NRW. Knapp 900 Stellen in NRW-Gefängnissen sind unbesetzt. Resozialisierung von Straftätern sei kaum noch möglich, sagen Strafvollzugsbedienstete.

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl sucht einen Arzt (m/w/d), Hagen einen Psychologen, Euskirchen einen Sozialarbeiter, Duisburg-Hamborn einen „Oberwerksmeisteranwärter“ und Kleve jemanden für den Allgemeinen Vollzugsdienst. Düsseldorf braucht Unterstützung in der Zahlstelle und Dortmund einen Architekten, Geldern einen Gebäudereiniger, Krankenpfleger und Holzmechaniker ... Die Liste der Stellenangebote auf der Seite des NRW-Justizministeriums scheint endlos: Den Gefängnissen im Land gehen die Mitarbeiter aus.

In NRW sind 9.862 Menschen (einschließlich Auszubildender) in Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten beschäftigt, 830 mehr als vor fünf Jahren. Sie kümmern sich nach Angaben des Ministeriums um rund 13.500 Inhaftierte, Arrestanten und Arrestantinnen. 2000 Stellen in Justizvollzugsanstalten sind derzeit bundesweit unbesetzt, klagt der Bund der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) – 1000 davon in Nordrhein-Westfalen, sagt Ulrich Biermann, Landesvorsitzender der Fachgewerkschaft. Allein für den mittleren Dienst suche das Land 480 neue Mitarbeiter. Das sind die Männer und Frauen in Uniform, die die Inhaftierten beaufsichtigen, versorgen und betreuen, die ihren Tagesablauf organisieren – wichtige Bezugspersonen in der Haft. 70 Kollegen fehlten zudem für den Werksdienst, der sich um die berufliche Aus- und Fortbildung der Inhaftierten kümmert.“ Aber auch Ärzte würden „händeringend“ benötigt, Fachkräfte aus allen Bereichen eigentlich.

„Extrem schwierig“, offene Stellen zu besetzen

Die Zahlen der Landesvollzugsdirektion (Stand 1.1.2023: exakt 892,46 offene Stellen, davon 600 im Allgemeinem Vollzugs- und Werksdienst) weichen ein wenig von denen der Gewerkschaft ab, die Sachlage als solche bestätigt Sprecher Nils Radkte. Es seiner aber 830 mehr als noch für fünf Jahren, allein in der letzten Legislaturperiode seien mehr als 1000 neue Stellen geschaffen worden; der „weit überwiegende Teil“ davon könne allerdings erst besetzt werden, wenn Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen dafür ausgebildet worden seien.

Genau da liegt das Problem, findet Ulrich Biermann, der Gewerkschafter, selbst seit 45 Jahren „im Vollzug“. Es sei eben „extrem schwierig“, offene Stellen zu besetzen. Es fehle an Wertschätzung, glaubt er, das Gefängnis sei für viele Stellensuchende als Arbeitsplatz „wenig attraktiv“. Gerade die Kollegen im Allgemeinen Vollzugsdienst litten noch immer unter dem „Schließer“-Image, erklärt Ralf Bothge, der die JVA Dortmund (derzeit 340 Gefangene und 200 Bedienstete) leitet, auch wenn es bei ihm im Allgemeinen Vollzugsdienst und im Werkdienst unbesetzte Stellen „praktisch nicht“ gebe.

Polizei und Bundeswehr machen Strafvollzug als Arbeitgeber Konkurrenz

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Tatsächlich sind die regionalen Unterschiede, was die Personalnot in den 36 selbstständigen JVAs in NRW angeht, offenbar groß: Während die Haftanstalten in Aachen, Bielefeld (Brackwede und Senne) Geldern oder Werl Landesangaben zufolge „eine hohe Zahl“ freier Stellen verzeichnen, sind es etwa in Bochum, Castrop-Rauxel, Essen, Gelsenkirchen, Herford oder Siegburg weniger als fünf Prozent. In Bochums „Krümmede“ (603 Gefangene/400 Bedienstete) sind aktuell drei Stellen im Werkdienst zu besetzten und sieben im Allgemeinen Vollzugsdienst; in Essen (381/240) sind es drei.

