheit zu opfern, um andere zu befreien.“
Zunächst jedoch machte Tarik S. auf der Förderschule seinen Hauptschulabschluss. Offenbar hatte er sich schon in dieser Zeit seine eigene Interpretation des Islam zurechtgelegt – oder eine aus den Propagandatiefen des Netzes für sich adaptiert. Auch in seiner Moscheegemeinde soll er damit angeeckt sein, soll alles grundsätzlich hinterfragt, soll auf seiner Meinung beharrt haben, soll „nicht mehr zugänglich“ gewesen sein, berichtete ein Betreuer Spiegel TV. Auch Praktika brach er ab, offenbar, weil ihm seine Einstellung im Weg stand. In einer Werkstatt zum Beispiel beharrte er auf einem traditionellen Gewand, statt Arbeitskleidung tragen zu wollen. Selbst als Servicekraft in der Moschee hielt er nicht durch.
Das Massaker in Kairo
Im Frühjahr 2013 reiste er nach Ägypten – für religiöse Studien. Kairo scheint ein Wendepunkt gewesen zu sein. 2013 protestierten dort Unterstützer des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gegen dessen Sturz durch das Militär. Mursi stand der Muslimbrüderschaft nahe, viele seiner Anhänger ebenfalls. Die Auflösung der Proteste ging als „Schwarzer Mittwoch in die Geschichte Ägyptens ein, es kam zu Massakern, Folterungen, willkürlichen Verhaftungen durch die Armee. Mindestens 904 Demonstranten sollen nach einem Bericht von Amnesty International vorsätzlich getötet worden sein, darunter Frauen und Kinder. Und Tarik S. aus Bielefeld war mittendrin. Er erlitt eine Schussverletzung im Oberschenkel.
„Vollkommen verändert“ soll der 19-Jährige gewesen sein, als er zurückkehrte, fanatisch. Er ging nach Herford, wo in dieser Zeit etwa 20 Salafisten aktiv waren. Eine Moschee dort soll laut Verfassungsschutz auch Treffpunkt für Salafisten aus Tschetschenien gewesen sein. Tarik S. besuchte Veranstaltungen des radikalen Pedigers Pierre Vogel. Der ist eine Schlüsselfigur der deutschen Szene und ehemaliger Boxer. Wie ihr Vorbild trainierten seine jungen Anhänger in einem Herforder Boxstudio in der Nachbarschaft der Polizeiwache.
Mindestens sechs Radikale aus der Herforder Terror-Zelle zogen in den Krieg. Neben Tarik S. erlangte auch der rund zehn Jahre ältere Murat D. eine gewisse Prominenz. Die Parallelen: Vater früh gestorben, Schulversager, unzugänglich, arbeitslos. Er tötete in Syrien und wurde getötet.
Ein bewaffneter Kämpfer
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Auch Tarik S. wurde zum bewaffneten Kämpfer, nachdem er Ende 2013 in Syrien ankam. Ob er bis zu seiner Rückkehr 2016 ebenfalls tötete oder folterte, konnte im anschließenden Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf nicht geklärt werden. Klar ist: Tarik S. wurde in einem Lager für den Kampf ausgebildet, danach übernahm er Wach- und Kontrolldienste und wurde IS-Polizist. Nachdem er sich unerlaubt von seiner Einheit entfernte, soll er von Geheimpolizisten des IS mit Messerklingen und Stockhieben gefoltert worden sein. Sie schlugen ihm vor, sich als Selbstmordattentäter zu melden. Vom Kampfeinsatz wurde er freigestellt.
Womöglich rettete ihn sein fotogenes Gesicht. In einem Video besuchte Tarik S. einen verletzten IS-Terroristen: „Kommt auf den Boden der Ehre!“, appelliert er an die Zuschauer. Auf anderen Bildern ist er mit umgedrehten Militärkäppi und Kapuzenparka zu sehen, Frisur und Bart an Che Guevara angelehnt. Er hält ein Maschinengewehr in die Kamera, legt es grinsend zum Schießen an. Zu Anschlägen in Deutschland ruft er auf und dazu, Ungläubige zu ermorden. Vor Gericht sagt er, er habe „Humanitäre Hilfe geleistet. In einem Video zeigte er sich er sich neben einem enthaupteten Opfer, fühlt ihm den Puls und, verspottet die Leiche.
Tarik S. soll 2015 eine niederländische IS-Kämpferin geheiratet haben. Erst als der IS 2016 zurückgedrängt wurde, kehrte er nach Deutschland zurück, seine Frau soll schwanger gewesen sein. Er wurde noch am Frankfurter Flughafen festgenommen. Im März 2021 musste er nach Verbüßung seiner Jugendstrafe von fünf Jahren aus dem Aachener Gefängnis entlassen werden. Auch in der Haft war er durch islamistische Äußerungen und Gebetsgesänge aufgefallen.
Dem Islamismus nur oberflächlich abgeschworen
Danach soll der 29-Jährige an einem Aussteiger-Programm für Islamisten teilgenommen haben, heißt es aus Sicherheitskreisen. Im August 2021 wollte er in die Niederlande übersiedeln. Zu diesem Zeitpunkt wirkte er gefestigt und schien dem Islamismus abgeschworen zu haben. Das schrieben die NRW-Behörden auf Anfrage der niederländischen Kollegen. Auf dieses Schreiben verweist nun der Anwalt von Tarik S.. Die Niederländer ließen ihn dennoch nicht rein.
Bis zum Juni 2022 soll er in einem Fitnessstudio gearbeitet haben, dann wurde er arbeitslos. Auch soll er im Kampfsport aktiv gewesen sein. Nach dem Jobverlust soll Tarik S. wieder in alte Muster verfallen sein, heißt es aus Sicherheitskreisen. Nach einem diffusen Anschlagsplanung auf eine Polizeiwache im September wurde die ohnehin engmaschige Überwachung weiter hochgefahren. So habe man nach dem Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes auf das mögliche LKW-Attentat mehrere Erkenntnisse schnell zusammenführen können. Tarik S. soll mit einem Mann in Syrien gechattet haben und sich bereit erklärt haben, einen Anschlag zu begehen.
Offenbar konnten die Ermittler nach der Durchsuchung Beweise dafür vorlegen, denn das Amtsgericht Duisburg erließ am Mittwochnachmittag Haftbefehl gegen den Islamisten, der in Duisburg in einer Wohnung der Diakonie gewohnt hat. Die unterhält auch ein Programm für junge Migranten nach Haft.