Tel Aviv/Essen. Nach dem Angriff hängen zwei Frauen aus Gelsenkirchen am Flughafen in Tel Aviv fest. Vom Umgang mit den deutschen Behörden sind sie enttäuscht.

Und dann müssen sie rennen. Im Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv ist ein Alarm losgegangen. Die unzähligen Menschen, die an diesem Montagmorgen darauf hoffen, Israel verlassen zu können, stürmen in Richtung Treppenhaus. Die Ungewissheit ist groß. Werden wir angegriffen? Hier? In dem Flughafen, der als der sicherste der Welt gilt?

Auch zwei gebürtige Gelsenkirchenerinnen gehören zu jenen, die seit über 24 Stunden am Flughafen der Metropole festsitzen. Ihren gebuchten Flug, der sie am Dienstag (10. Oktober) über Istanbul zurück in die Heimat bringen sollte, haben sie unter großem Aufwand auf einen früheren Termin umgebucht, berichten sie am Telefon. Ob der Flug abhebt, wissen sie bis zum Start nicht. Israel befindet sich im Krieg, der Terror der Hamas legt sich über das Land, viele wollen weg. Am Flughafen herrscht Chaos.

Nach dem Angriff auf Israel: Viele Flüge sind annulliert worden

„Direktflüge nach Deutschland gibt es gar keine mehr, viele Flüge sind bereits annulliert“, sagt eine der beiden, die ihren Namen nicht in einem Artikel lesen möchte, um die Familie nicht zu beunruhigen. Zwar spüren sie hier Sicherheit, doch die Ungewissheit ist groß. Von den deutschen Behörden fühlen sie sich allein gelassen. „Wir haben zweimal mit der Botschaft telefoniert“, sagt die 33-Jährige. „Wirklich helfen konnte uns keiner. Uns wurde nur gesagt, wir sollen auf unseren regulären Flug warten.“

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In der Nacht zu Montag erhielten sie eine Mail mit Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen. Auch darin wird betont, dass es keine Rückholaktionen gibt, solange Linienflüge starten. Alternativweg: über die jordanische Grenze – und dann? Wieder wären die Frauen auf sich gestellt. Zu sehen, „dass Länder wie Rumänien, Bulgarien und Polen extra Maschinen schicken, um ihre Touristen hier rauszuholen, während Deutschland abwartet, ist frustrierend“, sagt die Gelsenkirchenerin, die in Wuppertal wohnt.

Chaos am Flughafen: Auch viele Israelis wollen das Land verlassen

Die beiden Frauen, die auf einer zehntägigen Rundreise waren, wissen, dass sie Glück hatten. Sie haben keine Bomben einschlagen sehen, doch am Flughafen sprechen sie mit vielen, denen es schlimmer ergangen ist, die vor direktem Beschuss in Hotelbunker fliehen mussten – und auch diese erhalten keine Hilfe bei der Ausreise. „Hier sind längst nicht mehr nur Touristen, hier sind auch viele Israelis, die das Land verlassen wollen – aus unterschiedlichen Gründen. Gerne würde ich denen meinen Platz im Flieger frei machen und mit der Bundeswehr nach Hause fliegen – aber das passiert einfach nicht.“ Gedanken an die verzweifelten Menschen, die nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor rund zwei Jahren auf startende Flugzeuge sprangen, brechen sich Bahn.

Nach dem Alarm am Flughafen, als der Schock noch wirkt, fragt die Urlauberin entsetzt: „Worauf um alles in der Welt warten die noch, um uns hier rauszuholen?“ Kurz darauf herrscht wieder Normalität am Terminal, man kennt solche Situationen.

Nach dem Angriff auf Israel hängen viele Passagiere am Flughafen Tel Aviv fest – auch zwei Frauen aus Gelsenkirchen.
Nach dem Angriff auf Israel hängen viele Passagiere am Flughafen Tel Aviv fest – auch zwei Frauen aus Gelsenkirchen. © AFP | GIL COHEN-MAGEN

Sirenenalarm in Israel: Es war wie im Film

Für die Frauen, die in Gelsenkirchen aufgewachsen sind, ist nichts von dem normal, was sie seit dem frühen Samstagmorgen erlebt haben. Wenn sie davon erzählen, wirkt es, als würden sie über einen Film sprechen, den sie gesehen haben. Dass sie selbst die Hauptrollen besetzen, klingt noch immer unwirklich. Sie waren im Wüstenort Arad, rund eineinhalb Stunden Autofahrt von Tel Aviv entfernt, in einer Airbnb-Unterkunft, als um 6.30 Uhr die Alarmsirenen losgingen. Zunächst dachten beide an einen Probealarm. „Das ist ja das Einzige, was man aus Deutschland kennt“, sagt eine von ihnen. Doch als der Alarm nicht verstummte, wurde ihnen klar, dass es ernst ist. Nun hörten sie in der Ferne Raketen einschlagen, spürten die Erschütterungen, Kampfjets flogen über sie hinweg. Sie lernten, das Geräusch einer abgeschossenen Rakete von dem eines vorbeirasenden Kampfjets zu unterscheiden.

Schnell suchten sie Rat bei den Einheimischen – „die waren extrem entspannt“ –, was nun zu tun ist. Ruhig bleiben, bei Beschuss in den Türrahmen stellen oder in den Keller gehen. Sie waren vorerst sicher, die Kämpfe fanden weit entfernt am Gazastreifen statt.

Zwei Gelsenkirchenerinnen in Israel: Enttäuscht von den Behörden

Bizarr dann wieder die Erfahrung mit den deutschen Behörden. Um 11 Uhr ein Telefonat mit der Botschaft. Inhalt: In Arad bleiben, in eine Liste eintragen. Um 19.30 Uhr, 13 Stunden nach dem ersten Alarm und dem Telefonat mit der Botschaft, erhalten die Frauen eine E-Mail mit der Information: Sie werden attackiert, treffen Sie Schutzmaßnahmen, informieren Sie sich vor Ort. Am Sonntag, 7 Uhr, rufen sie noch einmal bei der Botschaft an, fragen, ob es nicht sicherer wäre, zum Flughafen zu fahren. Die Antwort: „Schwer einzuschätzen.“ „Wir haben uns dann danach auf den Weg gemacht, wir wollten weg“, sagt die 33-Jährige. „Auf der Fahrt haben wir viel Militär gesehen, Panzer, Hubschrauber. Wir haben kaum ein Wort gesprochen.“

Der bis Samstag wunderbare Urlaub mit vielen tollen Eindrücken endete im Chaos, mit blankliegenden Nerven und quälender Ungewissheit.