Voerde. Vier Menschen hat ISAR-Helfer Peter Kaup in der Türkei aus den Trümmern gerettet. Er berichtet von Freud und Leid, die nah beieinander liegen.
Gemeinsam mit 41 weiteren ISAR-Einsatzkräften hat Peter Kaup in der vergangenen Woche vier Menschen im türkischen Erdbebengebiet lebend aus den Trümmern gerettet. Am Montagabend sind die Helfer aus dem Katastrophengebiet Krikihan zurückgekehrt – hinter ihnen liegen emotionale Rettungsaktionen, kalte Nächte ohne Schlaf und Bilder, die man nicht vergisst.
Mit müden Augen öffnet Peter Kaup am Dienstagmorgen seine Wohnungstür in Voerde, er ist noch keine zwölf Stunden wieder zuhause. „Entschuldigung, ich bin immer noch ein bisschen desorientiert“, erklärt der gebürtige Duisburger, setzt sich auf einen Stuhl im Wintergarten und reibt sich mit den Händen über sein Gesicht. Die Erschöpfung der vergangenen Tage ist ihm anzumerken. Im Garten hinter ihm hängt seine rot-gelbe ISAR-Jacke in der Sonne.
Erdbeben-Helfer nach Einsatz in der Türkei: “Wussten nicht, wo wir anfangen sollen“
„Wir haben vor dem Einsatz über die Zerstörung gesprochen und wussten, was uns erwartet. Die Lage vor Ort zu sehen, ist aber etwas ganz anderes. Die Bilder in den Medien können gar nicht klarmachen, was in der Türkei wirklich los ist“, erzählt der Arzt, der eine Praxis in Oberhausen hat. „Wir wussten gar nicht, wo wir anfangen sollen.“
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In der Erdbebennacht am 6. Februar klingelte gegen sechs Uhr morgens seine ISAR-Alarmapp, daraufhin schaute er sich die Nachrichten an. Für ihn sei sofort klar gewesen, vor Ort helfen zu wollen. Schon seit der Gründung von ISAR Germany 2003 unterstützt Kaup die Hilfsorganisation, war bereits bei Auslandseinsätzen in Ostafrika, auf den Philippinen und in Armenien dabei – immer ehrenamtlich neben seiner eigentlichen Arbeit als Hausarzt.
ISAR-Einsatzkräfte flogen noch am gleichen Abend ins Erdbebengebiet
Nach dem Erdbeben in der Türkei klärte er in wenigen Stunden mit seinem Praxisteam und seiner Frau ab, dass er noch am gleichen Abend in die Türkei fliegen wolle. Sorgen gemacht habe sich seine Frau kaum, schließlich wisse sie, dass er auf solche Situationen trainiert sei. „Natürlich war der Hilfseinsatz im Erdbebengebiet kein Spaziergang durch Oberhausen. Aber jeder Schritt war sehr gut geplant und wir wussten, was wir tun.“
So dauerte es nach dem Eintreffen in der Türkei nur wenige Stunden, bis die erste Person aus dem Trümmern befreit werden konnte. Freud und Leid seien während der Einsätze eng miteinander verbunden gewesen. Die Rettungsaktion der 40-jährigen Zeynep ist Kaup besonders im Kopf geblieben: „An unserem zweiten Tag haben wir unter den Trümmern eine Frauenstimme gehört und fingen an, die Verschüttete zu suchen. Nach zehn Stunden haben wir sie endlich durch ein Loch in den Trümmern gesehen, so konnten wir ihr einen Infusionsschlauch in den Mund schieben.“
40-Jährige wurde gemeinsam mit Familie begraben – Rettung nach über 100 Stunden
Besonders tragisch: Die Frau wurde gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern verschüttet, sie war die einzige Überlebende. Da die 40-Jährige jedoch stark eingeklemmt war und sich nicht bewegen konnte, sei die Rettung sehr schwierig gewesen. „Wir wussten nicht, wie schlimm ihre Verletzungen unter den Trümmern sind. Deshalb mussten wir sehr vorsichtig vorgehen. Aber Zeynep hat uns vertraut und meinte, sie hat keine Angst.“
Durch ein starkes Nachbeben sei der Kontakt zwischenzeitlich abgebrochen, konnte dann jedoch wieder aufgenommen werden. Insgesamt arbeiteten die Helfer mehr als 50 Stunden an der Rettung. Der Arzt erinnert sich: „Als wir sie über 100 Stunden nach dem Beben unter den Trümmern rausgezogen haben, haben alle geheult. Die Freude war riesig, fast wie auf einer Hochzeit.“ In der Nacht nach der Rettung verstarb die Frau allerdings im Krankenhaus. „Aber wir haben so gut geholfen, wie wir konnten“, meint der 57-Jährige.
Wichtig sei es, die tragischen Zustände im Erdbebengebiet nicht zu sehr an sich heranzulassen. So empfinde Kaup während seiner Einsätze zwar Mitgefühl, könne aber professionell bleiben. „Sobald ich meine ISAR-Jacke anziehe, funktioniere ich.“
Eine Woche Dauerbelastung: Rückzug aus der Türkei kam zum richtigen Zeitpunkt
Dass die Menschen in der Türkei aggressiv auf den Rückzug der Einsatzteams am Montag reagierten, kann Kaup nicht bestätigen. Vielmehr seien die Helfer zu jeder Zeit auf viel positiven Rückhalt unter der Bevölkerung gestoßen. Auch er selbst hält es für richtig, jetzt nach Deutschland zurückgekehrt zu sein. „Unser Team hätte die Dauerbelastung nicht länger durchgehalten, wir haben ja nahezu eine Woche ohne Pausen und nahezu ohne Schlaf durchgearbeitet. Außerdem liegen die Chancen, jetzt noch Überlebende unter den Trümmern zu finden, bei nahezu null Prozent.“
Am Flughafen seien die Ehrenamtler unter Applaus verabschiedet und in Deutschland ebenso empfangen worden. Kaub: „Da habe ich mich fast geschämt. Wir sind keine Helden, die wahren Helden haben unter den Trümmern um ihr Leben gekämpft.“