Bochum. In Urologie und Gynäkologie gehören OP-Roboter zum Alltag. „Hugo RAS“ wurde in Bochum jetzt bundesweit erstmals in der Bauchchirurgie eingesetzt.

8.35 Uhr: Hugo dockt an. Der Roboter in OP 8 ist bereit für seinen neunten Einsatz im Bochumer Josef-Hospital, seiner nach Hersteller-Angaben deutschlandweit ersten Arbeitsstelle im Bereich der Bauchchirurgie. Es ist ein OP-Roboter der jüngsten Generation, ein modulares System, entwickelt von der irischen Firma Medtronic und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das „i-Tüpfelchen“ im neuen, digitalen Operationstrakt, sagen seine menschlichen Kollegen. Sie möchten ihn schon jetzt nicht mehr missen.

Prof. Orlin Belyaev mit 3D-Brille an der Hugo-Konsole am Rande des OPs. Theoretisch müsste der Operateur nicht einmal im selben Raum wie seine Patientin sitzen.
Prof. Orlin Belyaev mit 3D-Brille an der Hugo-Konsole am Rande des OPs. Theoretisch müsste der Operateur nicht einmal im selben Raum wie seine Patientin sitzen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Zusammen mit Prof. Orlin Belyaev und dessen Team wird Hugo heute einer Patientin die chronisch entzündete Gallenblase entfernen. Der leitende Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie ist der Sektionsleiter für Robotik des Uniklinikums. Vier kurze Schnitte haben er und Oberarzt Dr. Tim Fahlbusch der Frau zuvor in den Bauch gesetzt, ganz klassisch, mit dem Skalpell in der Hand. Durch die führen sie nun – wie bei jedem minimal-invasiven (Schlüsselloch-)Eingriff – „Trokare“ ein, Schleusen für die medizinischen Instrumente. Sie fixieren sie an Hugos Greifarmen, die aus verschiebbaren Säulen wachsen. Über dicke Datenkabel sind sie mit einem Technikturm verbunden, Hugos „Gehirn“.

8.47 Uhr: Belyaev verlässt den zentralen, sterilen Bereich des OPs. Fahlbusch bleibt an der Seite der Patientin, über der sich die Roboterarme wie die eines riesigen Kraken bewegen. Die beiden Männer gehören wie Ulrike Butz, die heute die OP-Pflege übernimmt, zum ersten Team der Klinik, dass die Hugo-Schulung vollständig absolviert hat.

Chirurgen zittern irgendwann, der Roboter kennt keinen Tremor

Mit zwei „Joysticks“ bedient der Chirurg die vier Greifarme des OP-Roboters.
Mit zwei „Joysticks“ bedient der Chirurg die vier Greifarme des OP-Roboters. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

„Wir sind noch eher vorsichtig als schnell“, sagt Belyaev, als er sich die Virtual-Reality-Brille auf die Nase setzt.Doch er schwärmt bereits, wie viel „präziser, schonender und bequemer“ er nun operiere, wie flexibel Hugo sei(„alle vier Arme sind rundum beweglich und separat steuerbar“), wie der Roboter den Blick auf das Wesentliche richte, wie leicht er die Kommunikation mit dem assistierenden Chirurgen mache. Vorgängermodelle hätten den Kopf des Operateurs starr vor die Konsole gezwungen. „Und bei normalen Laparoskopien (Bauchspiegelungen) stehen Sie oft stundenlang am Tisch, bedienen mit einem Fuß blind das Pedal, während sie auf dem anderen Bein balancieren“, erklärt er. Der Operateur steuere dabei das Instrument, aber der Assistent die Kamera. „Selbst wenn beide gut eingespielt sind, kommt es zu Missverständnissen, Verzögerungen.“ Und die Hände eines jeden Chirurgen begännen irgendwann zu zittern. Hugo kennt keinen „Tremor“, mit seiner Hilfe hält der Operateur zudem alle Fäden allein in der Hand – und sitzt dabei gemütlich auf einem Hocker vor seiner Konsole; theoretisch müsste er nicht einmal im OP sein. Hugo erkennt ihn an seiner VR-Brille als „Chef im Ring“.

Belyaev kickt die Clogs von den Füßen und beginnt, die Gallenblase freizulegen. Auf dem Monitor sieht er den OP-Bereich in 3D und fünffacher Vergrößerung. Mit den Pedalen zu seinen Füßen kann er die Kamera heran- oder wegzoomen, die Winkeleinstellung ändern. (In Socken hat er dabei „mehr Gefühl“). Mit den Händen bedient er Hugos Arme – und so die Instrumente, die er braucht: Schere und „Bipo“ sind es heute, eine „bipolare Zange“. Der Strom, den er durch die Instrumente fließen lassen kann, verödet das Gewebe. Auf dem Monitor steigen weiße Wölkchen auf, wenn er das tut.

