Bochum. Zwei der drei Kinder der Bochumer Familie Blume haben Cystische Fibrose, „Muko“. Doch Henry (13) und Milly (5) werden ihr Leben leben können.

Henry, ältestes der Blume-Kinder, war sieben, als die Diagnose stand – und seine Mutter schwanger mit dem dritten Baby. „Mukoviszidose!“, erinnert sich Frederike Blume, noch heute mit Schaudern. Von Lungenentzündung über „Gedeihstörung“ und Diabetes Typ 3 bis zur Unfruchtbarkeit reichte die entsetzlich lange Liste der Symptome, die sie im Internet fand. Nicht nur die Lunge, auch andere Organe könnten betroffen sein. „Horror.“

Atemübungen: Physiotherapeut Tomas Diem trainiert mit Henry und Milly, wie sie den zähflüssigen Schleim, der sich in ihren Atemwegen festsetzt, wieder loswerden. „Ohne Schleim kein Keim“, hat er den beiden jungen Mukoviszidose-Patienten erklärt.
Atemübungen: Physiotherapeut Tomas Diem trainiert mit Henry und Milly, wie sie den zähflüssigen Schleim, der sich in ihren Atemwegen festsetzt, wieder loswerden. „Ohne Schleim kein Keim“, hat er den beiden jungen Mukoviszidose-Patienten erklärt. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Ein Schweißtest im „CF-Zentrum“ an der Kinderklinik der Ruhr-Uni Bochum bestätigte den Verdacht des HNO-Arztes auf Cystische Fibrose (Mukoviszidose); ein Gentest folgte; „unsere Welt stürzte in das totale Chaos“, erzählt Vater Dominik Blume. „Wir hatten geahnt, dass irgendwas nicht stimmt mit unserem Sohn“, sagt seine Frau. „Henry war immer einen Tacken mehr krank als andere. Aber doch nie richtig schlimm..“ Tatsächlich verläuft „Muko“ bei jedem Patienten anders, heilbar ist die in der Regel unwissentlich vererbte Stoffwechselerkrankung in keinem Fall. „Noch nicht“, sagt Dr. Stefanie Dillenhöfer, Oberärztin in der Pädiatrischen Pneumologie, und behandelnde Ärztin der Blumes.

Bochumer Klinik ist A-Zentrum des Centrums für Seltener Erkrankungen der Ruhr-Uni

Prof. Thomas Lücke ist Sprecher des CeSer und leitet die Kinderklinik. Bei vielen seltenen Erkrankungen blieben die Erkenntnisse spärlich;  bei anderen, Mukoviszidose etwa, gebe es gewaltige Fortschritte in der Forschung, erklärt er.
Prof. Thomas Lücke ist Sprecher des CeSer und leitet die Kinderklinik. Bei vielen seltenen Erkrankungen blieben die Erkenntnisse spärlich; bei anderen, Mukoviszidose etwa, gebe es gewaltige Fortschritte in der Forschung, erklärt er. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Zum ersten Mal trifft sich die Familie an diesem Tag mit ihr im frisch eröffneten „Kolibri“-Flügel der Kinderklinik im St. Josef-Hospitals, das die Arbeit des Centrums für seltene Erkrankungen (CeSER) der Ruhr-Universität koordiniert. Sechs Millionen Euro flossen in den Neubau, darunter Fördermittel des Landes. Die 13 zusätzlichen Zimmer wurden dringend benötigt, sagt Prof. Thomas Lücke, CeSER-Sprecher und Leiter der Kinderklinik. Denn seltene Erkrankungen sind nicht gar nicht selten, rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer. Mukoviszidose ist eine der häufigsten, doch revierweit gibt es lediglich an der Essener Unimedizin ein weiteres CF-Zentrum.

Henrys Eltern ließen nach der Diagnose sofort auch seine Schwester Greta, damals vier, testen: Sie ist gesund. Auf eine Fruchtwasseruntersuchung, die Klarheit für ihr ungeborenes Kind hätte bringen können, verzichteten Frederike und Dominik Blume: „Wir wollten das Baby, so oder so.“ Erst beim Neugeborenen-Screening, einem Bluttest nach der Geburt, der seit 2016 auch auf Mukoviszidose geht, zeigte sich: Milly ist betroffen.

„Warum wir? Weil wir das schaffen!“

Dass zwei ihrer drei Kinder die Krankheit ein Leben lang begleiten wird, war Vater und Mutter als Gedanke unerträglich; wie lange ein Leben mit „Muko“ währen würde: einer, denn sie nicht zuließen. „Wir befassten uns nie mit der Prognose“, sagt Dominik Blume. „In meiner Verzweiflung habe ich ihn aber oft gefragt, warum wir?“, erinnert sich seine Frau. „Weil wir das schaffen“, antwortete ihr Mann.