Tatsächlich, so Bochums JVA-Sprecherin Candida Tunkel, mangele es nicht einmal an Bewerbern oder Bewerberinnen, doch deren Qualität sei leider gesunken. Polizei und Bundeswehr machten den Gefängnissen als vergleichbare Arbeitgeber „Konkurrenz“, denkt sie, das Berufsbild Strafvollzug habe zudem nicht jeder „auf dem Schirm“. Dass ein Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst ein sicherer sei, sagt Ralf Bothge, der Dortmunder JVA-Chef, sei heute wohl weniger wichtig als gute Verdienstperspektiven.

„Nach 14 Tagen Dienst haben Sie zwei Tage frei...“

2500 Euro brutto monatlich erhält ein (uniformierter) Justizvollzugsbeamter nach zwei Jahren Ausbildung, erklärt Ulrich Biermann vom BSBD. Wer im Werksdienst tätig sei (und dafür Meister sein muss!) bekäme 39,90 Euro mehr, „pro Monat, nicht täglich“. „Wir fordern 250 Euro mehr, aber selbst das brächte nicht den Durchbruch.“ Denn auch die Arbeitszeiten in Gefängnissen (für die größten Berufsgruppen) sind wenig attraktiv: Im Knast arbeite man im Schichtdienst, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr – „und nach 14 Tagen Dienst haben Sie zwei Tage frei, so läuft das aktuell und das geht so nicht“, sagt Biermann. Seine Gewerkschaft fordert darum neben einer „angemessenen Besoldung“ auch eine Veränderung der Arbeitszeitmodelle, „wobei mehr Personal natürlich helfen würde...“.

Das Land sagt: Mehr wäre immer besser, aber zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben sei die Personalausstattung (der Stellenplan) bereits heute „ausreichend“. Die Nachwuchsgewinnung zählt für Nils Radtke dennoch zu den „zentralen Zukunftsthemen der Justiz“. Am Geld soll es auch nicht scheitern: Beamtenanwärter und -anwärterinnen erhielten inzwischen 2.114,65 Euro (35 Euro Kleiderzuschuss inklusive). Die Ausbildungsvergütung im Vollzug, so Sprecher Radtke, dürfte damit die „in allen anderen Branchen deutlich übersteigen“.

Sicherheit auch bei etwaiger Unterbesetzung gewährleistet

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Der BSBD-Bundesverband hatte den Personalnotstand im Land auch mit einer zunehmenden Zahl schwerer Übergriffe auf das Gefängnispersonal erklärt. Für NRW, erklärt Ulrich Biermann, könne er das nicht unterschreiben, keine der angefragten JVAs tut das. Zwar werden solche Übergriffe hier erst seit 2022 offiziell erfasst, aber im vergangenen Jahr gab es laut Biermann, „in NRW-Gefängnissen keine einzige Geiselnahme, wurde niemand umgebracht“. Und darüber sei man sehr froh. „Das Problem“, sagt Biermann, „ist eher die wachsende Zahl der psychisch Auffälligen, mit denen wir es im Vollzug zu tun haben.“

Die Folgen? Marc Marin, Sprecher der JVA Essen betont, dass Vollzugsanstalten personell grundsätzlich so aufgestellt seien, „dass die Arbeit/der Dienst in allen elementaren Bereichen - wie Sicherheit, Betreuung, Behandlung und Versorgung - auch bei etwaiger Unterbesetzung sichergestellt werden kann“. Doch der Krankenstand in den Gefängnissen liegt seit Jahren permanent über zehn Prozent, im Allgemeinen Vollzugsdienst in NRW fielen nach Angaben des Landes 2022 durchschnittlich 13,1 Prozent der „Sollarbeitszeit“ wegen Erkrankungen aus.