Die Gallenblase ist raus, es klingt, als würde eine Flasche entkorkt

Orlin Belyaev, Tim Fahlbusch, Ulrike Butz (v.l.) sowie OP-Pflege-Fachbereichsleiterin Daniela Salber wurden von der Firma Medtronic als erste im KKB für Hugo-assistierte Eingriffe geschult. Ein Techniker der Firma begleitet die Einführungsphase zudem vor Ort.
Orlin Belyaev, Tim Fahlbusch, Ulrike Butz (v.l.) sowie OP-Pflege-Fachbereichsleiterin Daniela Salber wurden von der Firma Medtronic als erste im KKB für Hugo-assistierte Eingriffe geschult. Ein Techniker der Firma begleitet die Einführungsphase zudem vor Ort. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

9.25 Uhr: Die Gallenblase ist losgelöst. Fahlbusch, der Chirurg am Tisch, zieht die Schere aus dem Rechte-Hand-Trokar, führt dafür einen „Bergebeutel“ ein. Belyaev legt die Gallenblase hinein. Fahlbusch zieht Beutel und Trokar aus dem Bauch der Patientin. Es klingt, als ob er einen Wein entkorkt. Die Gallenblase ist entfernt.

9.57 Uhr: Hugo dockt ab. Belyaev wäscht sich neu ein, um beim Vernähen der Schnitte zu helfen. Am Tisch. „Solche Eingriffe sind immer als Hybrid-OP angelegt, alleine von der Konsole sind sie nicht zu bewältigen“, erläutert Fahlbusch.

10.07 Uhr: Ulrike Butz beginnt mit den „Aufräumarbeiten“, zählt Kompressen, legt der Patientin die beiden schwarzen, erstaunlich großen Steine, die sich in ihrer Gallenblase fanden, mit ins Bett, in dem sie auf die Aufwachstation geschoben wird. In zwei Tagen wird die Frau entlassen werden.

„Deutschland ist zu zögerlich bei der Einführung neuer Technologien“

1,5 Millionen Euro zahlte die Klinik für Hugo. Für Waldemar Uhl, den Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie, beginnt mit ihm eine neue „Ära der Bauchchirurgie“. Die Frage, ob ein Roboter ihm irgendwann den Job streitig machen könnte, treibt einen Chirurgen wie ihn nicht um. „Meine Sorge gilt eher unserer Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Uhl. „Deutschland ist zu zögerlich, was die Einführung neuer Technologien angeht. Hier wird immer nur gefragt: Was kostet das, was bringt das? Andere Länder: machen einfach. Ich fürchte, dass wir den Anschluss verlieren.“ Die Patienten, betont Uhl, hätten keine Vorbehalte gegenüber Roboter-assistierter Chirurgie. Ganz im Gegenteil: Sie seien „verrückt danach“.

Horst Albrecht, der heute zur „Aufklärung“ gekommen ist, bestätigt das. Zwei Tage später wird auch ihm die Gallenblase entfernt werden – und Hugo dabei assistieren. „Ich hatte darauf gehofft“, erzählt der 82-Jährige, er habe kürzlich im Fernsehen einen Bericht über Roboter-Chirurgie gesehen. Er vertraue den Ärzten hier „voll und ganz“, seit 40 Jahren. „Aber so ein Roboter“, denkt er, „bedeutet noch ein bisschen mehr Sicherheit.“

>>>INFO: Einsatz auch am Evangelischen Krankenhaus Herne

Mit vollem Namen heißt Hugo Hugo RAS, das RAS steht für„Robotic-Assisted Surgery“: Roboter-unterstützte Chirurgie. Weltweit ist Hugo bereits an 50 Kliniken im Einsatz. Die Zulassung für gynäkologische und urologische Eingriffe erhielt er 2021, die für Allgemeinchirurgie im Oktober 2022.

Das Josef-Hospital in Bochum setzt Hugo seit 13. Februar in der Bauchchirurgie ein. Am Evangelischen Krankenhaus Herne ging der neue OP-Roboter nur zwei Tage später an den Start. Medtronic will dort zudem das weltweit erste Ausbildungszentrum für Robotik in der Thoraxchirurgie einrichten – sobald Hugo auch dafür zugelassen ist. Dr. Erich Hecker, Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie, soll in Wanne_Eickel Ärzte aus ganz Europa schulen.