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Henry erklärten die Eltern in einfachen Worten, was los war. Er war alt genug zu verstehen, dass es nicht gut war. „Ich hatte am Anfang viel Angst“, erzählt Henry. „Ich wusste ja nicht, was die Krankheit mit mir macht.“ Zumal fortan viel Disziplin und rasch auch Selbstständigkeit bei den nötigen Therapien von dem Siebenjährigen gefordert waren. Die erste Nasenspülung, erinnert er sich, „war der allergrößte Kampf“, 250 Milliliter warme Salzwasserlösung musste er dafür durch die verstopfte Nase laufen lassen. „Unangenehm“, erklärt der heute 13-Jährige. „Er hatte richtig Schmerzen dabei“, stellt sein Vater klar. Heute sind Nasenspülungen wie Inhalationen tägliche Routine für Henry, „wie Zähneputzen“. Selbst Milly, sagt Mama Frederike, käme mit ihren gerade fünf Jahren längst von ganz allein mit der Frage: „Machen wir jetzt Programm?“

„Früher haben wir diese Kinder beim Sterben begleitet“

Um halb sieben morgens steht Henry für seine Therapien auf, auch an Wochenenden und Feiertagen. „Nicht so schlimm“, sagt der. „Mehr nervt, dass ich am Nachmittag dafür auch Zeit brauche, meist dann, wenn die anderen Fußball spielen...“ Seine Medikamente muss er auf die Minute genau nehmen. In der Physiotherapie übt er, den zähflüssigen Schleim, der sich in seinen Atemwegen bildet, abzuhusten. Kontrolluntersuchungen in der Klinik sind alle drei Monate angesagt. Henry merkte rasch: Hält er sich an die Regeln, geht es ihm besser, hat er weniger Infekte, braucht er weniger Antibiotika. Henry spielt inzwischen Fußball in der Kreisliga A und auch Tennis im Verein; er sagt, er fühle sich nicht anders als andere Kinder. „Ich werde“, hängt er an, „auch nicht mehr gehänselt, weil meine Nase nicht mehr dauernd läuft…“

Dr. Stefanie Dillenhöfer ist Oberärztin der Pädriatischen Pneumologie in der Bochumer Universitäts-Kinderklinik. Rund 90 Mukoviszidose-Patienten werden dort betreut.
Dr. Stefanie Dillenhöfer ist Oberärztin der Pädriatischen Pneumologie in der Bochumer Universitäts-Kinderklinik. Rund 90 Mukoviszidose-Patienten werden dort betreut. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

„Früher haben wir unsere kleinen Mukoviszidose-Patienten beim Sterben begleitet. Henry und Milly können ihr Leben – mit Einschränkungen – leben“, erklärt Stefanie Dillenhöfer. Eine junge Frau mit CF hätte sie sogar schon bei zwei Schwangerschaften begleitet… Die Forschung habe in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Er habe große Hoffnung, ergänzt Klinikchef Lücke, dass schon bald eine wirklich kausale Therapie für Mukoviszidose gefunden werde. „Die löst das Grundproblem und da passiert momentan sehr viel.“

Das neue Medikament: ein Geschenk

Henry erhält seit vergangenem Jahr ein neu zugelassenes Medikament, eines das bereits ursächlich wirkt, nicht nur sympomatisch. „Es passt, ein Geschenk“, sagt Dillenhöfer. Henrys letzter Schweißtest: „Sah aus wie der eines gesunden Kindes!“ Seine Eltern nennen seine Entwicklung und die ebenfalls erfreuliche Millys „ein kleines Wunder“. Sie sind sehr glücklich darüber, „wie gut wir hier im Zentrum aufgefangen wurden, und das es diese Spezialisten tatsächlich in unserer Heimatstadt gibt. Wir sehen ja, welche Wege andere in Kauf nehmen, um in Bochum behandelt zu werden.“

„Mit der Zeit sieht man klarer, wird alles besser“, meint Frederike Blume. Frisch betroffene Familien müssten „keine Angst haben“. Die Diagnose, denkt sie heute, „hat tatsächlich alles verändert. Aber irgendwie: auch nichts.“

Weitere Infos: https://www.muko.info/

>>> INFO: Mukoviszidose

Ursache ist die Mutation des sogenannten CFTR-Gens auf Chromosom 7. Die Erkrankung wird „autosomal-rezessiv“ vererbt, das heißt, ein Kind erkrankt nur, wenn es von beiden Elternteilen ein mutiertes Gen erbt. In Deutschland sind aktuell 8000 Menschen betroffen.

Das erst 1989 entdeckte CFTR-Gen ist verantwortlich für die Herstellung eines Ionenkanals, der den Salz- und Wasserhaushalt in der Zelle reguliert. Durch die Mutation des Gens kann Chlorid (und damit Flüssigkeit) nicht oder nur unzureichend aus der Zelle abtransportiert werden. Es bildet sich ein zähflüssiger Schleim, der in der Folge die Atemwege verstopft – und ein idealer Nährboden für Keime ist, damit auch für Infektionen. Neben der Lunge sind Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm betroffen.

Die Krankheitsverläufe sind sehr unterschiedlich, abhängig auch von der genauen Variante des Gendefekts. Mehr als 2000 verschiedene Mutationen sind bekannt, allein bei deutschen Patienten wurden inzwischen 80 unterschiedliche festgestellt. Die häufigste heißt „F508del“, jede dritte ist so selten, dass sie bislang nur in einer einzigen Familie gefunden wurden.

Die durchschnittliche Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten betrug 1960 rund zwölf Jahre, heute liegt sie für ein Neugeborenes laut „Mukoviszidose e.V.“ bei 57 – die neuen Medikamente sind in die aktuelle Statistik noch nicht eingeflossen.