Die Kollegen, erklärt Ulrich Biermann, der Gewerkschafter, fühlten sich nicht nur der Arbeitsverdichtung wegen zunehmend belastet.„Wir wollen ja keine „Verwahranstalten“ sein, nicht nur „wegschließen“, erklärt Biermann. „Unser Auftrag ist die Resozialisierung, der Behandlungsvollzug. Wir wollen Menschen, die straffällig geworden sind, tatsächlich auf den Pfad der Tugend zurückführen.“ Ein psychisch auffälliger Täter, der in der Haft „nicht so therapiert wird, wie er es sollte, der wird ja auf freien Fuß gesetzt, ohne, dass er sich verändert hat. Die Gesellschaft kriegt ihr Problem damit einfach wieder.“

>>> Psychiater: Bis zu 80 Prozent der Inhaftierten sind psychisch krank

Es gibt keine offiziellen Zahlen, die einen Anstieg der psychisch Auffälligen in den Haftanstalten NRWs bestätigen, sagt Prof. Johannes Fuß, die Entwicklung sei eher „empfunden – aber „sehr plausibel“. Sie gehe einher mit dem Abbau stationärer Betten in der Allgemeinpsychiatrie.

Der Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung am LVR-Klinikum Essen räumt ein, dass die heute präferierte ambulante Betreuung psychisch Erkrankter für manchen Betroffenen Vorteile habe. Doch andere bräuchten das Klinik-„Setting“, um wieder gesund werden zu können: Alleinstehende häufig, oder auch Obdachlose. Lediglich ambulant betreut werde ein Teil dieser Patienten tatsächlich straffällig, lande in einem Gefängnis oder in der Forensik, das zeigten Studien.

Prof. Johannes Fuß, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung am LVR-Klinikum Essen
Prof. Johannes Fuß, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung am LVR-Klinikum Essen © Frank Preuss

Fuß forscht zu den Effekten von Haft aufs Hirn, bis zu 80 Prozent der bundesweit 56.000 Inhaftierten, sind ihm zufolge psychisch krank, knapp die Hälfte leide unter einer Sucht, fünf Prozent unter schweren Psychosen. „Und viele davon sind nicht im Maßregelvollzug, wo sie gut behandelt werden könnten. Im normalen Gefängnisalltag aber verschärft sich ihre Erkrankung oft.“ Denn soziale Isolation und Reizarmut, Bedingungen, die typisch für Haft seien, verschlechterten psychische Erkrankungen nachweislich. Eklatante Probleme, wie der aktuelle Personalnotstand, verschärften die brenzlige Situation. „Freizeit- und Behandlungsangebote, die wichtige Bestandteile in der Therapie sind, werden doch als erstes gestrichen.“

Fuß, der früher in Hamburg selbst als Gefängnis-Psychiater gearbeitet hat, wirft das nicht den Vollzugsbeamten vor, die seien mit der Situation schlicht überfordert. Aber dem System. „Wir brauchen eine umfassende Reform der Versorgungsstrukturen. Es ist unsere Pflicht Kranken zu helfen, auch um unsere Gesellschaft langfristig zu schützen. Es könnte ein Erfolgsmodell werden, wenn es gelänge.“ Viel „Elend“ habe er in deutschen Gefängnissen schon gesehen, auch „schlimme Zustände“. „Aber allein vor Ort können Sie als Arzt die Situation nicht ändern, da kämpfen Sie gegen Windmühlen. Sie müssen es auch manchmal aushalten, nicht helfen zu können.“

Er kann daher verstehen, dass es schwer ist, Menschen für die Arbeit im Gefängnis zu begeistern. Aber er sagt auch, seine Zeit in der Hambuger JVA sei „sinnstiftend, befriedigend und spannend“ gewesen.