Duisburg. Pflegende kämpfen in NRW mit explodierenden Kosten. Bericht aus dem Alltag eines Duisburgers, der seine an Demenz erkrankte Mutter betreut.

Die 87-jährige Frau W. sitzt in Wolldecken gewickelt auf ihrem Stuhl und blickt die lange Fensterfront entlang in den kleinen Garten. „Hallo Muttilein“, sagt Klaus mit sanfter Stimme und streichelt seiner Mutter leicht über die Wange. „Hast du Hunger?“

Er kniet sich vor sie und reicht ihr mit einer Gabel ein klein geschnittenes Stück Marmeladen-Brot. Doch Frau W. scheint keinen Appetit zu haben, blickt weiter aus dem Fenster. „Die ist hundemüde“, sagt Klaus, der lieber nur seinen Vornamen nennt, während er den Teller zurück in die Küche bringt. Kein Wunder, schließlich hatte seine Mutter in der Nacht kaum geschlafen.

Hilfe bei Toilettengängen

Seit sieben Jahren pflegt der 58-jährige Duisburger nun schon seine demente Mutter. 2010 erkrankte sein Vater an Parkinson. Klaus pflegte ihn bis zu seinem Tod. „Kurz danach ging es dann mit meiner Mutter bergab“, erinnert sich der Abteilungsleiter eines internationalen Unternehmens. Beim Kochen habe sie Zutaten durcheinandergebracht, im Supermarkt wahllos eingekauft und ihre Konten leergeräumt. Ein Neurologe stellte schließlich Demenz fest. Arthrose in den Gelenken und Osteoporose (Knochenschwund) kamen hinzu.

Mittlerweile hat Frau W. den Pflegegrad drei, kann nicht mehr allein aus dem Bett aufstehen oder auf die Toilette gehen. Entsprechend getaktet ist seitdem Klaus’ Alltag. Morgens kommen zwei Freundinnen vorbei und helfen Frau W. zur Toilette, beim Waschen, und beim Reinigen ihrer Zahnprothese. Dann sitzt Frau W. in ihrem Stuhl am Fenster und trinkt Kaffee. „Den trinkt sie immer noch sehr gerne, wenn auch nicht mehr schwarz“, sagt Klaus lächelnd. Mit ein bisschen Milch und bloß nicht zu heiß, dürfe er sein.

Pflegende Angehörige: Finanzielle Belastung durch Inflation

Ab und zu schreit Frau W. plötzlich, um zu zeigen, dass sie beispielsweise auf die Toilette muss – auch, wenn ihr Sohn gerade mitten in einer Konferenz ist. Natürlich sei das belastend, sagt Klaus, „aber ich bin da reingewachsen“. Monatlich bekommt er dafür etwa 550 Euro Pflegegeld. In Zeiten von explodierenden Energie- und Lebensmittelkosten sei das nicht viel. Weil seine Mutter den ganzen Tag sitzt, müsse das Haus durchgehend und in jedem Raum beheizt sein, sagt Klaus.

Rekord-Inflation und die Auswirkungen der Corona-Pandemie stürzen immer mehr pflegende Angehörige in die Verzweiflung, warnten kürzlich der Sozialverband VdK in NRW, der Verband der Alzheimer-Gesellschaften in NRW und die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD). Laut einer Umfrage des Sozialverbandes VdK kann ein Drittel der Befragten die Pflege von Angehörigen „nur unter Schwierigkeiten bewältigen“. Besonders belastend sei für viele die finanzielle Situation.

NRW-Verbände fordern Pflegegeld-Erhöhung

Für Klaus macht eine Erhöhung des Pflegegelds „an allen Ecken Sinn“. Ein barrierefreies, beheiztes Haus, ein passgenauer Rollator (den die Krankenkasse nicht zahlt) und etwas Geld an die helfenden Hände: Durch seine Arbeit könne er das stemmen, „sonst wäre das nicht möglich“, sagt Klaus. Zweimal die Woche kommt eine Altersbegleitung von der Diakonie zu ihnen nach Hause, unterhält sich mit der alten Dame, liest ihr Märchen vor. „Da blüht die Mutter auf.“

Mit mehr Pflegegeld, so sagt Klaus, würde er weitere Fachkräfte engagieren, welche, die auf Demenz spezialisiert sind. Zudem wünscht er sich mehr Angebote vor Ort. „Meine Mutter liebt es, wenn gesungen wird.“ Ein Chorangebot für Demenzerkrankte zum Beispiel würde auch privat ein wenig Entlastung für den pflegenden Angehörigen schaffen. „Mein Privatleben spielt sich fast nur noch hier im Haus ab“, sagt der Alleinstehende.

Das Privatleben leidet

Zwar komme es vor, dass er mit guten Freunden essen geht oder eine Dienstreise für die Arbeit macht – das müsse aber ganz genau geplant und abgestimmt werden. „Mehr als abends ein Bierchen trinken geht nicht, weil ich nachts die Mutter pflegen muss.“

Wenn er einen Wunsch hätte, so Klaus, dann würde er gerne mal wieder in die Sauna gehen und seinen Alltag als pflegender Angehöriger für einen Moment vergessen. In manchen Momenten könne er nicht mehr. Aber: „Das sind meine Eltern. Ich raffe mich immer wieder auf und gebe alles.“

>>> Info: Sozialverbände fordern Unterstützung

Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes waren in NRW 1,19 Millionen Menschen pflegebedürftig (2021). Zwei Jahre zuvor waren es rund 965.000. Rund 86 Prozent der Pflegebedürftigen werden in den eigenen vier Wänden versorgt. Sozialverbände wie der VdK forderten die Bundes- und die Landesregierung auf, die finanziellen Sorgen der Betroffenen zügig zu lindern und versprochene Reformen schnell auf den Weg zu bringen. Dazu gehöre die Erhöhung des Pflegegelds. Die Alzheimer Gesellschaft NRW forderte „eine dauerhafte Anhebung entsprechend der Geldentwertung“. Auf Landesebene drang die SPD auf einen Ausbau der Beratung für betroffene Familien. Angedacht ist zudem ein Landesprogramm zur Förderung von Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflegeplätzen.