Mülheim. Pflegende Angehörige haben es schwer und nur selten können sie in den Urlaub fahren – damit kämpft auch eine Mülheimerin. Was sie kritisiert.
Früher sind sie oft an den Strand von Callantsoog gefahren, ein kleiner Küstenort in den Niederlanden. Heute schauen sich Susanne Burberg und ihre Lebensgefährtin Michaela nur noch Fotos von ihrem Lieblingsort an. Denn an Urlaub ist seit Michaelas Unfall nicht mehr zu denken. Ende 2019 erlitt die Mülheimerin einen Herzstillstand, während sie in einem Karussell auf der Cranger Kirmes saß. Dadurch verlor die heute 50-Jährige ihr Kurzzeitgedächtnis und teils auch die Orientierung.
Durch den Unfall hat sich auch Susanne Burbergs Leben schlagartig verändert. Sie zog aus ihrer Heimatstadt Gelsenkirchen zu Michaela nach Mülheim, arbeitet dort im Homeoffice, um sie pflegen zu können. „Sie ist auf mich angewiesen, ich helfe ihr beim Aufstehen von der Couch, begleite sie zur Toilette und sorge dafür, dass sie über den Tag hinweg genug trinkt“, erklärt Burberg. Daran habe sie sich gewöhnt, sagt die 53-Jährige.
Pflegende Angehörige: Leben schlagartig verändert
Nur das Meer, das vermisse sie wie kaum etwas. „Ich würde alles für eine klitzekleine Auszeit geben.“ Und dabei müsse es nicht mal eine Woche am türkis-blauen Wasser sein. Ein Tag an der Nordsee reiche vollkommen.
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Ähnlich wie Burberg gehe es vielen Menschen, die Angehörige pflegen, sagt Manuela Anacker, Pflege-Expertin vom Sozialverband VdK in NRW. Denn so einfach in den Urlaub fahren sei für viele in der Situation nicht mehr möglich. Hilfe biete etwa die Kurzzeit- und Verhinderungspflege. „Doch viele Angehörige wissen gar nicht, dass sie darauf einen Anspruch haben“, so Anacker. Nur 15,3 Prozent der Berechtigten nehmen die Kurzzeitpflege in NRW in Anspruch – bei der Verhinderungs- und Ersatzpflege seien es 35,3 Prozent. Anacker: „Hier müssten wir insgesamt bei weit über 80 Prozent liegen.“
Für viele, die plötzlich einen Menschen pflegen müssen, sei es schwer, sich zurechtzufinden. Zudem seien die Anträge oft zu komplex. Deshalb müssten Bürokratie abgebaut und Hilfsangebote transparenter aufgezeigt werden, fordert die Expertin. Und: „Wenn man einen Kurzzeitplatz beantragt, bedeutet das noch nicht, dass man ihn auch in der Gegend bekommt.“
Mülheimerin: „Die Pflege muss sich für junge Bedürftige öffnen“
In NRW seien diese nämlich Mangelware. Neben ausreichend Plätzen zur Kurzzeit- sowie Tagespflege brauche es auch einen Rechtsanspruch auf Tages- und Kurzzeitpflege, „ähnlich wie der Rechtsanspruch auf Kitabetreuung für Kinder“, sagt Anacker.
Im Falle von Susanne Burberg und Michaela fehlen schlicht Betreuungsplätze für junge Menschen. „Einen Tag habe ich Michaela in die Altenpflege gebracht, da hat sie angefangen zu weinen“, erinnert sich Burberg. „Mit ihren Gedächtnisschwierigkeiten fällt meine Partnerin in ihrem Alter einfach durchs Raster.“ Die Politik müsse die Gruppe der jungen Menschen verstärkt in den Blick nehmen, fordert auch Pflege-Expertin Manuela Anacker. „Die Tages- und Kurzzeitpflege muss sich für die Bedarfe junger Pflegebedürftiger öffnen.“
Bei Michaela komme hinzu, dass sie sich in einer fremden Umgebung nur schwer zurechtfindet, sagt Burberg. „Nach zwei Minuten würde sie nach mir fragen.“
Deshalb kann Susanne Burberg ihre Freundinnen nicht einmal zu einem Einkaufsbummel nach Holland begleiten. Früher war die Projektassistentin oft unterwegs. Manchmal sechs Mal im Jahr, entweder in Holland oder in einem Hostel auf Mallorca. Fernreisen habe sie sich damals nicht leisten können. „Heute verdiene ich fast das Dreifache und kann nirgendwo mehr hin.“
Pflegende Angehörige hat einen Wunsch: eine Fahrt ans Meer
Wenn sie bei Facebook die Urlaubsfotos ihrer Freundinnen sieht, macht sie das traurig. „Mittlerweile klicke ich sie schnell weg.“ Jedes Jahr lädt ihre Freundesgruppe, die sie noch aus Schulzeiten kennt, sie zum gemeinsamen Urlaub nach Sylt ein. Schweren Herzens sagt sie dann ab. Burberg: „Michaela ermutigt mich immer, allein hinzufahren. Ich erkläre ihr dann, warum das nicht geht.“
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Doch Susanne Burberg möchte ihren Traum vom Urlaub noch nicht aufgeben. Mittlerweile kann sich Michaela wieder den Namen ihrer Partnerin merken. Und wenn sich die beiden Urlaubsfotos ansehen, erinnert sie sich für einen kurzen Moment daran zurück. „Ich hoffe, dass wir beide bald wieder ans Meer fahren können. Und solange das nicht geht, sammle ich Postkarten, die meine Freundinnen mir schicken.“
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