Essen. Jeder Fall von mutmaßlichen Impfschäden muss geprüft werden. Doch bei einigen Krankheitsbildern haben Kläger bessere Karten als bei anderen.
Eine Klagewelle wegen mutmaßlicher Impfschäden steht bevor. Die Düsseldorfer Kanzlei Rogert & Ulbrich hat nach eigenen Angaben über 1000 Mandate und bereits mindestens 160 Klagen eingereicht. Am Landgericht Düsseldorf etwa sollen die ersten Prozesse gegen Moderna nach Verschiebungen am 17. August starten, gegen Biontech am 16. November.
Rund 850 Mandanten vertritt die Kanzlei Cäsar-Preller aus Wiesbaden – so auch Sebastian Schönert aus Brühl, dessen Fall Signalwirkung haben dürfte. „Etwa 300 bis 350 Fälle davon werden in Klagen münden“, sagt Joachim Cäsar-Preller. Rund 80 Klagen seien bereits eingereicht, wöchentlich kämen etwa zehn weitere dazu. „Es muss im Vorfeld eine Diagnose erstellt werden, dass der Schaden von der Impfung kommt. Es muss etwas Belastbares vorliegen, damit ich den Fall übernehme“, sagt der Anwalt.
Die juristischen Hürden liegen hoch
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Kausalität ist das Stichwort. Ein zeitliches Zusammentreffen von Impfung und einer Beschwerde kann Zufall sein. Es muss „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ feststehen, dass der Schaden ursächlich auf die Impfung zurückzuführen ist, erklärt Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Neurologie an der Uniklinik Essen. Als Gutachter für Impfgeschädigte weiß er: „Es gibt keine Schablone. Jeder Fall muss individuell geprüft werden.“
Die Vorerkrankungen spielen eine wichtige Rolle. Hätte eine Herzmuskelentzündung ohnehin auftreten können, auch ohne Impfung? Oder hat die Impfung nur mit geringer Wahrscheinlichkeit einen Anteil? Selbst diejenigen, deren Impfschaden bereits anerkannt ist, hätten nicht automatisch Anspruch auf eine Rente oder Ausgleich für längeren Verdienstausfall, erklärt Kleinschnitz. „Wenn die Herzmuskelentzündung ausheilt, gibt es keine dauerhafte Beeinträchtigung mehr.“
Aus dieser Perspektive lassen sich die Fälle grob einteilen in drei Kategorien. Für recht eindeutig hält Prof. Kleinschnitz die Handvoll Krankheitsbilder, „bei denen der Mechanismus aufgeklärt wurde“, eben die Kausalität: „Das sind etwa Sinusvenenthrombosen, Rückenmarksentzündungen oder Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen. Würden diese Patienten klagen, hätten sie wohl gute Aussichten.“ Dagegen werden es Patienten mit „Post Vac“-Symptomen vor Gericht schwer haben, glaubt Kleinschnitz. „Müdigkeit, diffuse Schmerzen, es gibt oft auch eine psychosomatische Komponente: Das Krankheitsbild ist meist wenig greifbar und praktisch nicht messbar.“
Multiple Sklerose als Zweifelsfall
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Natürlich gibt es auch Fälle bei denen Experten wie Prof. Kleinschnitz einen Zusammenhang für wahrscheinlich halten – dennoch ist er nur schwer nachzuweisen. Zum Beispiel bei Multipler Sklerose (MS). „Wir hatten einige Fälle von MS, die im Anschluss an eine Impfung aufgetreten sind. Die Patienten haben wahrscheinlich alle eine entsprechende Anlage gehabt, die sich auch ohne Impfung entwickelt hätte, nur vielleicht später. Ich glaube schon, dass die Impfung die Entwicklung dieser Autoimmunerkrankung beschleunigt haben kann, aber das ist keine gesicherte Erkenntnis. Und juristisch ist es vertrackt, weil die Personen einen Vorschaden haben. Man kann gutachterlich also keinesfalls sagen, die Impfung habe eine MS gemacht. Das heißt aber nicht, dass es für solche Fälle keine Entschädigung geben kann.“
„Eine große Gruppe unserer Mandanten leidet unter Thrombosen“, sagt Cäsar-Preller, „von der Sinusvenenthrombose bis zur tiefen Beinvenenthrombose. Tückisch sind auch die kleinen Gefäße zum Auge oder Ohr, die verstopfen können, was zu Erblindung oder zum Hörverlust führt. Schwere Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen kommen auch vor, das Guillain-Barré-Syndrom, halbseitige Lähmungen und Gesichtslähmungen.“ All diese schweren Impfkomplikationen sind auch in den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts gelistet. Cäsar-Preller vertritt aber unter anderem auch Menschen, die an tiefer körperlicher Erschöpfung leiden oder bei denen MS ausgebrochen ist.
„Impfgegner vertrete ich nicht“
„Ich bin nicht gegen Impfungen“, erklärt Cäsar-Preller. „Man sollte nur über die Risiken aufklären und nicht verharmlosen. Das ist gefährlich. Über die Verharmlosung ist so viel Misstrauen entstanden gegenüber künftigen Impfungen – das hat sich die Politik auf die Fahne zu schreiben. Impfgegner vertrete ich nicht. Die Mandanten sind der Impfkampagne des Staates und der Medien gefolgt und haben sich solidarisch verhalten. Sie haben sich impfen lassen, nicht nur für sich, auch für andere.“
„Grundsätzlich sind die Fälle noch lange nicht gewonnen, auch wenn wir den Schaden haben“, sagt der Anwalt. „Es müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein, etwa ein Verschulden. Ich gehe für die Prozesse von langen, steinigen Wegen aus. Es werden völlig neue Dinge auf die Gerichte zukommen. Wir vermuten, dass die Landgerichte zunächst unterschiedlich entscheiden werden, bis mal ein Oberlandesgericht oder gar der Bundesgerichtshof entscheiden hat.“
Weil alle Impfstoff-Hersteller mit der Bundesrepublik eine Haftungsfreistellung vereinbart haben, können sie sich im Fall einer erfolgreichen Klage das Geld vom Staat zurückholen. „Eine finanzielle Beteiligung der Hersteller ist aufgrund der Bindung an die geschlossenen EU-Verträge nicht möglich“, erklärt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums.
Die gesetzlichen Grundlagen für die Impf-Prozesse sind in den allgemeinen Schadensersatzregeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (§823, §826) und im Arzneimittelgesetz (§84 ff) festgeschrieben. Hier (§84 Abs. 2 AMG) heißt es: „Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist.“
Laut Paul Ehrlich-Institut gab es bis Ende Juni 2022 insgesamt 120 Fälle, bei denen zwischen einem Todesfall und der Corona-Impfung ein „wahrscheinlicher oder möglicher ursächlicher Zusammenhang“ anerkannt wurde. Laut PEI ist die Zahl der Todesfälle 30 Tage nach einer Corona-Impfung aber nicht häufiger als im statistischen Durchschnitt zu erwarten wäre. Dem Institut wurden bis Mitte vergangenen Jahres 323.684 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen gemeldet – wobei aus der Statistik nicht hervorgeht, ob sich ein Verdacht erhärtet hat. Das entspricht 1,8 Meldungen pro 1000 Impfdosen, die schweren Fälle machen einen Anteil von 0,3 Meldungen pro 1000 Impfdosen aus.