Ruhrgebiet. Lange hat es nicht so viele Bewerbungen um das Schöffenamt gegeben wie 2023. Eine einleuchtende Erklärung gibt es nicht, aber eine Hoffnung.
Janin Achenbach hatte eine Phase, da wollte sie Staatsanwältin werden; „aber da braucht man einen Einser-Abschluss in Jura, das ist eine große Ansage“, sagt die 31-Jährige. Sie hat es dann gelassen, aber das Interesse an der Juristerei nie verloren. Ihr früherer Traumberuf ist heute ihr Anliegen, naja, jedenfalls ist sie ganz in der Nähe gelandet: als Schöffin, also ehrenamtliche Richterin. Im Jugendbereich. Beworben mit 25. Gewählt. Gemacht. Und jetzt, fünf Jahre später, hat sie es wieder getan.
Achenbach, aus der inzwischen eine selbstständige Vermögensberaterin geworden ist, hat sich erneut beworben: diesmal für das Landgericht, den Ort der erwachsenen Fälle. Sie ist aufgeregt wie beim ersten Mal, ob sie genommen wird; denn Schöffin, sagt die Frau aus Hattingen, „habe ich immer gern gemacht“. Jung, weiblich, selbstständig, Motorradfahrerin: Untypischer kann ein Mensch im Schöffenamt nicht sein. Sind das nicht immer weißhaarige Herren in ihren fortgeschrittenen 60ern? Doch.
2018 mussten noch 20 Prozent ausgelost werden
Mag sein, dass sich das ändert bei der anstehenden Wahl der Schöffen und Schöffinnen für die nächsten fünf Jahre. Denn nach Jahrzehnten des Mangels haben sich plötzlich viel mehr Menschen beworben oder vorschlagen lassen, als gebraucht werden. Bei der letzten Wahl, 2018, mussten aus den Melderegistern der Städte noch 20 Prozent der Schöffen ausgelost werden: ein ungeliebtes Angebot, das man praktisch nicht abschlagen kann. Zum Ehrenamt gezwungen.
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2023 ist plötzlich alles anders - und so richtig weiß niemand, wieso. Lassen Sie uns die Zahlen entschlacken, die Differenzierung zwischen Jugend- und Erwachsenenschöffen unterschlagen, das überaus komplizierte Berechnungsverfahren einfach überspringen. Dann ergibt sich in allen befragten Städten des Ruhrgebiets dieselbe Tendenz.
„Wir haben viel geworben und eine große Kampagne gestartet“
Bochum hat 2117 Kandidaten und Kandidatinnen für 756 Plätze. In Dortmund sind es 2644 Anwärter auf 816. Duisburg: 1554 auf 587. Oberhausen: 388 auf 126. Gut, das sind alles Großstädte. Und im Kleineren? Bottrop 266 auf 80. Haltern 109 auf 26. In keiner befragten Stadt ist das Ergebnis gegenteilig.
„Das freut mich ausdrücklich“, sagt Michael Haßdenteufel, der Landesvorsitzende der „Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen“: „Wir haben viel geworben und eine große Kampagne gestartet.“ Das ist auch die Erklärung, die die Städte nennen. „In diesem Jahr wurde mehr Werbung gemacht“, heißt es aus Essen. Oder aus Recklinghausen: „In den Medien war das Thema oft präsent.“
Noch eine andere Erklärung findet Haßdenteufel zumindest „plausibel“: Die Babyboomer sind da. Eine große Generation, die fit ins Rentenalter eintritt und noch etwas Sinnvolles leisten will. Doch was macht den Reiz eines Amtes aus, das unter Umständen viel Zeit kostet - und man kann noch nicht einmal zur Toilette, wenn man will?
Es ist die Aufgabe, „Lebenserfahrung und Menschenkenntnis einzubringen“
Janin Achenbach sagt es so: „Ich habe den Eindruck, dass man noch erzieherisch mit eingreifen kann.“ Als Jugendschöffin habe sie „gefühlt vor allem mit Betäubungsmitteln und Körperverletzung zu tun“, und es verändere den einen oder anderen Klienten, wenn er etwa durch Arbeitsstunden „den Leuten helfen muss, denen er geschadet hat“. Die Zahl der Termine sei lange nicht so hoch wie zuvor angenommen: „Ich dachte, es gebe mehr Jugendkriminalität.“
Der Postangestellte und erfahrene Schöffe Andreas Gebauer sagt: „Die Aufgabe ist nicht, dem Richter zu sagen, wo es lang geht. Sondern, Lebenserfahrung und Menschenkenntnis einzubringen.“ Das Gesetz sei für alle gleich, aber die Differenzierung sei wichtig: „Wurde das aus Habgier getan oder aus größter Not?“ Gebauer bewirbt sich auch wieder.
Ob die Bewerber diesmal tatsächlich jünger und diverser sind - man weiß es noch nicht. Die Listen sind geschlossen, im fortgeschrittenen Herbst tritt der jeweilige „Schöffenwahlausschuss“ zusammen. Er besteht aus Vertretern des Gerichts und „Vertrauenspersonen“, die der Stadtrat gewählt hat. Dieser Ausschuss entscheidet. Er ist eigentlich gehalten, die Gesamtbevölkerung „nach Alter, Geschlecht, Beruf und sozialer Stellung“ zu spiegeln - wenn die Bewerbungslisten es zulassen. Danach bekommen die Gewählten Post. Mit den ersten Prozess-Terminen. Janin Achenbach wartet gespannt.